Geschichte: Das Lied von Angmar

Geschichten aus Tolkiens Welt vom Herrn der Ringe und anderen Werken.
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Azalinchen
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Kapitel 5 - I

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 31. Oktober 2014, 13:19

Hellgrüne, mandelförmige Augen schimmerten hinter den dunkelgrünen Blättern einer einer reichbelaubten
Baumkrone. Sie verfolgten aufmerksam den unsicheren und von einigen Stürzen und Beinahestürzen begleiteten
Weg des geschundenen Hobbits. Hatte der Mond hoch am Himmelszelt seine Bahn gezogen, als der Hobbit
aufgebrochen war, neigte sich die Nacht nun dem Ende zu. Die Gestalt, zu der das wachsame Augenpaar gehört,
kauerte auf dem Ast einer wuchtigen Auenlandeiche. Ein Schatten näherte sich der jämmerlichen Erscheinung
des Hobbits und die Augen verengten sich zu Schlitzen, um die Vorgänge bei dem noch grauen Hauch der
Morgenröte besser sehen zu können. Aber es war nur ein streunender Kater - zugegeben ein beeindruckend
großes und gewichtiges Exemplar, aber keinesfalls stellte das Wesen eine Bedrohung dar. Die Gestalt
entspannte sich etwas. Dann erschien ein weiterer Hobbit auf der anderen Seite des Dorfes und kam langsam
auf den armen Tropf, der soeben die Dorfstraße erreichte, zu. Als er den fremden Hobbit bemerkte, blieb
der Dorfbewohner wie festgefroren stehen und starrte den Unglücklichen unverwandt an. Ein Lächeln umspielte
die Lippen der Gestalt und sie schwang sich behende und grazil vom Baum herunter. Nur ein paar frühe Hasen
wurden Zeuge, wie sie elegant zwischen Bäumen und Sträuchern hindurch in Richtung Hafergut davon huschte.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~

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Kapitel 5 - II

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Montag 3. November 2014, 17:43

Todder warf einen Blick aus dem Fenster. Am Himmel schickte sich der späte, deutlich blasse Mond an, eben hinter
den weit entfernten Wipfeln der Bäume am Rande des Grünfelds zu versinken. Der Hobbit gähnte herzhaft und streckte
sich genüßlich. Er struwwelte sich schmatzend durch die Haare und begann aus seinem Bett zu krabbeln. An der
Zimmertür hielt er wie jeden Tag kurz inne und warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die warme Daunendecke und
das kuschelige Federkissen, bevor er sich erneut die Haare zerwuschelte und in Richtung Bad davonschlufte. Knickohr,
der gemütliche Mischlingsrüde, den er vor Jahren mal schwer verletzt im Wald fand und sich seither um ihn kümmerte,
lag auf seinem eigenen Knautschkissen und gähnte nur schlagtrunken, als sein Herrchen vorbeitappste. Für seinen
Geschmack war es noch zu früh, um die Pfoten ernsthaft aus der gemütliche Mümmellücke, die er mühsam im Laufe der
Nacht in sein Kissen geknautscht hatte, zu bewegen.

Todder warf seinem Haustier einen nachdenklichen Blick zu, verwarf aber den Gedanken, ihn aus dieser geruhsamen
Position zu scheuchen wieder und schlurfte weiter. Wie jeden Morgen grinste er sein Spiegelbild an, in der Hoffnung
es würde sich dadurch von allein in einen annehmbaren Zustand versetzen. Aber auch das schiefe Grinsen machte den
Ausdruck in den schlaftrunkenen Augen nicht munterer. Er schob und drückte ein wenig an seinen Wangen und seinem
Hals herum und befand, dass er deutliche Anzeichen von Entfettung zeigte. Er würde am heutigen Abend einen Besuch
bei Orchidella ins Auge fassen - herrjeh konnte das Weib gut kochen! Ein Besuch lohnte sich immer - wären da nicht
all die anderen Hobbits, die ihr bereits divers ihre Aufwartung machten. Er stopfte sich mißmutig die Zahnbürste
in den Mund scheuerte ungehalten drauf los.

Etwa fünfzehn Minuten später trat er gekämmt - nunja, was er so unter gekämmt verstand - und gewaschen - nunja, was
er... - aus dem Bad, holte tief Luft und begab sich in seine Speisekammer, in welche bereits das erste scheue Licht
der Morgendämmerung rieselte. Er schnappte sich einen Zwiebelkuchen, den er am Vorabend nicht ganz vertilgt hatte,
und eine Schüssel mit eingelegten Senfeiern. In der zweiten Hand balancierte er dann noch einen Krug mit süffigen
Landbier, während er mit den Zähnen ein Messer und einen Löffel hielt. Da Frühstück fand er sättigend, wenn auch
nicht ganz ausreichend - er würde auf jeden Fall auf dem Heimweg einen kleinen Zwischenstopp bei Frau Orchidella
einlegen. Beim Gedanken an herrlich duftende Schinken- und Kräuterbrötchen und gut abgehangenen Räucherspeck dazu
lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Keiner in Schären verstand sich so gut auf das Herstellen von saftiger, wohl
schmeckender Kräuterbutter wie Frau Orchidella. Sie behauptete immer, es handele sich um einen altes Familienrezept,
aber Todder argwöhnte insgeheim, dass die Rezeptur auf einen Küchenunfall zurück ging.

Fröhlich ein Liedchen pfeifend steckte er sich das letzte Stück vom Zwiebelkuchen für unterwegs in einen feinen
Brotbeutel, den er irgendwann mal in der Schneiderei Buchsbaum für eine schöne Stange Geld erstanden hatte, und
machte sich dann auf den Weg. Als er vor die Tür seines kleinen, aber feinen Smials trat, wandte er den Blick rasch
hinauf zu dem immer rötlicher werdenden Himmel hinauf. Es würde wohl wieder ein heisser und damit anstrengender Tag
im Steinbruch werden. Seit Vorarbeiter Goldfuss fort war, hatte ein Hobbit namens Keilbein dessen Aufgaben übernommen.
Ein grober, brutaler Kerl aus Bockland. Wo genau Balmund den Kerl aufgegabelt hatte, wusste keiner der Arbeiter.
Aber in einem waren sich alle einig - dass sein Wesen selbst für einen Bockländer beachtlich verschlagen war und ihn
eigentlich niemand im Steinbruch leiden konnte.

Todder kickte einen kleinen Stein fort und schob die trüben Gedanken beiseite. Er schwang seinen Beutel mit dem Kuchen
und beschloss noch einen oder zwei Äpfel hinein zu tun. Im Vorbeigehen rupfte er zwei rotgoldene Äpfel aus dem Baum neben
seinem Briefkasten und steckte sie zu dem Kuchenstück. Dann machte er sich auf den Weg zum Steinbruch. Als er eben um
die Ecke bog, ab der er schon den großen Zugang zum Steinbruch eben im noch grauen Licht der Morgendämmerung ausmachen
konnte, sah er am Ende der Strasse die Gestalt eines Hobbits zwischen zwei Büschen auftauchen.

Er kniff die Augen zusammen und versuchte mehr zu erkennen. Während er näher kam schien es mehr und mehr, als wäre
der Hobbit irgendwie seltsam misgestaltet. Ja er schien sogar zu Humpeln und deutlich Mühe beim Laufen zu haben. Die
Kleidung war nicht nur zerrissen, sondern wirkte aus der Nähe geradezu zerfetzt. Todder schluckte schwer und spürte, wie
Unruhe und Furcht auf leisen Füßchen seinen Rücken hinab rannen. Sein Blick fiel auf teilweise schwärende Wunden, aus
denen gelblichweisser Eiter troff. Kaum verheilte Narben bedeckten nahezu jeden Zentimeter der übrigen, sichtbaren Haut.
Er sah häßlich nässende Brandwunden an den Beinen und kahle Stellen auf dem Kopf, in denen sich fette Maden ringelten.
Todder kämpfte mit jäh aufsteigender Übelkeit. Noch nie hatte er ein jammervolleres Elend erblickt.

Als der unglückliche, geschundene Hobbit den Kopf hob und ihn aus entzündeten, glasigen Augen anstarrte, verschlug es
Todder den Atem. "Meister Goldfuss!" entrang es sich seiner Kehler und endet in einem entsetzten Keuchen. "Du ... du",
der Hobbit streckte ihm flehend eine Hand entgegen, "du kennst mich?" flüsterte er und kicherte, bevor er mit einem halb
erstickten Aufschrei ohnmächtig zu Boden sank.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~

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Re: Geschichte: Das Lied von Angmar

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 7. November 2014, 13:17

Hyazind hatte den Abwasch des Frühstückgeschirrs beendet und machte sich soeben daran, das Gemüse für das Mittagessen zu putzen, als es heftig an der Tür klopfte. Die Karotten noch in
der Hand machte sich Hyazind an der Tür zu schaffen. Nach einigen Momenten intensiven Drückens mit dem Ellbogen am Türriegel konnte sie der Tür einen leichten Schupps mit der Schulter
versetzen, sodass sie nach aussen aufschwang.

Draussen stand ein junger Hobbit etwa in den Mittzwiens und grinste sie an, während er ihr dreist auffordernd eine geöffnete Hand hinhielt. Hyzind ließ den Blick zwischen der Hand und dem Gesicht
des unverschämten Bengels hinundher schweifen. Sein Grinsen wurde breiter und schob auf diese Weise die Sommersprossen in seinem Gesicht eigentümlich zusammen, dass diese wirre Muster zu
bilden schienen. Hyazind runzelte die Stirn.

"Was gibts?" schnappte sie unwirsch, nicht weiter auf das Begehren des Bengels eingehend. Mit dem Handrücken wischte sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich unter ihrem Haartuch hervor
gestohlen hatte. Dabei wischte sie sich mit dem nassen Grün der Karotten in ihrer Hand ein wenig Schmutz auf die Wange.

Der Junge schien einen Moment abzuwägen, ob es sich lohnte noch weiter auf einem kleinen Obolus zu bestehen, kam aber anscheinend zu dem Ergebnis, dass er wohl andererseits einen Stock zu spüren
bekäme, wenn er seine Botschaft nicht los wurde. Also zog er unappetitlich die Nase hoch und liess die Hand in einer seiner Hosentaschen verschwinden. "Du sollst sofort in den Steinbruch kommen,
Frau Goldfuss", nuschelte er lustlos.

"Wie...? Was...?" Hyazind starrte ihn verständnislos an.

"Weiss ich doch nicht!" Er streckte ihr frech die Zunge heraus und machte, dass er davon kam.

Hyazind verengte die Augen, während sie dem Zwiens hinterherschaute. Was hatte das zu bedeuten? Vermutlich wollte der Bengel nur einen Scherz machen. Sie schickte sich an, wieder ins Smial zu
treten und die Tür dabei ungeschickt zu zu schieben. Dann hielt sie plötzlich inne, warf einen nachdenklichen Blick auf das Ende der Straße, wo sie auf ihrem Weg nach Schären hinter einer Kuppe
verschwand. Plötzlich bemerkte sie eine ganze Reihe Hobbits, die eben diesen Weg nahmen und deren Köpfe bald hinter der Kuppe ebenfalls nicht mehr zu sehen waren. War das nicht eben Balmund
gewesen, der so eilig hinter den anderen Hobbits herhastete? Was machte er um diese Uhrzeit fern ab vom Steinbruch?

Die Karotten purzelten polternd zu Boden, während Hyazind plötzlich von einem heftigen Gedanken getrieben ihre Röcke zusammenraffte und mit laut pochendem Herzen ebenfalls die Straße hinunter
lief.

Azalinchen stürzte aus der Wohnstube herbei und sah eben noch, wie Hyazind so schnell sie konnte rannte, als wäre der große schwarze Warg hinter ihr her. Einige der Karotten rollten gegen ihre Füße.
Azalinchen betrachtete sie ratlos und fragte sich, ob ihre Mama wohl zum Mittagessen rechtzeitig wieder da sein würde.
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Kapitel 5 - IV

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Donnerstag 20. November 2014, 12:20

Azalinchen presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie einen schmalen Strich bildeten. Die Hand in ihrer
Westentasche ballte sich wütend zur Faust, während sie ihre Mutter dabei beobachtete, wie sie geschäftig durch
ihren Kräutergarten wuselte und hier und dort stehen blieb um das eine oder andere Pflänzlein zu begutachten.
Einige schnitt sie sorgsam ab und versenkte sie in ihrer Tasche, die sie quer über der Brust hängen hatte,
während sie andere mit einem leisen, resignierten Seufzen stehen lies. Azalinchen verdrehte ungeduldig die Augen
und schaute sich um, ohne zu wissen, was sie noch betrachten sollte. Eigentlich verbrachten sie nun schon seit
einigen Wochen soviel Zeit in diesem verdammten Garten, dass sie das Gefühl hatte jede Schnecke beim Namen nennen
zu können und deren Haus bis auf den letzten Farbring mit geschlossenen Augen zeichnen zu können.

Hyazind drücke sich eine Hand an den schmerzenden Rücken und richtete sich für einen Moment mit vor Schmerz
verzerrtem Gesicht auf. Dabei fiel ihr Blick auf ihre Tochter, die auf einem Stein saß und nicht eben glücklich
aussah. Hyazind verspürte einen Anflug von Ärger auf ihre Tochter. Das Kind schien sich in keinster Weise
darüber freuen zu können, dass ihr Vater wieder da war. Sie runzelte die Stirn - ohne es zu merken formte sie
dabei eine schmale Linie mit den Lippen, ganz so wie es ihre Tochter gerade tat. Hätte sie jemand beobachtet,
hätte er die beiden vermutlich für Schwestern gehalten. Allein die tiefen Sorgenfalten, die die schlaflosen
vergangenen Nächte Hyazind beschert hatten, verrieten, dass sie doch deutlich älter sein musste.

Azalinchen fing den Blick ihrer Mutter auf und funkelte sie unwirsch an. Sie wollte jetzt den müden Ausdruck in
dem Gesicht ihrer Mutter nicht sehen. Ebenso wollte sie nichts davon wissen, dass sie sehr wohl mit bekommen
hatte, dass ihre Mutter kaum geschlafen hatte, seit der Vater wieder aufgetaucht war. Aber all das war in
Azalinchens Augen nicht von Bedeutung - denn sie glaubte nicht, dass ihre Mutter ihrem Vater noch helfen konnte.
Egal wie oft sie es noch wieder und wieder mit denselben Mitteln und Heilverfahren versuchte.

Marhlo lag in einem der vielen Zimmer im Großsmial ihrer Großeltern. Wenn sich nicht Hyazind um ihn kümmerte,
so hatte sie veranlasst, pflegten ihn zwei gut ausgebildete Heilerinnen aus Michelbinge. Ihre Namen waren
Rosaliata und Kleetina. Sie kümmerten sich wirklich gut um ihn. Aber trotz aller Heilkünste hatte sich sein
Zustand kaum verändert. Gleichwohl sich die schweren Wunden langsam schlossen und gut abheilten, weilte sein
Verstand immer noch an Orten, die Azalinchen weder sehen noch nachvollziehen konnte. Sie vergoss bittere und
sehr einsame Tränen, während sie mit ansehen musste, wie ihre Mutter wieder und wieder an die Grenzen ihrer
Fähigkeiten kam - und sich letztlich doch nichts änderte.

Der Hobbitvater erkannte weder Frau, noch sein Kind. In lichten Momenten war es ihm möglich nach etwas zu
Essen und zu Trinken zu verlangen. Ansonsten lag er in seinem Bett und starrte die Decke an, leise vor sich
hin flüsternd oder verzückt kichernd. Niemand hatte ihm bisher entlocken können, was mit ihm draußen in den
Hügeln geschehen war. Von seiner Ausrüstung waren nur eine löchrige Hose und ein halb zerfetztes Hemd übrig
geblieben. Nichts gab Aufschluss darüber, was vorgefallen war.

Eines Tages vor einigen Wochen war eine Elbin im Dorf erschienen. Niemand kannte sie oder wusste, was sie
im Auenland zu schaffen hatte, gleichwohl nicht wenige Hobbits über den ungewöhnlichen Besucht äusserst
entzückt gewesen waren. Sie hatte sich nach Marhlo erkundigt. Niemand wusste, was sie mit der Familie Goldfuss
zu tun hatte oder was sie von Marhlo wollte. Aber sie liess sich zu dem Kranken bringen und verbrachte einige
Stunden damit neben seinem Bett zu sitzen und seinen brabbelnden Selbstgesprächen zu lauschen. Dabei hatte
sich ihre Mine immer mehr verfinstert. Schließlich war sie aufgestanden und hatte sich über den Hobbit gebeugt.
Der Blick ihrer grünen Augen hatte sich für wenige Minuten in dem des Hobbits versenkt. Dieser war auf einmal
ganz ruhig geworden und hatte sie selig lächelnd angestarrt. Dann war er einfach eingeschlafen. Azalinchen
hatte am Bett gestanden und sie dabei beobachtet. Diese grünen Augen würde sie ihren Lebtag nicht vergessen.
Die Elbin hatte ihr flüchtig zugelächelt und dann einige der Wunden untersucht.

Dann war sie zu Hyazind gegangen, die gemeinsam mit Balmund und ihren Großeltern in der Wohnstube mit bangen
Erwartungen gewartet hatten. Die Elbin hatte erklärt, dass sie selbst nichts für den armen Marhlo tun könne,
dass sie aber Wunden von Bilwisswaffen erkennen würde, wenn sie sie sähe. Sie vermutete, dass der Hobbit in
den Hügeln von Bilwissen angegriffen worden sei. Wie ihm die Flucht hatte gelingen können, würde sie nicht
erraten können. Aber sie würde Hyazind raten, ihren Mann so schnell wie möglich nach Bruchtal in die Obhut
des legendären Elrond zu bringen.

Hyazind hatte dem ernsten Vortrag der Elbin mit wachsendem Unmut gelauscht. Sie erwiderte, dass der Tag noch
nicht gekommen war, an dem sie es zulassen würde, dass sich Lange an ihrem Mann zu schaffen machten. Die Elbin
hatte daraufhin die sichtlich erzürnte Hyazind nachsichtig angelächelt und ihren Rat nochmals wiederholt, bevor
sie sich verabschiedete und mit unbekanntem Ziel nach Osten zu aufmachte.

Azalinchen hatte sehr lange über die Worte der Elbin nachgedacht. Und sie ließen sie nicht los. Und mit jedem
weiteren Tag, mit dem sie die erfolglosen versuche ihrer Mutter weiter verfolgte wuchs ihre Wut über die Sturheit
und die Ignoranz ihrer Mutter. Sie sprach Hyazind mehr als einmal darauf an - machte ihr Vorwürfe und hielt ihr
vor, sie würde nicht alles für ihren Mann tun, was sie könne. Vor zwei Wochen letztlich hatten sie einen derart
furchtbaren Streit darüber, dass Mutter und Tochter nicht mehr miteinander redeten.

Schließlich hielt Azalinchen das Schweigen bei Tisch nicht mehr aus, sodass sie gar nicht mehr zu den Mahlzeiten
zu Hause erschien. Sie strolchte weit in der Umgebung herum und traf dabei auf einige der Waldläufer, deren
Existenz zwar weithin bekannt, aber ebenso geleugnet wurde, wie Hyazind das größere Wissen des Elbenfürsten weit
im Osten leugnete. Azalinchen verspürte nur noch Wut und Hass auf die sture Borniertheit der Auenländer, die es
zuließ, dass ihr geliebter Vater weiter leiden musste und die es ihrer Mutter einflüsterte, ihr Kind allein zu
lassen. In all ihrer ohnmächtigen Wut bemerkte Azalinchen nicht mehr, dass sie selbst ihre Mutter immer weiter
zurückstieß.

Zu einem der Waldläufer begann Azalinchen so etwas wie eine Freundschaft aufzubauen. Sein Name war Halros und er
hatte sein Lager irgendwo an ständig wechselnden Orten am Grünfeld. Es imponierte ihm, dass Azalinchen ihn immer
wieder aufzuspüren vermochte. Eines Tages, als Azalinchen ihn besuchte, stellte sie sich vor ihn hin mit in die
Hüften gestemmten Fäusten. Am Morgen hatte es wieder einen hässlichen, wortlosen Streit mit Hyazind gegeben. Sie
hatte die halbe Nacht wieder über ihrer Alchimistenwerkstatt verbracht und hatte sich seit Tagen nicht einmal mehr
darum gekümmert, dass die Hühner etwas zu Fressen bekamen. Alle Futtersäck hatte Azalinchen schon leer gemacht und
letztlich auch Hyazind Bescheid gegeben. Und nun hatte an diesem Morgen Gänseblümchen, Azalinchens Huhn, welches
sie von Küken an aufgezogen hatte, tot im Stall gelegen. Die Zwiens hatte das tote Huhn tränenüberströmt zum Smial
getragen und es ihrer Mutter wortlos hingehalten. Diese hatte nur einen kurzen Blick darauf geworfen und sich dann
wieder ohne weitere Regung ihren Studien zugewandt. Azalinchen hatte das tote Huhn ohne ein weiteres Wort auf den
Tisch geschleudert und die dort stehenden Gläser und Schachteln damit herunter gefegt. Anschließend hatte sie die
runde Tür des Smials aufgerissen und hinter sich laut zugeknallt und war hassentbrannt davon gerannt.

Jetzt stand sie vor dem Waldläufer, der sie erstaunt mit hochgezogenen Auenbrauen musterte. "Kann ich dir helfen,
Kleines?" fragte er mit einem leicht spöttischen Lächeln auf den Lippen. Aber seine Stimme klang weich und liebevoll
wie immer.

"Ich will, dass du mir zeigst, wie man damit umgeht", forderte sie energisch, auf eine an der Seite liegende Keule deutend.
"Ich Weiß, dass du das kannst. Ich will es lernen! Zeig es mir!"
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Kapitel 6 - I

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 21. November 2014, 13:00

Eine Keule flog in hohem Bogen durch die Luft, gefolgt von einem lauten Wutschrei, der sich an einigen Felsblöcken echote, bevor er ganz verklang.
Azalinchen stapfte wütend der Keule hinterher, die es sich inzwischen zwischen einigen losen Blättern und hohen Grasbüscheln am Boden bequem gemacht
hatte. Als die Zwiens die Waffe hochriss verfing sich der dickere Teil des Holzleibes zwischen zwei Steinen und Azalinchens Hände rutschten mit einem
Ruck ab und sie taumelte getragen von ihrer eigenen zornigen Heftigkeit ein paar Schritte zurück, bevor sie sich unsanft auf ihre vier Buchstaben
setzte. Ein zweiter Wutschrei folgte dem ersten und wurde dabei von einem spöttischen Auflachen begleitet.

"Es ist gut, dass du Wut im Bauch hast", sagte die tiefe Stimme, welche zu dem Lachen gehörte. Der groß gewachsene Waldläufer kam herüber und hielt
Azalinchen eine helfende Hand entgegen. "Aber du musst lernen sie zu beherrschen, sonst beherrscht sie dich!"

Azalinchen packte die Hand missmutig und fühlte, wie sie mit Leichtigkeit wieder auf die Füße gehoben wurde. "Ja ja, ich weiß, achte auf deine Füße
und dein Gleichgewicht und die Richtung, in die du die Waffe führen willst", wiederholte sie, den Tonfall des Waldläufers nachäffend. Mit heftigen
Handbewegungen klopfte sie sich Gras und etwas Erde von der Hose.

"Du, es war nicht meine Idee, dir den Gebrauch von Schlagwaffen beizubringen!" gab Halros zu bedenken. Ein spöttisches Grinsen machte sich auf seinem
Gesicht breit. "Wenn du weiterhin mit dem Ding rumfuchtelst, als würdest du einen Teppich ausklopfen, wirst du bestimmt eine sehr gute Mückenjägerin!"

Azalinchen warf ihm einen finsteren Blick zu und schnaubte zornig. Sie packte die Waffe jetzt mit beiden Händen und zog sie zwischen den Steinen und
dem Gras heraus. Noch in derselben Bewegung schwang sie die Keule weiter und führte einen heftigen, halb gezielten Schlag gegen den Waldläufer. Dieser
blockte geschickt mit einem kleinen Übungsbuckler ab, den er an den Arm geschnallt hatte.

"Das war schon etwas besser", sagte er anerkennend und versetzte Azalinchen zugleich einen Klaps mit seiner eigenen Keule von der anderen Seite her.
"Aber du musst wirklich noch viel lernen, Kleines! Du hast vergessen, deine andere Seite mit deinem Buckler zu schützen, als dein Schlag pariert wurde.
Ich konnte auf diese Weise die aufgefangene Kraft deines Schlages gegen dich selbst richten."

Sie richtete sich auf und ignorierte den Schmerz, der von der Stelle am Oberarm her pochte, wo die Keule sie nicht gefährlich, aber mit Nachdruck
getroffen hatte. Ihr Stolz verbot es ihr, dem Waldläufer zu zeigen, dass es doch etwas weh tat. Da sie sonst nichts mehr weiter zu tun hatte, trainierte
sie in jeder freien Minute. Manchmal allein mit einem Sack Hafer, wenn der Waldläufer tun musste, was Waldläufer eben so zu tun pflegten, oder mit
Halros gemeinsam. Sie mochte den Langen, auch wenn er ihr so manches Mal nicht ganz geheuer war.

"Genug für heute?" fragte er grinsend. Er wusste genau, dass Azalinchen erst aufhören würde, wenn sie die Arme nicht mehr heben konnte. Allerdings
konnte er mit diesen Sticheleien ihre Wut entfachen, die sie brauchen würde, um zu lernen mit ihrer Kraft und ihren Gefühlen umzugehen.

Sie enttäuschte ihn diesbezüglich auch diesmal nicht. "Was von dem kleinen Stupser?" zischte sie durch die zornig zusammen gepressten Lippen. Mit
einem kleinen Schrei, der, wie sie gelernt hatte, ihre Kraft ein wenig zu bündeln mochte, hob sie die Waffe erneut und hämmerte sie so hart auf den
Buckler des Waldläufers, dass dessen Lederriemen sich löste und der kleine Holzschild davonflog. Azalinchen stieß einen triumphierenden Laut aus,
während Halros erst ungläubig dem Ding hinterher schaute und sich dann lachend ins Gras fallen liess.

"Gut, du hast gewonnen - nun bin ich wehrlos", sagte er grinsend. "Das war wirklich gut. Hast du es gespürt, wie der Schlag genau den Punkt getroffen
hat, den du anvisiert hast?"

Azalinchen schwieg einen Moment. Dann liess sie sich neben ihn fallen und starrte zu den rasch dahin ziehenden Wolken hinauf. "Kein Stück!" antwortete
sie zu seiner Überraschung nach einigen Augenblicken intensiven Schweigens. "Ich habe auf dein Knie gezielt!"

Halros lachte laut auf und erhob sich wieder. "Na denn - auf auf, keine Müdigkeit vorschützen, kleine Zwiens!" rief er, während er seinen Buckler
suchen ging. "Es wird erst in fünf Stunden dunkel, das sollten wir ausnutzen!"

An diesem Abend spürte Azalinchen ihre Arme kaum noch vor Muskelkater. Wieder und wieder hatte sie mit Halros die Schlagfolgen geübt, hatte wichtige
Trefferbereiche wiederholt und später unzählige Hiebe auf insgesamt drei Übungshafersäcke verteilt. Als sie nach Hause kam, brannte wie erwartet kein
Licht in den Fenstern. Im Smial war es kalt - es brannte kein Feuer im Kamin. In der Luft hing der Geruch nach verbrannten und zerkochten Kräutern.
Sie schickte sich an, trotz der Schmerzen in ihren Armen ein kleines Feuer im Kamin zu entfachen.

Kurz darauf breitete sich eine wohltuende Wärme im Smial aus. Azalinchen löste die ledernen Armschienen und liess sie in der Wohnstube auf den Boden
fallen. Das Geräusch, mit dem sie auf den hölzernen Boden auftrafen erinnerte sie beklemmend an eine enge Holzkiste. Sie liess die Schienen liegen
und schlurfte ins Badezimmer. Nachdem sie ein wenig Wasser in die Waschschüssel gegossen hatte und sich das Gesicht gereinigt hatte, starrte sie lange
in den Spiegel neben der Tür. Es fiel eben genug Licht aus der Wohnstube darauf, dass sie ihr Gesicht sehen konnte. Sie betrachtete ihre müde wirkenden
Augen, die etwas schmaler gewordenen Wangen und die schmalen Lippen. Mit der Linken strich sie sich eine Strähne ihres golden gelockten Haares aus dem
Gesicht und verzog es, als der Schmerz prompt von der Schulter bis in die Hand zog. Sie hielt in der Bewegung inne und musterte die Haarsträhne in ihrer
Hand und den geflochtenen Zopf, der warm und schwer auf ihrem Rücken ruhte.

Einer plötzlichen, wütend aufflammenden Regung folgend stürmte sie in die Küche, riss die Schublade mit den Küchenmessern auf und griff sich das scharfe
Bratenmesser. Dann stampfte sie mit entschlossenen Schritten sie ins Badezimmer zurück vor den Spiegel. Mit einer Hand ergriff sie den Zopf und hielt ihn
hoch mit der anderen packte sie das Messer - holte tief Luft und schnitt den Zopf mit einigen kräftigen Bewegungen dicht am Kopf ab.
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Kapitel 6 - II

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 21. November 2014, 14:57

Die Elbin schaute Elrond durchdringend an. Es war schwer in seinem Gesicht zu lesen was er dachte. Aber seine Augen erwiderten
ihren Blick sehr ernst. Dann atmete er tief ein und richtete sich auf. Vor ihm lagen Kartenwerke von Evendim, Forochel und zu
oberst vom Auenland auf einem niedrigen Tisch.

"Sie haben den Pass nach Forochel bereits überschritten. Calenglad sagte, er hat Nachricht von Torogethir, dass Bilwisse auch
über das Tor von Evendim gekommen sind", sie legte eine Hand auf die Karte von Evendim, zog sie zu sich heran und deutete auf
den Übergang zur den Nordhöhen.

Elrond nickte und betrachtete in Gedanken versunken die Karte vom Auenland. "Und Ihr seid Euch sicher, dass die Bilwisse, die
den Hobbit angegriffen haben aus Evendim gekommen sind?"

"Ganz sicher - ich erschlug einige ihrer Jäger, bevor sie das arme Geschöpf wieder aufgreifen konnten. Ihre Waffen trugen nicht
nur das Zeichen eines Stammes, der sich in den Ruinen Evendims ausbreitet. Sie hatten auch Fetische aus Angmar dabei!"

Elrond zog zischend Luft ein und ballte die Hände zu Fäusten. "Angmar", murmelte er nachdenklich.

Die Elbin senkte jetzt die Stimme, bevor sie weitersprach. "Ich fürchte der finstere Schatten ist im Norden wieder erwacht!"
Dann trat sie einen Schritt auf Elrond zu und blickte ihm fast beschwörend in die Augen. "Ich konnte ihn in seinen Augen sehen",
flüsterte sie angsterfüllt. "Und ich hörte ihn singen - flüsternd, aber erstarkend im Gebrabbel dieses unglücklichen Hobbits!"

"Was sagt Ihr da?" fragte Elrond alarmiert.

"Ich bin sicher, er hat von ihm Besitz ergriffen, mein Fürst!"

"Warum habt Ihr den Hobbit nicht sofort zu mir gebracht? Noch wäre womöglich Zeit ihn zu heilen, bevor sein Geist unrettbar
Schaden nimmt!"

"Ich fürchtete zu verraten, dass ich ihn bemerkt habe. Ich glaubte, es wäre besser, den Schatten glauben zu lassen, seine List
würde ihm gelingen und er hätte mich mit seinen flüsternden Gesängen getäuscht!"

Elrond seufzte. "Und vermutlich habt Ihr recht darin getan."

"Ich sagte seiner Frau, sie solle ihn hierher bringen. Aber Ihr wisst ja, wie tief verwurzelt das Misstrauen der Auenländer
gegenüber Fremden und insbesondere uns "Langen" ist. Sie wollte nichts von meinem Rat wissen."

"Dann können wir nur warten, zu welchem Zweck sich der Schatten seiner bemächtigt hat. Früher oder später wird er es uns denn
durch seine Taten verraten. Ich möchte, dass Ihr derweil die Waldläufer davon in Kenntnis setzt. Wir müssen äusserst vorsichtig
sein, denn die Absichten des Feindes sind rätselhaft. Was will Angmar mit einem Geschöpf wie einem Auenlandhobbit?"

Die Elbin neigte das Haupt und wandte sich zum Gehen und verließ die Bibliothek und anschließend das heimelige Haus in Richtung
der Pferdeställe. Sie würde sich umgehend auf den Weg machen - es lag ein langer Weg vor ihr.
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Kapitel 6 - III

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Dienstag 25. November 2014, 16:35

Mit lautem Krachen traf der Kopf der hölzernen Waffe auf den Schildbuckel und rutschte daran ab. Die junge Zwiens duckte sich geschickt
unter dem nachgeführten Hieb des gegnerischen Übungsschwertes hinweg und drehte sich um die eigene Achse, um den so gewonnen Schwung erneut
in einen kräftigen Hieb zu verwandeln. Sie traf erneut den Buckler und brachte ihren Gegner dazu zwei Schritte nach hinten zurück zu weichen.
Mit einem triumphierenden Kampfschrei drang sie wieder nach vorn und hieb die Keule ein ums andere Mal auf den kleinen Schild. Der hoch
gewachsene Waldläufer verlor sichtbar an Boden. Er schwang nicht minder geschickt sein hölzernes Übungsschwert, konnte aber keinen Treffer
auf dem Schild der jungen Hobbitdame platzieren, die wie im Tanz um ihn herumwirbelte. Schließlich blieb sein Fuß bei einem Rückschritt an
einem halb herausgerissenen Grasbüschel hängen und er verlor das Gleichgewicht. Es zwang ihm nur eine behände Bewegung ab, sodass er gewandt
über die Schulter abrollte und im nächsten Moment dank des eigenen Schwungs wieder auf die Füße kam. Gerade rechtzeitig, um den nächsten
wütenden Hieb mit seinem Buckelschild abzuwehren. Offensichtlich hatte die Zwiens nicht mit einer so eleganten Abwehrreaktion gerechnet. Sie
bewegte ihren Schild einen Herzschlag zu spät, verlor dadurch ihre Deckung und er versetzte ihr mit seinem Schwert einen leichten Hieb auf den
Schildarm. Auch wenn er den Hieb kurz vorher noch abbremste und sie nicht wirklich hart traf, schleuderte er ihr Arm zur Seite und sie kam aus
dem Gleichgewicht. Sie ruderte erst wild mit den Armen, dann ließ sie die Keule fallen und versuchte eher verzweifelt denn geschickt den
schmalen Ast einer jungen Auenlandeiche zu greifen. Noch immer mit den Armen rudernd sah sie, wie ihre Hand knapp daneben griff und sich
die Finger statt um den Ast um etwas Weiches krallten, dass sie im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Erschreckt löste sie die Hand und während
ein kleiner Überraschungslaut über ihre Lippen stolperte, kippte sie nun endgültig hintenüber und purzelte unsanft den Hügel hinab.

Unten angekommen blieb sie erst mal heftig atmend auf dem Bauch liegen und drückte ihr vor Scham brennendes Gesicht ins Gras. Was musste sie auch
so tollpatschig sein? Sie war so stolz darauf gewesen, dass sich das monatelange Training nun endlich bemerkbar machte, als Halros Schritt um
Schritt hatte zurückweichen müssen. Und jetzt war sie dummer Trampel wie ein Kinderball den Hügel hinab gerollt. Sie glaubt, dass sie dem Langen
niemals wieder würde in die Augen schauen können.

Eine kleine Hand Hobbithand klopfte ihr auf die Schulter. "Hast du ein Kupferstück verloren?" fragte eine weibliche, ziemlich dreist klingende
Stimme. Azalinchen drehte sich leise stöhnend auf den Rücken. Sie hatte Halros skeptisch angeschaut, als er nach zwei Wochen Training darauf
bestand, dass sie eine Übungsrüstung aus stabilen Stoff anlegte - in diesem Augenblick war sie ihm dankbar dafür. Sie fühlte sich, als wäre
jeder Zoll ihrer Haut mit blauen Flecken bedeckt.

Sie öffnete vorsichtig ihre Augen und blinzelte in das trübe Sonnenlicht, konnte aber das Gesicht des Hobbitmädchens nicht erkennen. "Und was
geht dich das an?" fragte sie lakonisch.

Das Mädchen zuckte die Schultern. "Eigentlich nichts, aber du verbeulst da meine Rüstung", antwortete die andere ziemlich unbeeindruckt.

"Deine...? Wie bitte?" Azalinchen richtete sich auf und betrachtete das fremde Hobbitmädchen genauer. Sie verengte die Augen zu Schlitzen. Auch
wenn ihr das Mädchen unbekannt war, wie sie feststellte, - eines wusste sie sofort - sie mochte sie nicht!

"Hast du Gras in die Ohren bekommen?" erkundigte sich das Mädchen etwas von oben herab. "Ich will, dass du da aufstehst - du zerbeulst meine
Rüstung!" Sie legte den Kopf schief und musterte Azalinchen mäßig interessiert. "Außerdem liegst du auf einem Ameisenhügel!"

Azalinchen blieb die Antwort im Hals hängen. Was bildete sie sich denn ein? Dann senkte sie langsam den Blick, noch immer an dem Gehörten fest
hängend und gewahrte, dass ihr jede Menge Ameisen über die Beine und den Bauch krabbelten. Mit einem Aufschrei hüpfte die Zwiens auf und begann
die lästigen Viecher abzuklopfen.

"Ich heisse übrigens Chastanya!" stellte sich das fremde Mädchen vor und hielt ihr grinsend eine Hand entgegen.

"Was du nicht sagst", schnappte Azalinchen und stapfte zu Halros, die dargebotenen Hand ignorierend.

Der Waldläufer hatte schmunzelnd seine Sachen zusammen geräumt. Eben sammelte er Azalinchens Buckler auf, der vergessen im Gras lag und wollte
ihn ihr zurück reichen.

"Nein danke, mir reichts für heute!" fauchte sie wütend. "Was soll das überhaupt heissen, ihre Rüstung?" verlangte sie zu wissen.

Halros räusperte sich. "Ach jeh, das ist doch nur eine Übungsrüstung - die gehört jedem, der sie tragen kann!"

"Huch und wieso hat sie die dann an?" warf Chastanya grinsend ein. Sie hatte jetzt einen Speer in der Hand und bewegte ihn ein wenig auf und ab.
Azalinchen warf ihr einen bitterbösen Blick zu. Am meisten ärgerte sie, dass ihr keine passende Entgegnung einfiel. Chastanya ließ den Speer
sinken und wollte Azalinchen neckend durch die stummelkurzen Haare wuscheln. "Na irgendwann passt sie dir auch, wenn du mal ein paar Muskeln
aufgebaut hast", sagte sie gönnerhaft und brachte Azalinchen damit fast zum Platzen.

Sie schlug die Hand beiseite, bevor sie ihr Haar berühren konnte. "Du bist so - so- kindisch!" brüllte sie, rupfte die Schnallen der Rüstung auf
und warf sie dem Mädchen vor die Füße. Dann stampfte sie hin und wieder vor Wut schnaubend davon und ließ Halros ein wenig verblüfft zurück. Er
schüttelte den Kopf und widmete sich wieder Chastanyas Speerübungen.

Azalinchen rannte auf dem direkten Weg zu dem Smial ihrer Eltern. Sie hatte nicht erwartet, zu Hause jemanden anzutreffen. Aber Hyazind war da
und huschte fieberhaft geschäftig durch die Räume. Auf Nachfragen ihrer Tochter reagierte sie kaum und ausweichend. Azalinchen verfolgte mit
großen Augen, dass Hyazind Kleidung zum Wechseln, etwas Proviant und einige Karten in sorgsam ausgewählten Rucksäcken und Bündeln verstaute.

Schließlich wurde es Azalinchen zu bunt. Sie packte ihre Mutter am Arm, als diese wieder an ihr vorbei eilen wollte. "Oh Liebes, ich habe keine
Zeit mit dir zu spielen!"

"Mama!"

"Och Süße", Hyazind ergriff einige der kurzen Strähnen ihres Haares, "was hast du denn mit deinen Haaren angestellt?" Sie stricht entsetzt durch
die goldenen Lockenstummel.

Azalinchen spürte heisse Tränen in den Augen. "Die sind schon seit Wochen ab!" schleuderte sie Hyazind entgegen, während sie sich aus dem Griff
der Mutter wandte. "Wo willst du nur hin?"

"Liebes ich muss deinen Vater nach Bree bringen! Ich habe gehört, dass sich dort anlässlich eines großen Marktes allerlei Leute aus aller Welt
treffen! Vielleicht sind ja auch Heiler dort, die ihm helfen können!"

"Mama? Mama, was ist denn mit mir? Warum..." Azalinchen schluchzte - sie konnte nirgends einen Beutel oder Rucksack mit ihren Sachen entdecken.

Hyazind ließ die Arme sinken und ging vor Azalinchen in die Hocke. "Liebes du musst hier bleiben - ich kann mich nicht um euch beide kümmern.
Dein Vater wird alle meine Aufmerksamkeit brauchen!"

Azalinchen starrte ihre Mutter ungläubig aus weit aufgerissenen Augen an. "Du ... du gehst weg? Ohne mich?" flüsterte sie wie betäubt. "Du...
du lässt mich allein?"

Hyazind seufzte als hätte ihre Tochter sich geweigert bei kaltem Wetter eine Mütze aufzusetzen. "Das verstehst du nicht...", begann sie, wurde
aber von Azalinchen zornentbrannt unterbrochen.

"Und wie ich verstehe!" schrie sie aufgebracht. "Du willst mich loswerden! Das ist es - ich bin dir egal, Papa ist dir egal, Hauptsache du kannst
allen beweisen, was für eine tolle Heilerin du bist!" Sie schluchzte wild auf. "Ich hasse dich!" schrie sie außer sich und begann die halb
gepackten Bündel durcheinander zu schleudern. "ICH HASSE DICH!" Als ihre Mutter versuchte sie in Arm zu nehmen, wie sie es früher getan hatte,
wenn sie gefallen war und sich das Knie aufgeschlagen hatte, stieß sie Hyazind so fest sie konnte von sich und stürmte heulend aus dem Smial.

Hyazind stolperte, von der Wucht des Stoßes überrascht, nach hinten und konnte sich gerade noch vor einem Sturz bewahren, indem sie sich an der
Kante einer Kommode festkrallte. Für einen Moment verharrte sie mit offenem Mund verblüfft ob der Kraft ihrer Tochter in ihrer Position. Dann
richtete sie sich zögernd auf. Betrachtete die durcheinander geworfenen Dinge und begann damit sie wieder sorgsam in die Bündel zu räumen. Sie
würde sich später um das Problem mit ihrer Tochter kümmern. Eines nach dem anderen. Nur so konnte ein Kuchen draus werden.
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Kapitel 6 - IV

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 28. November 2014, 13:29

Azalinchen rannte so schnell sie ihre Beine tragen wollten. Alle möglichen Smials flogen förmlich an ihr vorbei, sie ignorierte die Hobbits, die
teilweise in ihrem Gärten arbeiteten oder einen gemütlichen Vormittagsplausch am Gartenzaun hielten. Sie alle verhielten kurz in dem, was sie auch
immer taten, um der aufgelösten Zwiens für einen Moment hinterher zu starren.

"Ist das nicht die kleine Goldfuss", flüsterte es hier und da. Oder man raunte sich zu, dass das arme Mädchen die schwere Krankheit ihres Vaters
wohl offensichtlich nicht verwinden konnte. "Man sagt, das Mädchen treibt sich in den Hügeln herum und trifft sich mit zwielichtigen Gestalten",
wussten wieder andere zu berichten. Viele Köpfe wurden geschüttelt und noch mehr Gedanken gehegt und mehr oder weniger nette Gerüchte gestreut,
bevor man allgemein wieder dazu überging die nächste Mahlzeit, das Wetter oder die Geschäfte des Bürgermeisters und der Grenzer zu thematisieren.

Azalinchen bog inzwischen in eine kleine Seitengasse in der Nähe des Steinbruchs ein. Ein besonders heftiges Schluchzen entrang sich ihrer Brust
und sie musste beinahe Husten. Sie nahm sich nicht die Zeit kurz anzuhalten und zu warten, bis sich ihre Lungen wieder mit Luft füllten. Wütend
wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und riss das Gartentor auf, an dem sie eben angelangt war. Noch immer weinend stolperte sie zu der
wunderschön gelben Tür des groß angelegten Smials und klopfte die Nase unschön hochziehend. Als keine Antwort erfolgte, polterte sie nun etwas
heftiger an die Tür. Noch immer keine Reaktion. Azalinchen hieb mit der Faust auf die Tür ein und heulte auf, als ein scharfer Schmerz durch ihre
Hand stach.

"Na na na - wer will denn da gleich mit der Tür in die Stube fallen?" dröhnte eine tiefe von rechts.

Azalinchen fuhr herum, konnte aber niemanden sehen. Sie folgte den hübschen Gartensteinen, die einen sanft geschwungenen Weg auf den Rasen zeichneten,
zu einer kleinen Bank an der Seite des Smials. Hier saß ein älterer Hobbit, gemütlich sein Pfeifchen schmauchend. Er legte die Ausgabe des Auenländer
Wochenblatts beiseite, in der er wohl eben noch gelesen hatte, und musterte Azalinchen nicht unfreundlich. "Na was kann ich für dich tun, mein Kind?"

Azalinchen zog erneut die Nase hoch und versuchte ihre Gedanken zu sortieren. "Ich - bitte, ich suche Jolan", stammelte sie schließlich. Sie vermutete
zu recht, den Großvater ihres besten Freundes vor sich zu haben.

Der alte Hobbit zog an seiner Pfeife, überlegte einen Augenblick und formte mit den Lippen einen formvollendeten Rauchring. Während er dem zarten
Gebilde versonnen hinterher schaute sagte er, dass Jolan morgens das Smial verlassen hätte und er ihn seitdem nicht mehr gesehen hätte.

Azalinchens Wut verflüchtigte sich und das Mädchen sank bitterlich weinend auf den Rasen. Der alte Hobbit senkte die Pfeife und schaute sie betroffen
an. "Na, na, Fräulein, wer wird denn da etwas so jämmerlich zu beweinen haben?" fragte er mitleidig.

"Ich... es ist...nicht, dass ich... aber ich - wir...", Azalinchen verhaspelte sich und brach ab. "Ach, das könnt Ihr sowieso nicht verstehen!"

Da kam ihr eine Idee, wo sie Jolan würde finden können. Noch bevor der Alte etwas erwidern konnte, wandte sie sich ohne weitere Erklärung um und war
bald nicht mehr zu sehen. Der alte Hobbit schüttelte den Kopf und zog weiter an seinem Pfeifchen. Wer immer es auch war, der diese Jugend von Heute
verstehen konnte, er war es mit Sicherheit nicht. Er nahm seine Zeitung wieder auf und hatte das kleine, verzweifelte Mädchen alsbald über einen
Artikel zum bevorstehenden Törtchenbackwettbewerb vergessen.

Azalinchen wandte sich hinter dem Gartentor nach rechts und folgte einem schmalen, ausgetretenen Fußpfad, bald wieder rennend. Wenige Minuten später
hörte sie das Summen und Brummen, das sie erwartet hatte. Gleich darauf war sie von herrlichen Blumen, dicken, zufrieden summenden Bienen und hohem
Gras umgeben. Dieses Feld gehörte dem Honigbauern Meister Wollzeh und Jolan machte es sich immer mit einem Buch und sattem Proviant in der hohlen
Auenlandeiche am Rand des Feldes gemütlich. Er hatte sich darin Laub und Stroh so hergerichtet, dass es eine Art Lager bildete. Wenn er darauf
saß, mit dem Rücken am Stamm angelehnt, konnte er durch den Eingang die Wiese sehen und das Summen der verschiedensten Insekten hatten eine solch
beruhigende Wirkung, dass er nicht selten mit dem Buch auf der Nase eindöste.

Azalinchen lief zu dem Baum und schaute hinein. Obwohl sie die Reste eines ausgiebigen Zwischenmahles fand, war hier keine Spur von Jolan zu entdecken.
Sie stampfte enttäuscht mit dem Fuß auf und zerquetschte dabei beinahe eine behäbige Schnecke die just am Eingang ihre Bahn zog. Sie verkroch sich
unverzüglich in ihr sicheres Häuschen und kümmerte sich nicht weiter um das ungestüme Hobbitmädchen.

"Was machst du denn hier?" fragte Jolan unversehens hinter ihr und veranlasste die Zwiens einen Satz zur Seite zu machen, der die Schnecke in hohem
Bogen in einen Büschel Margeriten katapultierte.

"Oh Jolan, es ist so schrecklich", heulte Azalinchen los und warf sich an seine Brust. Der Junge schaute im ersten Moment ziemlich verdattert. Dann
schloss er unbeholfen die Arme um die bebenden Schultern. "Aber was ist denn nur geschehen?" fragte er ziemlich beunruhigt. So aufgelöst kannte er
seine beste Freundin gar nicht. Er wusste, dass sie in letzter Zeit nicht nur äusserst unausgeglichen und leicht reizbar war, sondern sich auch mit
allerlei seltsamen Volk herumtrieb. "Hat, hat dir jemand weh getan?" fragte er erschrocken einem plötzlichen Gedanken folgend.

Er drückte sie wenig von sich und hielt sie sanft an den Schultern, während er aufmerksam in ihrem vom Weinen verquollenen Gesicht forschte. Als sich
ihre Blicke trafen sah er eine so tiefe Traurigkeit und Einsamkeit darin, dass er sie erschüttert wieder in seine Arme zog. Sie vergrub noch immer
schluchzend ihr Gesicht in seiner Schulter.

"Sie wird fortgehen ... sie will mich allein lassen!" flüsterte Azalinchen tränenerstickt.

"Wer?" fragte Jolan verwirrt. "Wer geht fort?"

"Mama!" Mehr brachte sie nicht heraus, bevor ein heftiger Weinkrampf sie förmlich schüttelte. Seine Umarmung tröstete sie ein wenig, sorgte aber auch
dafür, dass alle aufgestauten Gefühle der letzten Monate hervorbrachen und ihre Einsamkeit aus ihr heraus schrien, dass sie meinte, ihr Herz müsste
daran zerbersten. Als ihre Knie zitterten und nachzugeben drohten, ließ sich Jolan auf den Blätterhaufen sinken, ohne sie dabei los zu lassen.

Wie lange sie so dasaßen und er sie wortlos im Arm hielt konnte er nicht sagen. Aber als die Sonne langsam zu sinken begann, wurde das Schluchzen
nach und nach leiser und ihr Atem wurde ruhiger und gleichmäßiger. Überrascht stellte er fest, dass sie eingeschlafen war. Eine etwas verzwickte
Situation, denn er saß auf seinem angewinkelten Bein und spürte schon an dem Kribbeln, dass es eingeschlafen war. Trotzdem blieb er tapfer einfach
weiter so sitzen.

Irgendwann, es kam ihm wie Stunden später vor, schlug sie die Augen auf und zog heftig die Nase hoch. Sie sah, dass draußen die Sonne bereits hinter
den Bäumen stand und lange Schatten über die Wiese warf und richtete sich auf. Jolan nutzte die Gelegenheit sein taubes Bein in eine andere Position
zu rücken. Azalinchen stand langsam ganz auf und sagte bedächtig, als träume sie noch, dass sie jetzt gehen müsse.

"Wie?" fragte er mit zusammen gebissenen Zähnen, denn sein Bein begann schmerzhaft zu kribbeln, als das Blut wieder durch alle Adern rann.

"Ich muss gehen", erwiderte sie unnatürlich ruhig. Ihre Augen glänzten fast fiebrig und hatten einen weit entrückten Ausdruck.

"Aber... du hast noch nicht einmal erzählt, was passiert ist", wandte er fast ein wenig ärgerlich ein.

"Das ist nicht mehr von Bedeutung", antwortete sie noch immer in jener äusserst beunruhigenden Tonlage. Sie lächelte gequält. "Danke, dass du bei
mir geblieben bist - Leb wohl!" Damit verließ sie den hohlen Baumstamm ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie würde niemals wieder zurück blicken.
Niemals. Von nun an würde sie ihren Blick nur noch nach vorn auf den nächsten Tag richten.

Mit jedem Zentimeter, mit dem die Sonne unter den Horizont sank, begrub sie eine glückliche Erinnerung an ihr Leben vor der Reise ihres Vaters, tief
in ihrem Selbst. Jeder Schritt, den sie in Richtung des Smials ihrer Eltern tat, führte sie weiter und weiter von ihrem gewohnten Leben fort. Wie
erwartet, war das Smial der Goldfussens verlassen, dunkel und inzwischen auch kalt. Sie brauchte nur wenige Minuten, um eine nützliche Dinge in einem
alten Rucksack ihres Vaters zu verstauen. Es war nicht viel und sie glaubte auch nicht, dass sie viel brauchen würde.

Sie trat in die frische Abendluft hinaus und genoss den kühlen Hauch auf ihrem Gesicht. Entschlossen machte sie den ersten Schritt von der Schwelle
der Tür. Ohne nochmal das Smial oder den Garten oder sonst irgendetwas aus ihrer Kindheit zu betrachten, ging sie die Straße hinunter und immer weiter,
bis Dachsbauten irgendwann weit hinter ihr lag.
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Kapitel 7 - I

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Mittwoch 3. Dezember 2014, 11:46

Der Regen trommelte gleichmäßig und eintönig auf ihre Kapuze. Kalter Wind kroch durch jede winzige Öffnung ihres inzwischen völlig durchnässten
Reisemantels. Azalinchen bezweifelte, dass sie je wieder richtig würde trocken werden und ihre Sachen würden wohl bis zum Julfest dafür brauchen.
Ein frecher Regentropfen fiel vom oberen Rand der Kapuze und blieb an ihrer Nasenspitze kurz hängen, bevor er ganz hinabfiel. Azalinchen nieste.
Das war wohl der trostloseste Tag, den sie jemals erlebt hatte. Die Straße war wie leer gefegt - nicht einmal Bauern waren mit ihren Karren
unterwegs und Spaziergänge sah man auch verständlicherweise keine. Sie hob kurz den Kopf und stellte fest, dass sie inzwischen die ersten rauchenden
Schornsteine von Stock sehen konnte.

Am ersten Tag war sie nur bis Balgfurt gekommen. Sie schnaubte. Noch nie waren ihr derart unfreundliche Leute begegnet. Es hatte sich keiner
gefunden, der ihr ein Plätzchen im Stall oder der Scheune angeboten hätte. Als es dann auch noch angefangen hatte zu regnen und sie nach wenigen
Schritten durch die letzten Reste des grauen Tages nass bis auf die Knochen geworden war, waren ihre Chancen auf ein warmherziges Lager im Stroh
endgültig dahin gewesen. Die meisten Hobbits hatten sie mit unfreundlichen Kommentaren zu Vagabundiererei und anderem unschicklichen Verhalten
bedacht und nicht einmal mehr die Tür geöffnet. Azalinchen hatte sich dann heimlich in den Schuppen eines verlassen wirkenden Hauses am Rande der
Siedlung geschlichen und es sich dort ein wenig in muffig riechendem Stroh und alten, ebenso muffigen Blättern halbwegs gemütlich gemacht. Obwohl
hier und da durch schlecht abgedichtete Ritzen im Holzdach noch Regen herein fand, war sie nach einem eher bescheidenen Mahl in unruhigen Schlaf
versunken.

Als sie von merkwürdigen Geräuschen geweckt wurde, war das erste, was sie gewahrte, nachdem sie ihre Augen aufgeschlagen hatte, das Ende einer Forke
nahezu unmittelbar vor ihrem Gesicht. Sie hatte aufgeschrien und sich unwillkürlich nach hinten tiefer ins Stroh gedrückt. Lange Rede kurzer Sinn,
der Hobbit, dem das bedrohlich aussehende Stallgerät gehörte, hatte sie recht energisch von seinem Hof gejagt. Dabei hatte Azalinchen einen guten
Teil ihres Proviants eingebüßt. Sie schnaubte erneut - was war sie froh, dass sie bald nichts mehr mit diesen Leuten zu schaffen haben würde. In
jenen ersten, frühen Stunden des neuen Tages hatte sie den Plan gefasst, nach Bree zu gehen. Was hatte ihre Mutter gesagt? Ein großer Handwerksmarkt?
Und viele Heiler würden dort sein? Vielleicht brauchte jemand noch eine gelehrige Gesellin, die bereits über etwas Wissen in Heilkunde verfügte.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto geschickter war ihr dieser Plan erschienen. Ja sie wurde sogar beinahe fröhlich bei dem Gedanken bald wirklich
alles hinter sich zurück lassen zu können. Die Hochstimmung hatte ungefähr zwei Stunden angehalten, dann hatte sie der beharrliche Dauerregen mit der
Wärme und der Trockenheit zusammen aus ihr heraus gespült wie Wasser die Lauge aus der Wäsche. Jetzt trottete sie tapfer einen Fuß vor den anderen
setzend die Straße nach Stock hinab und fragte sich, wie lange sie wohl nach Bree unterwegs sein würde. Auch wenn sie es nicht zugegeben hätte, in
diesem Moment, da ihre Füße unablässig durch Pfützen und Matsch platschten und sich der Schmutz in den blonden Haaren auf ihren Füßen verfing, fragte
sie sich, ob Schuhwerk wirklich so schlimm war, wie alle immer behaupteten.

Kurz darauf passierte sie die ersten Smials von Stock. Auch hier konnte sich wohl kein Hobbit für das unfreundliche Wetter erwärmen. Die Zwiens
spielte mit dem Gedanken, obgleich es gerade erst Mittag war, einen kleinen Zwischenstopp im Goldenen Barsch einzulegen. Der Gedanke erschien um so
verlockender, als der Regen just in diesem Moment eine Schippe zulegte und der Wind nochmals an ihrem Mantel zerrend bitterkalt auffrischte. Trotz
der widrigen Umstände lenkte sie ihre Schritte ohne große Hast nach links dem Dorfkern von Stock zu. Die Fenster der Smials waren hell erleuchtet
und mehr als einmal stieg ihr der Duft von Braten und Röstkartoffeln oder auch Kohlrouladen und Klößen schmeichelnd in die Nase. Azalinchen starrte
verdrossen auf den nassen Weg zu ihren Füßen und ging weiter in Richtung Gasthaus. Es war nicht mehr weit und sie konnte schon die große, runde
Eingangstür und den kunstvoll geschnitzten Barsch darüber sehen. Die Fenster waren auch hier hell und freundlich, aus der Gaststube drangen beim
Näherkommen satte Gerüche nach allerlei herzhaften Speisen und wohliges Gelächter zeigte, dass sie nicht die Einzige an diesem Tag war, die einen
Besuch im Barsch für eine lohnenswerte Idee hielt.

Neben einem der gemütlich strahlenden Fenster hielt sie an und spähte vorsichtig hinein. Es sah beinahe so aus, als habe sich halb Stock hier
versammelt. Azalinchen machte ein enttäuschtes Gesicht, als ihr die Vorstellung eines geruhsamen, eher einsamen Mittagessen abhanden kam. Sie konnte
durch die Scheibe einige gut gelaunte Hobbits sehen, die würfelten und dazu trotz der noch recht frühen Tagesstunde schon munter becherten. Einer
der übermütigen Hobbits trug seine langen Haare im Nacken zu einem Zopf gebunden. Azalinchen musste unwillkürlich grinsend daran denken, dass ihre
Großmutter wohl die Nase gerümpft hätte über solcherlei Respektlosigkeit gegenüber alter Hobbittradition. Ihre Oma hätte jetzt ausgiebig über die
Sittenlosigkeit der Jugend und den allgemeinen Werteverfall in der Gesellschaft geschimpft. Der Langhaarige stieg jetzt auf einen Tisch und zog ein
nicht minder übermütiges Hobbitmädchen mit sich hinauf und die beiden begannen ausgelassen auf der Tischplatte zu tanzen, während am anderen Ende
drei andere Hobbits fröhlich dazu sangen. Azalinchen trat einen Schritt vom Fenster zurück, bevor noch jemand auf die Idee kommen könnte, sie wolle
irgendwen ausspionieren. Resigniert seufzend strich sie sich einige Wassertropfen aus Gesicht und Stirn, fasste die beiden Träger des Rucksackes
fester und straffte die Schultern. Dann halt nicht.

Sie wollte jetzt eher allein sein und nicht sich irgendwo herumtreiben, wo allzu viel Trubel herrschte und einer der Anwesenden noch auf die blöde
Idee verfallen konnte, sie zu fragen, was sie allein bei solchem Wetter so weit weg von zu Hause machte. So wandte sie den gemütlich warm erhellten
Fenster des Goldenen Barsches den Rücken und verließ den Dorfplatz in Richtung Brandyweinbrücke. Sie hätte lieber die Bockenburger Fähre genommen,
aber in Balgfurt hatte sie aufgeschnappt, dass diese wohl bis auf Weiteres ihren Fährdienst eingestellt hatte. Zur Brücke war es noch ein reichliches
Stück Weg. Wenn sie gut voran kam, würde sie die Brücke wohl am Abend erreichen. Sie fragte sich, ob es dort wohl sowas wie ein Gasthaus gab oder
ob sie sich dann ein Lager für die Nacht würde suchen müssen. Wenn ja, wie stellte man sowas an? Azalinchen schnaubte erneut. Wie schwer konnte sowas
schon sein? Ein trockener Unterschlupf unter einem dichten Baum oder eine kleine Mulde in der Böschung - irgendetwas in dieser Art würde sich doch
wohl bestimmt finden lassen. Außerdem war es ja gut möglich, dass es zum Abend hin aufhörte zu regnen. Ja bestimmt würde es so sein. Es konnte wohl
schließlich nicht ewig weiterregnen. Sie verließ Stock ohne einen genaueren Blick auf die Smials rechts und links der Straße übrig zu haben. Ihre
Beine schmerzten und langsam bekam sie auch Kopfweh. Die Zwiens war kurz versucht doch umzukehren und das Gasthaus aufzusuchen. Wehmütig dachte sie
an warmen Blaubeerkuchen und frischen Apfelmost dazu. Und obwohl ihr das Wasser im Mund zusammen lief, setzte sie stur einen Fuß vor den anderen und
folgte der jetzt leicht gewundenen Straße weiter nach Nordosten.

Als sich der Tag seinem Ende neigte und es schließlich so dunkel wurde, dass sie kaum noch ihre Füße sehen konnte, die beharrlich weiter und weiter
ausschritten, tauchte im regennassen Dunkel endlich der Sockel der Brandyweinbrücke auf. Azalinchen nahm sich nicht die Zeit groß nach einem besser
geeigneten Unterschlupf zu suchen. Das Ufer war zu beiden Seiten des Brückensockels glatt und mit Gras bepflanzt. Hier würde es keine Mulde oder
Ähnliches zu finden geben. Auch ein Wachhäuschen war weit und breit nicht auszumachen. Zwar stand ein einsamer Grenzer rechts des Brückenbogens und
bewachte die Straße ins Auenland. Aber er sah weder besonders freundlich noch umgänglich aus. Sähe Azalinchen auch nicht, wenn sie erst einmal hier
ein paar Stunden mit Wache und Rumstehen hätte zubringen müssen. Sie nickte dem unleidlich wirkenden Grenzer knapp zu, senkte dann den Kopf und
betrat ohne Zögern die Brücke. Der Grenzer folgte ihr mit unwirschem Blick. Vermutlich hätte er fragen sollen, was so ein junges Mädchen bei diesem
Wetter ausgerechnet hier zu suchen hatte und welche wohl eher fragwürdigen Geschäfte sie aus dem Auenland führten. Aber er brummte nur irgendwas von
Warnungen vor Wölfen und Bären auf der anderen Seite und auf dem Weg nach Bockenburg, bevor er sich wieder seiner bei diesem Wetter trostlosen
Aufgabe widmete nach auffälligen Fremden Ausschau zu halten. Azalinchen erschien ihm, wenn auch ungebührlich auf Reisen befindlich, dann doch eher
harmlos und wohl kaum furchterregend. Tage später, als Azalinchen Verschwinden durch Anzeige der Großeltern, untersucht wurde, hatte er sich dann
freilich für diese Unachtsamkeit zu verantworten. Aber zu Azalinchens Glück war ihm das zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst - oder es scherte ihn
möglicherweise auch nicht.

Am Ende der Brücke blieb Azalinchen stehen. Hinter ihr verblasste das im Regen verwaschene Licht der Laterne des Grenzers und vor ihr herrschte nur
tiefste Dunkelheit. Sie wusste, dass dort schon die ersten Bäume als Vorboten des alten Waldes in lockeren Gruppen standen, aber dennoch konnte sie
ein Frösteln nicht unterdrücken. Was hatte der Grenzer eben von Bären und Wölfen gebrummelt? Und was war mit den ganzen Gerüchten über den alten
Wald selbst? Würde ihr Weg sie nicht nahe an ihn heran führen? Vielleicht gar hindurch? Sie erschauerte nochmals, als sich vor Unbehagen Gänsehaut
auf ihrem gesamten Körper ausbreitete - die nasse Bekleidung im recht kühlen Wind tat ihr übriges dazu. Ein vom Wind abgerissener Ast lag unlängst
nur einen Schritt von ihr entfernt auf der Straße, gerade eben noch im Dunkel erahnbar. Der würde einen prächtigen Prügel abgeben, dachte sie bei
sich, während sie ihn aufhob und prüfend in der Hand wog. Sie widerstand dem Impuls, sich umzudrehen und einen letzten Blick auf die Ausläufer des
Auenlands auf der anderen Flussseite zu werfen. Zum einen hätte sie im Dunkel der Nacht sowieso kaum etwas erkennen können und zum anderen wollte
sie nicht zurückblicken. Nicht zurück - nur nach vorn. Vergangen war vergangen - alles, was sie aus den Erfahrungen ihrer Vergangenheit hatte lernen
können, trug sie bei sich in ihrem Verstand. Jeder Blick zurück war unnötig und würde die Erinnerungen trüben und möglicherweise trügerisch verändern.
Das würde sie niemals wieder zulassen. Wenige Schritte weiter befand sich ein Abzweig ins Bockland. Sie überlegte, ob diese ihr nächster Weg sein
sollte, entschied sich aber dagegen. Sie wollte Bree sehen - ihr Herz entbrannte vor Abenteuerlust und ohne auf Müdigkeit oder Schmerzen in den
Beinen zu achten, setzte sie beharrlich ihren Weg fort.
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Re: Geschichte: Das Lied von Angmar

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Donnerstag 4. Dezember 2014, 12:42

Es dauerte nicht allzu lang und sie bereute diese Entscheidung zutiefst. Die Nacht legte sich wie ein erdrückender Mantel mit unheimlichen Geräuschen
und unbekannten Schatten im Dunkel um sie. Des Öfteren trugen emsige Pfoten wohl irgendwelches mausartiges Getier raschelnd durchs Gras rechts und
links der Straße. Diese war in einem mehr oder weniger desolaten Zustand. Über weite Teile fehlten die ehemals ebenmäßigen Pflastersteine ganz und
hier und da taten sich auch im Dunkeln unsichtbare Schlaglöcher auf. Zu Azalinchens Leidwesen waren diese auch noch vom Regen randvoll mit Regenwasser
gefüllt und sie platschte mehr als einmal unversehens hinein. Nicht, dass das ihre Kleidung hätte nasser machen können, aber das Wasser war kalt und
roch nach altem Laub. Sie fluchte halblaut, als ihre Zehen wieder an einen lockeren Pflasterstein stießen. Erneut kam ihr der Gedanke, dass Schuhe zu
einem solchen Abenteuer vortreffliche Weggefährten sein mochten. Ach zum Henker mit diesen Traditionen, die sich auf die Probe gestellt als äusserst
unpraktisch erwiesen. Als sie die nächste Wegbiegung erreichte und sich an dem Bild, das sich ihr bot, aber auch so gar nichts änderte, blieb sie fast
ein wenig entmutigt stehen. Jetzt pochte auch wieder der Schmerz des ungewohnten, ausdauernden Laufens durch ihre müden Beinmuskeln. Azalinchen musste
sich wohl oder übel eingestehen, dass sie heute Nacht nicht weiter voran kommen würde.

Sie wandte sich mit hängenden Schultern um und ging langsam den Weg zum Abzweig nach Bockenburg zurück. Zumindest hatte sie hier die Chance eine
freundliche Seele zu finden, die ihr ein Lager für die Nacht und ein wenig Schutz vor den Wölfen, die sie nun überall heulen zu hören glaubte, gewährte.
Missmutig rückte sie ihren Rucksack auf den Schultern zurecht und bog schließlich von der Hauptstraße in Richtung Bockenburg ab. Auch wenn Azalinchen es
in diesem Moment um alle Törtchen der Welt nicht zugegeben hätte, war sie doch sehr erleichtert, als sie endlich das Tor der Bockenburger Einfriedung
erreichte und es offen und von einem Grenzer bewacht fand. Dieser schien besser gelaunt zu sein, als sein Kollege von der Brücke. Er und schnitt sich
unter dem natürlichen Schirm einer Eiche sitzend mit einem kleinen Messer Stücke von einem stark duftenden Käse herunter, die er anschließend genüsslich
in seinem Mund verschwinden liess. Azalinchens Blick saugte sich für einen Moment an dem Käsestück fest und sie erinnerte sich, dass ihre letzte Mahlzeit
schon annähernd sträflich lange zurück lag. Sie nahm sich vor, ein ausgiebiges Mitternachtsmahl zu halten, sobald sie ein Lager für die Nacht gefunden
hatte. Vielleicht konnte ihr der Grenzer ja dabei helfen.

"Sagt guter Mann", begann sie an den Grenzer gewandt, wurde aber von einem jähen Wolfsgeheul aus Richtung der Hauptstraße unterbrochen. Der Grenzer sprang
auf und schenkte ihr vorerst weiter keine Beachtung. Der Käse fiel herunter und der emsige Hobbit versuchte hastig das große, runde Tor der Einfriedung zu
schließen. Azalinchen schaute zwischen ihm und dem nun herrenlosen Käsestück hin und her. Sie widerstand dem Impuls es an sich zu nehmen und wartete, bis
der Grenzer mit seiner Arbeit fertig war und das Tor mit zwei zusätzlichen Querbalken gesichert hatte. Schwer atmend setzte er sich wieder auf sein eher
trockenes Plätzchen und griff wieder nach dem Käse.

"Was kann ich für Euch tun?" fragte er, während er das Stück um einen weiteren Käseschnitzen erleichterte, um es sich genussvoll in den Mund zu schieben.
Es schien ihn nicht im Mindesten zu irritieren, dass die Wölfe nun den Geräuschen nach zu urteilen direkt vor dem Tor umherstreiften. Azalinchen dachte
still bei sich, was für seltsame Hobbits die Bockländer doch waren.

"Oh, ich suche ein Quartier für die Nacht, möglicherweise wisst ihr, wo ich dieses finden könnte?"

Er musterte sie eingehender. "Nun der Kleidung nach zu urteilen kommt Ihr nicht aus Bree, das ist schon mal gut. Allerdings gibt es für Auenländer keinen
Grund sich soweit von den Grenzen des Auenlandes entfernt aufzuhalten. Ich werde Euch nicht nach Euren Beweggründen fragen, aber Eure Anwesenheit lässt
an der Rechtschaffenheit Eures Aufenthaltes hier zweifeln!"

Azalinchen starrte ihn an. "Wie bitte?" hakte sie nach, in der Annahme sie hätte sich verhört und der Grenzer nicht etwas so Unverschämtes zu ihr gesagt.

Er seufzte, steckte sich ein Käsestück in den Mund und deutete, das Messerchen noch in der Hand, auf den Weg, der sich zwischen einigen kleinen Wiesen
hindurch weiter in die Dunkelheit schlängelte. "Da gehts zum Großsmial Brandybock - fragt da nach. Die haben meist einen Almosen für Bettler übrig!"
Auch wenn der gute Grenzer das eher nett meinte, traf er Azalinchen doch mitten in ihrem Stolz. Sie eine Bettlerin? Ja hatte der Hobbit denn keine
Augen im Kopf? Sie hob den Kopf leicht an und starrte den armen Grenzer mit aller Arroganz zu der sich noch, nach stundenlangem Marsch im Regen, fähig
war und machte auf dem Absatz kehrt. Was bildete sich der Einfaltspinsel denn ein? Ihre Großeltern gehörten zu einer der einflussreichsten und ältesten
Familien im ganzen Auenland! Sie konnte immerhin auf einen legendären, weithin bekannten Stammbaum zurück blicken. Wie weit mochte wohl der kümmerliche
Name dieses Grenzerwichts in die Vergangenheit reichen - vielleicht fünf Minuten?

Sie hing immer noch ihren wütenden Gedanken nach, als sie ein vielleicht zwei Stunden später todmüde und erschöpft nach Krickloch kam. Es mochte nun
schon nach Mitternacht sein und die Smials und gedrungenen Häuschen der Bockländer waren allesamt dunkel und schienen in tiefem Schlaf versunken. Auf
einem größeren Platz, der wohl so etwas wie ein Dorfplatz war ruhte sie sich ein wenig aus. Sie fühlte, dass ihr die Augen zufallen wollten und ihre
Wut verrauchte langsam. Vermutlich kannte man den Namen "Feinweber" hier nicht so gut, wenn auch die feinen Stoffe aus dem Auenland sicherlich auch
hier begehrt und gut bezahlt waren. Sie studierte für einen Moment die hiesige Anschlagtafel in der Hoffnung etwas über ein Gasthaus zu erfahren. Aber
es fanden sich hauptsächlich Aushänge eines Geschäftshauses namens Goldwert und die meisten davon drehten sich um Immobilien und Bankgeschäfte. Jemand
suchte einen entlaufenen Hund namens Fippes und ein Galfo Krummwäldler wurde von den Grenzern wegen irgendwas Belanglosem gesucht. Azalinchen lehnte
für einen Moment an der Tafel und stellte erstaunt fest, dass in der Zeit, in der sie die Anzeigen studiert hatte, der Regen endlich aufgehört hatte.
Was den unangenehm beissenden Wind nicht davon abhielt ihr immer noch eisig kalt unter den Mantel zu kriechen.

Als ihr Blick zufällig auf einen ausführlich beschrifteten Wegweiser fiel, kam ihr eine Idee. Sie suchte mit den Augen die aktuellen Immobilienanzeigen
dieses Goldwerts. Bei einigen standen denn auch Adressen dabei und da stand es zu erwarten, dass das eine oder andere Haus noch leer stand. Dort würde
sie niemanden stören, wenn sie im Schuppen übernachtete. Ein sehr guter Plan, wie Azalinchen fand, aber sie musste dennoch bei drei Häusern schauen,
bevor sie eines wirklich verlassen fand. Hier gab es keinen Schuppen, dafür aber einen defekten Kellerriegel. Sie öffnete die schwere Holztür vorsichtig
und spähte in das Dunkel dahinter. Nichts rührte sich. Ohne ein Geräusch zu verursachen schlüpfte sie hinein und liess die Tür hinter sich sanft hinab.
In dem Raum roch es modrig und äusserst muffig. Es war so finster, dass sie nicht einmal ihre Hand vor Augen sehen konnte. Sie stieß ein oder zwei leere
Fässchen und einen Eimer und Holzhocker um, als sie sich langsam voran tastete. Jedes Mal blieb ihr vor Schreck beinahe das Herz stehen und die Zwiens
rechnete halb damit, dass jeden Augenblick die Tür emporgerissen wurde und ein von den Nachbarn alarmierter Grenzer hereinstürmen würde. Aber es blieb
soweit alles ruhig.

Schließlich fanden ihre recht hilflos tastenden Finger einige alte, leere Säcke, die in einer Ecke des Kellers auf einen Haufen geworfen worden waren.
Aus einer anderen Ecke des Raumes drang ein scharrendes Geräusch herüber, als würden riesige, leere Schneckenhäuser über den Boden geschleift. Azalinchen
hielt den Atem an und lauschte. Aber das Geräusch wiederholte sich nicht und ausser dem Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren hörte sie auch sonst
keine anderen Laute. Das Hobbitmädchen stand unschlüssig in der Dunkelheit und überlegte, ob sie den Keller lieber wieder verlassen sollte. Die Angst fiel
wie ein großer Stein in ihren Magen und rumorte dort weiter. Sie glaubte jetzt in der Dunkelheit tausende Krabbelkäfer zu hören und dazwischen immer wieder
das klickende Geräusch einer zuschnappenden Schere. Wenn es hier nun spukte oder gar Ratten gab? Sie stolperte zurück in die Richtung, in der sie die Tür
glaubte. Dabei stieß sie an etwas, das sich wie ein Hutständer anfühlte. Aber das Material fühlte sich unter ihren nun schweißnassen Händen nicht wie Holz
an sondern viel glatter und härter. Aber als sie wieder danach greifen wollte, war er fort - vermutlich war er umgefallen. Etwas streifte sie jetzt am Kopf.
Azalinchen unterdrückte gerade eben noch einen Aufschrei und duckte sich unter dem unsichtbaren Hindernis hindurch. Dabei geriet ihre Hand in etwas eklig
Klebriges, das sich nicht wieder abschütteln liess. Sie keuchte und liess die alten Jutesäcke, die sie noch an sich gepresst hielt und vergessen hatte,
fallen und versuchte ihre Hand mit der zweiten Hand zu befreien. Mit einem widerlich saugenden Laut löste sich der klebrige Klumpen endlich von ihrer Hand
und blieb nun an der anderen Hand haften. Azalinchen schluchzte auf. Das war der reinste Horror. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie hatte das
Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Bei ihrem nächsten Schritt packte sie etwas am Fuß und hielt ihn gefangen. Mit lautem Getöse schlug sie der Kürze nach
hin und schmeckte Blut. Da war wieder dieser merkwürdig glatte Stock. Das Scherengeräusch war nun näher und sie hörte, wie Holz oder etwas Ähnliches
aneinander rieb, als würden irgendwo Mühlsteine mahlen. Sie wusste nicht woher, aber plötzlich hatte sie das Bild einer riesigen Spinne vor Augen. Sie hatte
schon von solchen Geschichten gehört - und nicht wenige davon spielten im alten Wald, der sich nur wenige Meilen von hier ausbreitete. Sie keuchte entsetzt
und versuchte sich fortzurollen. Aber plötzlich war sie zwischen mehreren Beinen gefangen - so viele konnte nur eine Spinne haben. Das mahlende Geräusch
mussten die Kiefer sein mit denen sie Azalinchens Fuß gepackt hielt. Azalinchen stieß einen Schrei aus, der allerdings in einem Gurgeln unterging, als sich
etwas langes um ihren Hals wickelte und sie beim Fortkriechen zurückhielt. Als ihr die Sinne schwanden spürte sie überall am Körper leichte Berührungen.
Dann wurde alles schwarz.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~


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