Der Umzug einer alten Dame ins Südviertel

Geschichten aus Tolkiens Welt vom Herrn der Ringe und anderen Werken.
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Aurantia
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Der Umzug einer alten Dame ins Südviertel

Ungelesener Beitragvon Aurantia » Dienstag 1. September 2015, 01:39

Aurantia legte die Gabel zur Seite, hob ihre Tasse und trank leise schlürfend den letzen Schluck Kräutertee aus. Soeben hatte sie ein sehr umfangreiches Frühstück verspeist, welches Rührei mit Speck, Röstbrot, Haferbrei mit Apfelkompott und ein paar Zimtplätzchen beinhaltet hatte. Gut gesättigt lehnte sie sich zurück und sah von ihrem Platz am Esstisch zum Fenster hinaus.
Nur ein paar vereinzelte Schäfchenwolken im leuchtenden Blau - der Tag würde also schön werden. Bestens und wie bestellt! Regen wäre heute höchst ungünstig gewesen, auch wenn ihn die Äpfel eigentlich wirklich nötig hätten... Aurantia befürchtete dieses Jahr ohnehin schon eine miserable Apfelernte. Das Kompott, was man daraus kochen konnte, würde sicher höchstens für ein halbes Jahr reichen, eine schlimme Sache!

In diesem Moment ertönte von der Smialtüre her leises, zaghaftes Klopfen. Die ältere Dame nickte kurz, erhob sich umständlich von ihrem Platz und begab sich zur Tür, um zu öffnen. Ein verschwitztes,
gerötetes und sommersprossiges Gesicht blickte ihr entgegen. Der gute Wilbur... ihr Großneffe hatte sich offensichtlich sehr beeilt, um auch ja pünktlich zu sein. So ein artiger Junge!
Wilbur grüßte seine Großtante Aurantia höflich, ein paar Schritte weiter vorne auf der Straße kletterten gerade vier weitere Straffgürtel-Neffen und -Nichten von einem großen Ochsenkarren herunter und strebten ebenfalls der Türe zu. "Einen schönen guten Morgen, liebe Großtante!" erscholl es im Chor. "Guten Morgen, Kinder", antwortete Aurantia, "wie schön, dass ihr pünktlich seid! Also: hier hinten im Gang stehen die Kisten, die ihr als erstes aufladen könnt. Dann den Küchenschrank, den Tisch und die Bücherregale. Bett und Stühle bitte zuoberst auf den Karren, das Geschirr und die Vorräte holen wir morgen. Wenn ihr alle schön fleißig seid, gibt es nachher Kuchen und Rosinenbrötchen mit Tantchens Himbeermarmelade!" Eifriges Nicken, zustimmendes Gemurmel und kurze Zeit später war von überall her aus dem Smial lautes Rumpeln, Knarren und Klappern zu hören. Umzugstag!

Aurantia beobachtete das Ganze ein Weilchen mit Argusaugen, aber die Jungs und Mädchen waren offensichtlich sehr bemüht, die guten, antiken Möbel ja nicht zu beschädigen. Ein etwas melancholisches Lächeln huschte über das Gesicht der grauhaarigen Hobbitdame. Dann begann sie damit, ihren Kleiderschrank auszuräumen. Sie faltete die Kleidungsstücke höchst akkurat zusammen und schlichtete sie sorgfältig in eine große, mit Windmühlen bemalte Holztruhe.
Plötzlich hielt Aurantia inne und stutzte. Unter den vielen Sachen, die zutage kamen, fand sich doch tatsächlich noch ein Gehrock ihres verstorbenen Mannes. Sie seufzte. Acht Jahre waren es nun schon her, dass ihr Adolar Straffgürtel das Zeitliche gesegnet hatte. Hurtig griff sie in ihre Rocktasche, zog ein kariertes Taschentuch hervor und schneuzte sich. Ihr Mann hatte dieses Kleidungsstück geliebt, es hatte zum feinen Ausgehgewand gehört... eine Maßarbeit aus teurem, Michelbinger Walkloden!

Sie hob den Gehrock mit beiden Händen und inspizierte ihn eingehend von allen Seiten. Der war eindeutig noch gut! Aufgestickte Ähren und Kornblumen zierten den Kragen und der Rock hatte zwei Reihen polierter Hornknöpfe. Zugegeben - an manchen Stellen wirkte der dunkelgrüne Stoff doch etwas abgetragen und auf die Ellbogen waren Lederflicken aufgesetzt. Aber ansonsten war der Gehrock noch tadellos! Aurantia strich mit einer Hand über den Stoff... ihr Lieblingsneffe Wilbur würde sicherlich höchst begeistert sein, solch einen feinen Ausgehrock zu bekommen! Gleich nachdem der heutige Transport im neuen Smial angekommen war, würde sie ihm den Mantel schenken!

Die ältere Dame sortierte die Kleidertruhe fertig ein und sah sich dann mit Wehmut im Blick im Schlafzimmer um. Fünfzig Jahre ihes Lebens hatte sie hier in diesem Smial in Wasserau verbracht und nun hatte sie es kürzlich an eine ihrer vielen Großnichten überschrieben. Sie hatte sich selbst ein kleineres Smial in der Ortschaft Sperlingsbronn gekauft.
Erneut schneuzte sie sich ausgiebig. Gut, der Weg zum wöchentlichen Teekränzchen bei der guten Lobelia ( Sackheim-Beutlin, eine Cousine dritten Grades) war nun um einiges weiter. Dies bedeutete also künftig mehr Bewegung für ihr altes Pony. Aber nichts, was nicht zu bewältigen war.

Sie ließ den Blick über die Bilder an der Wand streifen. Als er auf ein kleines Prorträt traf, das ein pummeliges Mädchen mit blonden Locken zeigte, verzog Aurantia in einer Mischung aus Missmut und Frustration das Gesicht und schüttelte den Kopf. Ihre Tochter Klaralinda würde es nun auch etwas weiter haben... aber seitdem die nach der Hochzeit zum Ehemann nach Stadel gezogen war, ließ sie sich ohnehin nur noch einmal im Jahr Ende Astron blicken - an Aurantias Geburtsag. Zu Jul und zum Lithefest schrieb sie jeweils nur einen Brief. Die alte Dame schniefte. Für einen kurzen Moment rang sie mit sich, ob sie das Bild nicht einfach hängen lassen sollte. Dann aber packte sie es doch noch zu der Kleidung mit in die Truhe. Also gut, alles verstaut! "Kinder, kommt doch bitte und holt die Truhe hier! Die muß auch noch heute mit auf den Wagen." Es konnte losgehen.

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Aurantia
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Re: Der Umzug einer alten Dame ins Südviertel

Ungelesener Beitragvon Aurantia » Donnerstag 3. September 2015, 22:58

So, hier kommt die Fortsetzung:


Der Karren zuckelte den leichten Hügel zur Oststraße hinauf. Gemächlich trotteten die beiden Ochsen Jasper und Billifred voran, von Wilbur hin und wieder ein wenig mit einem Weidenstöckchen angetrieben.
Für die frühe Morgenstunde war es bereits ziemlich warm, es wehte jedoch eine stetige, leichte Brise. Die Vögel zwitscherten, was das Zeug hielt und von den Wiesen am Fluß unten wurde der mandelartige
Geruch von blühendem Mädesüß herauf getragen. Eine der Nichten stimmte ein Tanzlied an, das bei den jungen Leuten derzeit sehr beliebt war und in dem es um Rosensträuße, Mondaufgänge und heimliche Treffen in Gartenlauben ging. Die anderen lachten und foppten sie.

Alles in allem eigentlich ein herrlicher Tag. Aurantia war es jedoch so gar nicht danach zumute, diese Herrlichkeit um sie herum zu genießen. Immer wieder blickte über die Schulter zu ihrem alten Smial zurück und seufzte dabei jedes Mal. Dies ging solange, bis die Wegkreuzung Buckelstadt – Michelbinge erreicht und das Smial außer Sicht entschwunden war. Ab da starrte die alte Dame schweigend in die Landschaft, murmelte nur ab und an etwas Unverständliches vor sich hin.
Wilbur beobachtete seine Tante ein wenig betrübt und überlegte angestrengt, wie er sie ablenken und auf andere Gedanken bringen konnte. „Sag mal, Tante, wirst du im Garten deines neuen Smials auch wieder diese feinen Champignons züchten?“ Naja, dachte er sich, das war immerhin ein Versuch! Aurantia schien die Frage erst gar nicht zu hören, aber nach einer Weile antwortete sie geistesabwesend: „Natürlich, mein Junge. Die Pilze wird es auch weiterhin geben und wenn du zu Besuch kommst, dann mache ich dir daraus ein großes Omelett mit Zwiebeln und Räucherwurst.“ Dann verfiel sie wieder in starrendes Schweigen.
Wilbur bemühte sich noch ein paarmal vergeblich, seine Tante zu einem Gespräch zu bewegen. Dann gab er es irgendwann seufzend auf. So fuhren sie also ein Weilchen dahin – die anderen Nichten und Neffen lustig tratschend, Aurantia schweigend und vor sich hin brütend. Das ging so weiter, bis ihnen in Wegscheid der Ponywagen von Turmalina Tuk entgegen kam. Die alte Tuk hatte offensichtlich den Wochenmarkt in Michelbinge besucht, ihr Wagen war vollgeladen mit Gemüsekisten, einem kleinen Bierfässchen und einer Stiege Eier.

Wilbur grüßte höflich zum anderen Wagen hinüber. Der Junge konnte die alte Tuk nicht besonders gut leiden, aber er wusste schließlich, was sich gehört. „Ja sowas“, schnarrte Turmalina Tuk los, „Wenn das mal nicht der kleine Wilbur ist!“ Bei diesen Worten verzog der Junge das Gesicht. Zumindest brauchte er sich keine Mühe zu geben, seinen Unmut zu verbergen – er wusste, dass die alte Tuk nicht mehr gut sah.
„Und da sitzt ja auch die gute Auri mit im Wagen! Du liebes Bisschen... ist es wirklich schon soweit, ist denn heute schon dein Umzugstag?“ Wilbur blickte sich in dem mit Möbeln und Kisten vollgestopften Ochsenkarren um und verdrehte dann die Augen. „Aber nein, wir fahren die Möbel nur ein bisschen spazieren, damit sie mal an die frische Luft kommen und was von der Gegend sehen“, dachte er sich. „Wonach, wenn nicht nach Umzug, sieht das denn bitte aus?“ Diese Entgegnungen verkniff er sich allerdings, auch wenn er sie zu gerne laut ausgesprochen hätte. Tante Aurantia erwachte aus ihren trübsinnigen Gedanken und sah auf. „Ach, Linchen, kommst gerade vom Markt, wie? Ja, heut schaffen wir die ganzen Möbel nach Sperlingsbronn.“ Sie seufzte. „und was soll ich sagen – ich habe jetzt schon Heimweh nach meinem alten Smial!“
Ihre Augen wurden feucht. „Wilbur, mein guter Junge, gib deiner Tante doch mal ein frisches Taschentuch aus dem Korb da drüben... Danke!“ Sie schneuzte sich hingebungsvoll. Turmalina Tuk wackelte mitfühlend mit dem Kopf. „Ach, wirst sehen, du wirst dich im neuen Heim im Handumdrehen eingewöhnen, Auri! Du hast dort so einen schönen Garten und dann der herrliche Blick auf die Hügel und den Fluß.
Kopf hoch, da musst du jetzt nach vorne schauen!“ Turmalina nickte weise. Wilbur nickte ebenfalls, er war zwar nicht oft einer Meinung mit Mütterchen Tuk, aber jetzt gerade lag einer dieser seltenen Momente vor. „Ich denk´das auch, liebe Tante, du wirst dich ganz bestimmt wohl fühlen. Und ich komm´dich auch ganz oft besuchen, versprochen!“ Er lächelte seine Tante so aufmunternd wie möglich an. Aurantia tupfte sich mit dem Taschentuch die Augen ab und murmelte „Mein Junge, du hast ja recht. Deine Tante benimmt sich gerade ziemlich einfältig, nicht wahr? Na dann auf, fahren wir weiter. Komm gut heim, Linchen, wir sehen uns nächsten Hevenstag!“ Sie winkte der alten Tuk im Vorbeifahren zum Abschied zu.


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