In aller Stille

Geschichten aus Tolkiens Welt vom Herrn der Ringe und anderen Werken.
Hamelia

In aller Stille

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Freitag 8. Mai 2015, 09:55

Herike schattierte mit viel Geduld und sehr ruhiger Hand die Unterseite eines Blütenblattes, dass sie so eben in ihren ganz eigenen Kräuteralmanach gezeichnet hatte. Eine Seite nach der andern hatte sie bisher mit genauen Abbildungen gefüllt. Betrübt sah sie auf die leeren Stellen neben ihrer Zeichnung. Sie konnte nicht in Worte fassen, dass dies Schöllkraut darstellte und welche Wirkungen die innere und äußere Anwendung brachte. Die blassen Wasserfarben neigten sich dem Ende, trotzdem tupfte sie ein seichtes Gelb auf die Blütenblätter und das Stängelende.
Während sie die Blätter und andere Einzelteile mit grünen Schatten versah und sich dabei noch mehr Zeit als sonst ließ, dachte sie an den Vortag. Sie war endlich wieder einmal unter Leute gegangen. Dies vermied sie üblicherweise, da es niemanden zu geben schien, der sie verstand. Oder verstehen wollte.

So hatte der freundliche Junge am Tresen nicht verstanden, dass sie nur etwas zu trinken haben wollte. Oder einen Teller vom leckeren Kasseler, den sie über Umwege dann doch bekam. Aber ein Nachtischtörtchen zu bekommen, hatte sie schlichtweg aufgegeben, als es schon mit einem Becher Bier Probleme gab. Wie unangenehm es ihr war, dass die Leute hinter ihr Schlange stehen mussten ...
Hin und wieder gab es jemanden, der nachvollziehen konnte, was sie gerade wollte, ja. Durchaus. Aber diese Bekanntschaften waren eher flüchtig und für den Moment gut. Man kümmerte sich um sie, denn sie weckte in jedem Mitleid und das Bedürfnis sie zu versorgen. Aus irgendeinem Grund hielten viele sie für verarmt.

Herike schaute sich in ihrem geräumigen Smial um. Etwas karg war es eingerichtet, aber sie hatte alles, was sie benötigte. Schön und schlicht. Das leuchtende Rosa hatte sie übermalt, kleine zarte Blüten zierten die Wände in der Wohnstube. Ein gemütliches Feuer prasselte im Kamin und im Herd. Sie hielt sich ihren Eintopf warm für später ...

Sorgsam legte sie ihre Zeichnung zur Seite und griff nach dem anderen Buch, dass neben ihr auf der Bank ruhte. Vorsichtig blätterte sie es von vorn nach hinten durch. Angefangen sah man Zeichnungen von ihren Eltern, ihrer jüngeren Schwester. Dann die weise Frau aus Froschmoorstetten mit ihren Fröschen. Gegen Ende hin sah man Bilder von den Bewohnern des Südviertels. Den netten Jungen vom Efeubusch, der immer soviel Essen auf ihren Teller gab. Der freundliche, ältere Herr mit den Federn am Hut und der lustige Herr mit der Zwipfelmütze. Diese beiden schienen ihr hin und wieder behilflich sein zu können und sie lächelte unwillkürlich. Dann öffnete sie die nächste Seite und zückte den Kohlestift. Diese Seite war noch leer ...

Hamelia

Re: In aller Stille

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Montag 11. Mai 2015, 16:49

Mit roten Wangen starrte sie auf die leere Seite. Den Kohlestift ließ sie nervös auf ihr Knie tippen. Ihr fiel gar nicht auf, dass sie sich so einen schwarzen Fleck malte, den sie später entnervt ausschrubben musste. Entschlossen blätterte sie einige Seiten nach vorn und wieder zurück. Vier Zeichnungen hatte sie von Mikho gemacht. Er hing ihr nach, auch wenn sie ihn nur einen Abend lang getroffen hatte. Er war einfach unheimlich zuvorkommend gewesen, als er ihr im Regen seine Weste anbot. Sie blickte zur Garderobe, wo die Weste noch immer fein säuberlich auf einem Kleiderbügel hing. Sie hatte sie erst waschen wollen, doch war es ihr peinlich seine Taschen leer zu räumen. So ließ sie alles beim Alten. Nie hatte sie vorher jemand wie ein Fräulein behandelt, sie war immer die arme, kleine gewesen, die nich redet. Hübsch hatte er sie genannt und die ideale Frau für ihn.
Sie zog die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Er war nie wieder aufgetaucht, hatte auch seine Jacke nicht gesucht. Dementsprechend schien er wenig Interesse zu haben, ihr den Hof zu machen.
Wieso auch gerade ihr? Er würde sie nie lachen hören oder ihr Rufen wenn das Abendessen fertig war. Abrupt stand sie auf und legte Stift und Buch auf der Bank ab. Ihr Eintopf wartete schon und ganz verkochen lassen, wollte sie ihn dann doch nicht.
Mit festen trampelnden Schritten ging sie in die Küche. Immerhin konnte sie ihren Frust deutlich machen. Auch das Klappern des Geschirrs fiel sehr laut und umständlich aus. Der Eintopf war gut. Warm und gut gewürzt. Immerhin das konnte ihr keiner mehr nehmen. Sie saß neben dem Herd und löffelte ihre Schale in angemeßenem Tempo halb leer, als ihr Blick auf die angelehnte Tür ihres Arbeitszimmers fiel. Ein Stück Kartoffel landete in ihrem Mund, als sie den Kopf schüttelte und den Blick senkte. Sie brauchte das Zimmer eigentlich nicht. Es wusste ja niemand, welcher Berufung sie nachging. Woher auch? Sie konnte nicht einmal aufschreiben, was sie gelernt hatte. Zu dumm, dass die Weise aus Froschmoorstetten ihr das Schreiben nicht hatte beibringen können. Herike runzelte die Stirn. Gern wäre sie dort geblieben, doch war es üblich, in einer anderen Region eine Zeit zu arbeiten und eventuell ganz dort zu bleiben. Ihre Eltern und Nachbarn hatten sie für schwachsinnig gehalten, doch die Leute aus Froschmoorstetten hatten schnell raus, wie sie mit Herike umgehen mussten. Sie lächelte flüchtig, als sie an Esmeralda dachte, die Bäuerin bei der sie so oft eingekauft hatte.
Die Leute im Südviertel waren durchaus viel geschäftiger, es gab viel Durchgangsverkehr. Und dass sie sich in ihrem Smial verkroch mochte auch ein Grund sein, dass nie jemand vorbei kam.
Sie schlürfte den Rest Eintopf aus der Schale, stand auf und stieß geräuschvoll die Tür des Arbeitszimmers zu.
Dann krempelte sie die Ärmel hoch, spülte ihr Geschirr direkt ab und wischte sich über die Stirn. Sie hatte bereits alles geerntet, aufgehangen oder zum trocknen vor dem Smial ausgebreitet. Der Haushalt für eine Person war nicht so kompliziert zu führen. Ihr Blick wanderte von einer Wand zur anderen und wieder zurück zum Buch auf der Bank. Na was sollte sie sonst tun? Sie nahm sich vor bei Zeiten neue Wasserfarben zu machen und griff nach dem schwarzen Stift. Die leere Seite bebte sanft im Luftzug des geöffneten Fenster.
Zuerst zeichnete sie den Blick. Die Augen vom Vorabend, die sie freundlich angeschaut hatten. Draußen zwitscherte ein Vogel laut in den Nachmittag.

Herike schaute ertappt auf, die Wangen sanft gerötet. Dann tippte sie sich mit ihrem Stift wieder nachdenklich auf den schwarzen Fleck auf ihrem Knie ...

Hamelia

Re: In aller Stille

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Samstag 16. Mai 2015, 14:24

Einige Tage später ...

Im Nachthemd lag Rike auf ihrem Bett. Das Fenster, direkt über ihr, war weit geöffnet und ein kühler Wind wehte ins Schlafzimmer. Sie betrachtete den grauen, wolkenverhangenen Himmel über Lindholz und genoß wie die Brise ihr Haar zersauste. Es war Hochtagvormittag und das nötigste hatte sie erledigt. Im Nachthemd und halbherzig. Dann hatte sie sich wieder ins Schlafzimmer gelegt und versuchte zu ordnen, was ihr nun durch den Kopf flatterte. Vergangenen Merstag hatte sie sich wieder in den Efeubusch begeben. Was geschehen war, das hätte sie niemals erwartet. Ein wenig fröstelte sie, als der Wind über ihre Schultern wehte, sie drehte sich auf die Seite und zog die Beine an.
Der Pergamentbogen neben ihr machte Anstalten vom Bett zu segeln, doch rettete sie ihn und faltete ihn auf. Zum hundertsten Mal, so kam es ihr vor. Ein Bote vom Postschnelldienst hatte ihr dies gebracht. Sie wusste was darin stand, doch sie konnte nicht selbst lesen was er geschrieben hatte. Sie las nur immer und wieder ihren Namen, den er aufgeschrieben hatte. Mikho.
Am unteren Ende des Briefes stand sein Name. So war es eben immer.
Sie malte unsicher ihren Namen mit dem Finger auf das Laken. Danach Mikhos Namen. Er wollte sie sehen. Und die Jacke sollte sie ihm mitbringen. Sie wusste nicht was sie davon halten sollte. Ihr Blick streifte wieder den trüben Himmel. Ein feiner Regen nieselte irgendwo am Horizont herunter, die Luft wirkte klamm und dünn.
Wieso jetzt? Wieso nicht vor drei Wochen ... sie seufzte lautlos und legte den Brief weg.

Rike rollte auf den Rücken und schnaubte laut vernehmlich. Sie fuhr sich durch die Haare und ließ die Hände auf ihrer Stirn ruhen. Wie sollte sie einen Brief schreiben? Nesseltal. Wie sollte sie das finden? Wie sollte das irgendwer für sie finden, ihm Post bringen.
Würde sie das aufzeichnen können und würde der Postbote das verstehen? Vermutlich nicht. Genervt ließ sie die Hände auf die Bettdecke fallen. Er hatte gute Chancen ihr den Verstand zu rauben. Wie nur, konnte es sein, das fragte sie sich. Die Dinge die er sagte, wie er ihr nachsah. Dieser Blick. Wie sie einfach nicht anders konnte, als zu ihm zu gehen, ihm zuhören.
Mit einem Ruck stand sie auf und streckte sich. Der frische Wind umarmte sie und sie wusste was sie zu tun hatte. Von ihrem Fenster aus konnte sie ihren Nachbarn im Garten sehen. Er würde ihr sicher helfen. Geschwind zog sie sich an, packte ein paar Blätter Pergament und ihre Kohlestifte zusammen und eilte hinüber zu Toldons Smial.

Hamelia

Re: In aller Stille

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Donnerstag 4. Juni 2015, 15:36

Ein halben Monat später...

Sie packte die letzten Taschen und lächelte selig. Der herbe Geruch vom Ziegenleder gefiel ihr gut, er passte zu ihrem Vorhaben. Sorgfältig packte sie ihre Zeichenbücher eng ein und überprüfte, ob diese auch vor Regen sicher seien. Die paar Blätter, die auf dem Kaminsims lagen, hatte sie vorher rausgeschnitten ohne sie genau zu betrachten.
Sie schaute sich um, sehr früh am morgen. Die Sonne wollte gerade aufgehen und ihr einen heißen Tag schenken.

Herike stellte die Beutel nach draußen, neben das angeleinte Pony. Sie tätschelte es am Hals. Den Namen hatte sie sich nicht gemerkt, sie konnte ihn ohnehin nicht rufen. Allerdings achtete das Pony sehr genau auf die Bewegungen seines Reiters und so war es für Herike ideal.
Ein lauer Wind wehte Herikes Haar und Kleid nach vorne, als wollte er sie zum Aufbruch treiben. Sie schmunzelte fröhlich, schlüpfte allerdings noch einmal - und zum letzten Mal - durch die Tür ihres Smials. Viele ihrer Gegenstände hatte sie auf dem Michelbinger Markt verkauft, die Möbel aber hatte sie stehen gelassen. Sollte der Hobbit, der nach ihr hier wohnte selbst entscheiden ob er sie wollte oder nicht.
Sie betrat jedes Zimmer, schaute noch einmal jedes Regal und jeden Schrank an, doch fand sie keine Reste mehr, von dem Leben, dass sie hier geführt hatte. Schließlich hob sie die bezeichneten Pergamentblätter in der Wohnstube vom Kamin. Sie betrachtete sie und lächelte bitter. Sie ließ die Zeichnungen in den Kamin fallen und atmete tief ein.

Als sie die schwere Eichenholztür hinter sich zu zog und das Schloß laut zu fiel, war sie erleichtert. Der Wind umarmte sie und ihr Pony schnupperte sanft an ihrem Haar.
Sie steckte dem großen Tier ein Zuckerstückchen zwischen die Lippen und hängte die letzten Taschen an den Sattel. Gemütlich führte sie das Pony zu ihrem Nachbarn und hängte etwas an den Zaun. Danach steckte sie etwas kleines in den Briefkasten. Einmal noch, sah sie sich um und machte sich dann auf den Weg.
Dann wurde sie zu einem immer kleiner werdenden Punkt am Horizont.

____________

Toldon

Als Toldon nach hause kam, fand er am Gartenzaun hängend eine Jacke, darauf ein großer, alter Hut. Neugierig, was es damit auf sich hatte, durchsuchte er die Taschen der Jacke und fand tatsächlich allerlei unaussprechlicher Dinge, aber auch einen Zettel. Auf diesem stand nur ein Wort: M I K H O
Er sah flüchtig zu Herikes Haus rüber. Es brannte kein Licht in den Fenstern, kein Qualm stieg aus dem Schornstein auf. Naja, vielleicht war sie ausgegangen, auch wenn dies eher unüblich für sie war. Er packte die Jacke und den Hut ein und brachte beides in die Wohnstube. Danach holte er die Post. Neben den paar Briefen, die er mit Freunden regelmäßig austauschte, fand er einen Schlüssel. An diesem hing ein einfacher Zettel. Diesmal zwei Worte. D A N K E - H E R I K E
Er lächelte unwillkürlich. Eben erst hatte er ihr ein paar Worte beigebracht, die sie fleißig übte. Sicherlich war es schwer für sie, jetzt erst schreiben zu lernen. Dann fiel ihm ein, was es heißen würde, wenn ihr Schlüssel in seinem Briefkasten lag. Sofort ließ er alles stehen und liegen und eilte rüber zu ihrem Smial.
Niemand war da, das Smial war verlassen. Tisch und Bett standen nach wie vor im Smial, doch all ihre Bücher und die Kleinigkeiten waren weg. Keine Kerzen, keine Gardinen. Nichts mehr. Eilends sah er sich um, schließlich hatte er seine Nachbarin ganz gern. Gehabt. Alles was er fand waren angekohlte Bilder im Kamin.
Er blätter sie durch. Mikho und Rhadames waren darauf zu sehen. Eindeutig. Er hatte ihr Zeichentalent vorher nur vom Schreibenlernen zu Gesicht bekommen.
Behutsam packte er die Blätter ein und verließ ihr Smial.

'Damit ist der Unterricht wohl beendet', dachte er, als er die Tür seines Smials hinter sich schloß.

Hamelia

Re: In aller Stille

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Mittwoch 10. Juni 2015, 10:56

Hinter Bree liegt ein Sumpf. Das hatte Herike nicht gewusst, als sie die kleine Stadt verließ. So saß sie nun auf einem Hügel, vor ihrem Zelt und schaute ins Dämmerlicht hinunter. Es war unfassbar warm geworden auf ihrer Reise und Rike war heilfroh, dass sie ihre Sommerkleider eingepackt hatte. Die Dunstschwaden die über dem Sumpf hingen rollten träge gen Norden. Der Wind war kaum merkbar, doch er brachte Hitze ins Breeland. Herike wischte sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn und nahm einen Schluck aus ihrem großen Wasserbeutel. Pony - sie nannte es imGeiste tatsächlich so - graste unweit von ihrem kleinen Lager, am nächsten Baum angebunden. Herike hatte sich gegen ein Feuer entschieden. Ihr war nicht geheuer, wer sie so bemerken könnte und warm genug war es schließlich auch. So lehnte sie sich müde gegen den Baumstamm, der ihrem Zelt als Stütze diente. Einige Tage nun war sie schon allein unterwegs. Keiner erwartete von ihr eine Antwort. Sie musste sich nicht anhören, was irgendwer zu sagen hatte. Niemand war da, der sie verblüfft anstarrte und sagte: 'Was?! Sie kann nicht reden? Oh!'
Ihr Blick ruhte nun auf Pony. Dieses Tier reagierte auf sie, als wäre es ein Teil von ihr. Sie konnte sich auf Pony verlassen. Wenn sie nun auch noch blind wäre, dann würde es sie trotzdem sicher durch die Welt tragen. Es hatte sich geweigert den Sumpf zu betreten, noch bevor Herike ihn überhaupt gesehen hatte. Morgen früh, bevor die Sonne brannte würde sie drum herum reiten.
Am Laub vorbei streifte ihr Augenmerk in den Himmel. Die ersten Sterne waren zu sehen und funkelten in der flirrenden Luft wie gefrorene Blumen. Sie dachte an Toldon, ihren Nachbarn der ihr eine große Hilfe gewesen war. Hoffentlich würde er einen anständigen Nachbaren nach ihr bekommen. Sie erinnerte sich wie 'Schnee' über die große Wiese hinter seinem und ihrem Smial umhertollte und graste. Die großen Eichen hatten soviel Schatten gespendet, dass es bei ihr immer kühl gewesen war.
Hörbar atmete sie aus. Hätte sie den alten Hut nur einfach mitgenommen, gegen die Sonne. Sie nahm sich vor einen neuen Hut zu besorgen, in der nächsten Stadt durch die sie kommen würde.
Pony stand dicht an seinen Baum gedrängt und schien sich auszuruhen. Es würde sich bemerkbar machen, wenn etwas nich stimmen sollte. Die Instinkte faszinierten sie und sie beneidete das Tier ein wenig. So ahnte sie nicht, dass es klug gewesen war kein Feuer anzuzünden, als sie ins Zelt kroch und die Plane am Eingang herunterließ und unten einhakte.

Hamelia

Re: In aller Stille

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Dienstag 18. August 2015, 13:50

Herike hielt die Füße an einer geschützten und flachen Stelle die Füße in den Fluß. Das Wasser hatte sie und Pony abgekühlt, auch wenn es im dichten Wald fühlbar frischer war, als in der öden Steppe, die sie tapfer durchquert hatte. Das klamme Kleid klebte an ihren Waden und sie rieb sich die Arme schön warm, während sie ihren Gefährten beobachtete. Pony liebte den Wald und den Fluß, spielte ausgelassen und tobte. Das war in Ordnung, heute würde Rike nicht mehr aufbrechen. Das kleine Zelt stand bereits, eine Fuß vom Ufer entfernt, unter einer großen Tanne. Viele lange Jahre hatten den Boden mit Nadeln bedeckt und die Zeit hatte diese weich werden lassen. Sie freute sich bereits auf ihr wohliges Nachtlager. Die einsamen Lande waren heiß, hart und staubig gewesen. Die herrlichen Trollhöhen waren kein Vergleich. Es blühte das Leben, wohin sie sah. Sie hatte genug zu essen und mehr Wasser als sie jemals trinken konnte. Auch Pony ging es deutlich besser. Schmunzelnd sah sie herab. Ihr Spiegelbild konnte sie nur verwischt sehen, doch sie war deutlich brauner gewordern und um ihre Nasenspitze herum hatten sich einige Sommersprossen hervorgetan. Müde lächelte sie, dann schaute sie über den Fluß. Die Furt war selbst für einen Hobbit sehr flach und mit dem Pony würde es sicherlich kein Problem geben, das Wasser zu überqueren. Das nächste Problem war der Weg, nicht der Fluß. Schon vor zwei Tagen, hatte sich der Weg langsam verloren. Nun war davon gar nichts mehr zu sehen. Sie wusste, dass sie über den Fluß musste und die Berge hinauf. Aber sie war kein Kletterer und wie sie das Pony dazu bewegen sollte, das wusste sie auch nicht. Bewusst war ihr allerdings, dass sie Glück hatte. Es war Sommer. Sie konnte hier einige Zeit bleiben und überlegen.
Schwer atmete sie aus und lehnte sich zurück, bis sie flach auf dem Felsen saß. Ihre Gedanken schweiften nach Lindholz. Sie fragte sich, wer nun in ihrem alten Smial wohnte. Dann wurde sie plötzlich rot und strich die feuchten Haare aus der Stirn. Der hölzerne Wohnwagen war viel zu überraschend in ihrem Kopf aufgetaucht. Beide Hände führte sie über ihr Gesicht um die leisen Tränen vor der Welt zu verbergen.

Hamelia

Re: In aller Stille

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Donnerstag 27. August 2015, 18:57

Tage später rastete Herike noch immer am Flußufer, allerdings weiter südlich, gut im Dickicht verborgen. Sie hatte es gewagt den Fluß zu überqueren doch der Pfad zu den Elben wollte sich ihr nicht zeigen.
Es gab Fisch und Beeren. Einmal hatte sich sogar ein Hase in einer ihrer Schlingfallen verfangen, doch hatte sie es nicht übers Herz gebracht ihn zu schlachten. Sie beobachtete hin und wieder kleine, dickliche Vögel, die in der Nähe nisten mussten. Allerdings war die Mutter häufig mit einer handvoll Küken unterwegs, Eier würde es also erstmal nicht geben.

Vorm Zelteingang saß sie in der Sonne und atmete tief durch. Die Waldluft tat ihr gut und sie wurde ruhiger, je länger sie hier verbrachte. Das Pony graste in der Umgebung. Bären gab es hier scheinbar nicht, trotz des nahen Flusses. Sie schätzte, die Bären würden sicher noch weiter südlich leben und sie wusste um die Instinkte von ihrem Begleiter.

Ihr Zeichenbuch auf dem Schoß skizzierte sie die umwerfende Landschaft. Sie kannte Berge und so dichten Wald nicht aus dem Auenland. Nachdenklich kaute sie auf ihren Lippen. Sie war nun schon einige Tage hier und sie hatte keine Ahnung wie sie nach Bruchtal kommen sollte. Sie wusste, wie weit sie bisher gekommen war. Aber wie weiter? Sollte sie hier bleiben und schauen was passiert? Sich mit dem Pony die Berge hochkämpfen? Oder .. der Weg zurück ins Auenland. Ob sie irgendwer vermisst hätte? Sicherlich nicht. Mit entschlossenem Blick richtete sich Herike auf und klappte das Buch zu. Die paar Handgriffe um ihr Zelt und das Bett abzubauen fielen ihr inzwischen sehr leicht. Pony näherte sich gemütlich dem Lager, es erkannte wohl die Aufbruchsgeräusche, und ließ sich geduldig beladen. Ein Blick noch, ob sie alles beisammen hatte.. dann führte sie ihr Pony zielstrebig aus dem Dickicht um sich auf den Weg zu machen ...


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