Ein Schneider im Sturzflug

Geschichten aus Tolkiens Welt vom Herrn der Ringe und anderen Werken.
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Filbu
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Re: Ein Schneider im Sturzflug

Ungelesener Beitragvon Filbu » Montag 24. November 2014, 00:38

Waldhof

Lange saßen sie in der Küche von Pontoweis zusammen und plauderten über die Geschehnisse der letzten Tage. Die Erkenntnis Schalotte wieder verpasst zu haben, hatte ihn wie ein Schlag getroffen und er saß die größte Zeit nur teilnahmslos neben den Geschwistern und suchte irgendetwas im Raum dass er in Grund und Boden starren konnte. Selbst um Pontoweis eine Bratpfanne über die Rübe zu ziehen hatte seine Kraft nicht mehr ausgereicht, so sehr er sich auch gewünscht hatte dem jüngeren Bruder von Schalotte eine Lexion zu erteilen. Doch es war nebensächlich geworden. Er hegte weder Groll, noch verspürte er ein anderes Gefühl das ihn weiter brachte. Lediglich ein tiefer Schmerz saß in seiner Magengegend und hinderte ihn daran im sitzen einzuschlafen. Er bemerkte auch nicht als Mispel ihn mehrmals ansprach um ihn nach seinem Befinden zu fragen. Erst als Pontoweis ihm die Wangen, etwas fester als es wohl nötig war, tätschelte, regte sich etwas in seinem Bewusstsein und er blickte ihn fragend an.

"Herr Buchsbaum. Ist mit ihnen alles in Ordnung? Sie sehen nicht gut aus? Sie sollten mal etwas essen. Und trinken sie endlich mal etwas. Sie fallen uns hier ja gleich noch von der Bank."? sagte Pontoweis und hielt Filbu das Glas hin

"Nein, danke. Es geht schon. Ich habe keinen Durst. Und Hunger habe ich auch keinen." erwiderte er mit kaum hörbarer Stimme und schob das Glas in Pontoweis Hand zurück.

Mispel sah ihn erst verständnislos, dann geradezu verärgert an und rückte ihren Stuhl näher an Filbu heran.

"Sie verfallen jetzt doch nicht in Selbstmitleid hoffe ich. Haben sie nicht gehört was Pontoweis gesagt hat? Sie hat sich auf den Weg gemacht um zu euch nach Hause zu kommen. Das ist kein Grund Trübsal zu blasen." sagte sie, legte ihre Hand auf seine und blickte ihm in die Augen. "Herr Buchsbaum. Versteht ihr denn nicht? Sie liebt euch. Ist das denn nicht Grund genug euch ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern?"

Er nickte nur müde und zog seine Mundwinkel etwas an. Ein Lächeln war es deswegen aber noch lange nicht.

"Ja....sie liebt mich." säuselte er vor sich hin "Ich sollte losgehen und...und...und dann? Stehe ich in Lindental wieder in einem leeren Smial weil sie es sich anders überlegt hat?"

Er schüttelte leicht den Kopf und sah Mispel hilflos an.

"Ich kann das nicht mehr. Noch eine Enttäuschung vertrage ich nicht"

Pontoweis blickte ihn mit ernster Miene an. Dann suchte er den Blick seiner Schwester die ihm nur ein Schulterzucken als Antwort gab.

"Einen Moment" sagte er entschieden und ging zur Tür hinaus. Filbu sah ihm nicht einmal hinterher. Dann hörte man draußen ein knarrendes Geräusch und das klackern einer Metallkette. Im nächsten Moment kam Pontoweis mit schnellem Schritt in die Küche hereingestampft. Mispel bemerkte noch vor Filbu den Eimer Wasser in seiner Hand und öffnete den Mund um etwas zu sagen. Sie kam aber nicht mehr dazu. Filbu sah nur noch einen Schwall Wasser auf sich zukommen und riss schützend die Hände hoch in der Hoffnung sich vor der herannahenden Nässe zu schützen. Das Wasser platschte ihm ins Gesicht und rang ihm den Atem ab. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Pontoweis fassungslos an. Dann packte ihn eine Hand am Kragen und zog ihn von der Bank hoch. Ihre Nasenspitzen berührten sich beinahe und er konnte in Pontoweis Augen die Entschlossenheit sehen die ihm selber fehlte.

"Jetzt hören sie mir gut zu Herr Buchsbaum. Ich bin nicht zuletzt auch euretwegen in den Brandywein gesprungen um diese dämliche Flasche herauszufischen. Ich hätte mir den Tod holen können. Sie sitzen hier herum als gäbe es nichts besseres zu tun. Wenn sie meine Schwester von Herzen lieben, reißen sie sich jetzt gefälligst am Riemen, packen ihre Sachen, verschwinden noch jetzt und bleiben nicht stehen ehe sie in Lindental vor dem Smial von Schalotte stehen. Haben sie mich verstanden?" sagte er und rüttelte an Filbus Kragen

"Aber....." antwortete er und wurde direkt von Pontoweis unterbrochen

"Kein aber. Ihr verschwindet jetzt sofort und geht zu meiner Schwester. Los jetzt."

Er entließ ihn aus seinem Griff und sah aus dem Augenwinkel wie Mispel zufrieden schmunzelte.

"Na los Herr Buchsbaum" sagte sie " Ihr habt doch gehört was mein Bruder gesagt hat. Geht nach Hause. Sie wird da sein. Ganz sicher wird sie da sein."

Filbu blickte sie an, sah dann wieder zu Pontoweis und ein Funke der Entschlossenheit schien endlich auf ihn überzuspringen. Langsam legte er sich sein Reisebündel über die Schulter und trat zur Tür um sich noch einmal umzudrehen.

"Und was wenn sie nicht da ist?" fragte er noch einmal zweifelnd

"Dann können sie sich immer noch in den Brandywein stürzen" sagte Pontoweis mit einem ironischen Unterton und fügt noch fast flehend hinzu "Jetzt gehen sie endlich."

Filbu nickte und verschwand zur Tür hinaus.

Die kalte Luft der Nacht holte die letzten Lebensgeister aus ihm hervor und er holte tief Luft. So tief dass er fast den Eindruck hatte er müsse sich daran verschlucken. Dann machte er einen Schritt vor den anderen und nach einer Weile begann er zu laufen. Seinen Blick immer stur geradeaus auf den Weg gerichtet, bemerkte er nicht wie die Nacht an ihm vorüber zog und die ersten Lichtstrahlen anfingen den Tag zu erhellen. Als er Wasserau rechter Seite liegen ließ bemerkte er die ersten Leute die ihr Tagewerk begannen. Manche blickten ihm verwundert hinterher und schüttelten den Kopf. Doch das störte ihn recht wenig. Zur Mittagszeit war er auf der Höhe von Hobbingen und er blickte vom Berg hinunter ins Tal zum Efeubusch. Seit Wochen schon hatte er den Efeubusch nicht mehr aufgesucht und auch jetzt schein sein Verlangen, Herward ein Distelbauch servieren zu lassen, nicht im geringsten vorhanden zu sein. Zum späten Nachmittag dann versuchte er sich möglichst unauffällig durch Wegscheid zu schleichen und bis auf ein paar freundliche Grüße die er murmelnd erwiderte, schien ihm das auch zu gelingen.

"Nicht mehr weit Filbu. Du hast es gleich geschafft." sagte er vor sich hin als er Wegscheid in südlicher Richtung verließ und an der Steigung noch schneller wurde. Er hielt das hohe Tempo nicht lange aber niemals blieb er stehen. Bis er vor dem Tor zur Siedlung stand und nach Lindental hineinsehen konnte. Er versuchte einen Blick in die Bachuferstraße zu werfen, konnte aber nichts erkennen. Die Sonne war soeben hinter dem Horizont verschwunden und die Dunkelheit hatte sich über die ruhige Siedlung gelegt. Er holte noch einmal tief Luft und lief dann den Windungsweg hinunter am Kupferkessel vorbei. Dann bog er nach rechts über die Brücke in die Bachuferstraße ein und seine Schritte wurden noch schneller. Er streckte seinen Hals aus um Licht oder irgendetwas auszumachen das dafür sprach das sie zuhause war. Das er sie wiedersehen würde.

"Schalotte....bist du da?" rief er schon von weitem und machte einen Satz über den Gartenzaun. Dann blieb er stehn.
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Filbu
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Re: Ein Schneider im Sturzflug

Ungelesener Beitragvon Filbu » Dienstag 25. November 2014, 13:10

"Filb…ahh..Filbu“ rief sie ihm entgegen

Sie war es. Wie erstarrt sah er sie an wie sie humpelnd auf ihn zukam. Ihre Haare waren zerzaust und ihr Gesicht war merkwürdig bleich. Es schien mit Mehl bestäubt zu sein. Sicher nicht Schalottes Art sich herauszuputzen. Doch dieser Gedanke dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. In Wirklichkeit fragte er sich wie er so lange hatte auf sie verzichten können. Ein Leben ohne sie machte so viel Sinn wie Schuhe an seinen Füßen. Aber hatte er das nicht schon immer gewusst?

Nur noch wenige Schritte trennten sie und die Zeit schien in diesem Moment still zu stehen.

Es ist erstaunlich wieviel ein Hobbit in so einer kurzen Zeit denken kann. Fühlen kann. Er wünschte sich Schalotte könnte jetzt in seinen Kopf sehen und ihm dabei behilflich sein, seine wirren Gedanken zu sortieren. Nach zeitlichem Ablauf, Wichtigkeit und anderen Kriterien würde sie akribisch einen Gedanken nach dem anderen in eine sinnvolle Reihenfolge bringen. Das konnte sie sicher besser als er.

Dann blitzte eine Erinnerung vor seinem inneren Auge auf.

Ihr erstes Aufeinandertreffen vor weit mehr als einem Jahr. Es war ein Merstagsabend und der Stammtisch war schon lange vorüber. Raflesia hatte ihn gebeten noch eine Weile da zu bleiben um ein Lied einzustudieren. Er hatte die Dame, die schon mit gerümpfter Nase in den Efeubusch hineintrat direkt bemerkt. Sie war anders als alle Damen die er bis zu dem Zeitpunkt kennengelernt hatte. Und sie hinterließ direkt einen bleibenden Eindruck bei ihm. Offenbar hielt sie wenig von der Musik. Sie fühlte sich durch den „Krach“ wie sie es nannte gestört und ihre Art das mitzuteilen kam einem Hammerschlag auf den dicken Zeh gleich. Und dennoch fühlte er sich von ihr angezogen. Filbu glaubte sicher nicht an Zauberei oder an irgendwelchen magischen Krimskrams. Solch einen Unsinn konnte man einfältigen Zwiens erzählen. Aber wenn er jetzt an alles zurückdachte fiel ihm keine gewöhnliche Beschreibung für das ein was diese Frau in ihm auslöste. Ob Liebe so etwas wie Zauberei ist fragte er sich und blickte immer noch wie erstarrt zu Schalotte hinüber die sich scheinbar kein Stück bewegt hatte.

Er blinzelte und ein neues Bild machte sich in seinen Gedanken breit.

Es waren Monate vergangen bis sie sich wieder sehen sollten. Sein Umzug nach Sprotten hatte dafür gesorgt, dass er ihr häufiger über den Weg lief. Und nicht selten stritten sie dabei wie die Kesselflicker. Dass sie dann eines Abends vor ihm stand und ihn so förmlich es nur möglich war dazu aufforderte ihr den Hof zu machen hatte ihn mehr als sprachlos gemacht. Sich diesen Drachens ins Smial zu holen schien ihm so sinnvoll zu sein wie Schuhe an seinen…….ach das hatten wir schon. Warum er letztlich genau das tat wozu sie ihn aufgefordert hatte konnte er sich bis heute nicht erklären.

Ein weiteres Mal blinzelte er und seine Gedanken hielten ein weiteres Bild für ihn parat. Immerhin schienen sie zeitlich angeordnet zu sein. Ob Schalotte doch….nein, unmöglich.

Es hatte weitere Monate gedauert. Monate in denen er manchmal der Verzweiflung nahe war. Sie hatte ihn aufgefordert ihr den Hof zu machen und ließ keine Gelegenheit aus ihn abblitzen zu lassen. Ein gemeinsames Picknick. Einige Umarmung die ihr unangenehm zu sein schienen. Ein kurzes Berühren ihrer Hand was sie jedes Mal zusammenzucken ließ. Das war alles. Wo andere Pärchen sich schon in ihre Smials zurückzogen und Dinge taten über die man besser nicht redete, musste er noch um jede Umarmung und jede Berührung bitten. Ein Besuch in ihrem Smial durfte nicht länger als eine halbe Stunde andauern. Was sollen denn die Leute denken, fragte sie ihn immer wieder. Einen Satz der ihm selbst nur allzu leicht über die Lippen kam, den er aber in diesen Momenten verfluchte. Und dann hatte sie sich doch irgendwann ergeben und ihren eigenen Gefühlen die Tür geöffnet. Er erinnerte sich an jeden Sekundenbruchteil dieses einen Kusses und musste schmunzeln. Sie hatte die Lippen so verkrampft zusammengespitzt. Erst die Berührung mit den seinen lockerte die Verspannung und entlockte ihr einen wohligen Seufzer.

Das Bild verflog und machte Platz für ein neues.

Wieder waren Monate vergangen. Monate in denen er viel unterwegs war. Die Zwerge sollte er gleich mehrmals aufsuchen. Auch den Keilermarkt in Bree ließ er nicht aus wenngleich er wusste wie sehr es Schalotte störte das er das Auenland verließ. Doch an diesem Abend sollte das nicht der Grund ihres Streites sein. Es ging wieder einmal um die Anzahl der Hochzeitsgäste.

„Die engsten Verwandten und die Trauzeugen. Das reicht aus Filbu.“ sagte sie bestimmend

„Und was ist mit den Leuten aus dem Stammtisch? Und die Zwerge? Das sind anständige Leute. Es gibt auch ein paar Lange die ich gerne einladen möchte und auch Elben stehen auf meiner Liste. Ich komme einfach nicht unter 100 Leute, Maus.“ antwortete er verärgert

„Hase. Du weißt gar nicht was du da sagst. Elben, Zwerge und Menschen. Das gibt nur Gerede. Du machst uns zum Gespött der Siedlung.“ erwiderte sie

„Weißt du was. Dann machen wir es ganz einfach und laden halt niemanden ein.“ sagte er wütend und mit einer guten Portion Trotz in der Stimme.

Sie hatten an dem Abend nur noch das allernötigste miteinander geredet und er war vor ihr zu Bett gegangen. Am nächsten Morgen war sie verschwunden. Jetzt wusste er den Grund. Pontoweis hatte ihn darüber aufgeklärt. Wie hätte er denn ahnen sollen, dass Schalotte seinen letzten Satz so falsch verstanden hatte. Er hatte trotzig reagiert. Wie ein kleines Kind dem man nicht erlaubt mit den Füßen ins Wasser zu gehen. Doch war es nie seine Absicht die Hochzeit abzusagen oder Schalotte zu verlassen.

Er blinzelte und war wieder im Hier und Jetzt. Sein Herzschlag schien ins unermessliche zu steigen. Langsam lösten sich seine Füße von dem Boden und er machte einen Schritt. Dann noch einen. Nur noch wenige Augenblicke. Tränen lösten sich aus seinen Augenwinkeln und kullerten über seine Wangen hinunter.

„Schalotte…komm zu mir“ sagte er leise
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