Von Schweinen und Stiefeln

Geschichten aus Tolkiens Welt vom Herrn der Ringe und anderen Werken.
Hamelia

Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Donnerstag 21. August 2014, 20:23

Hamelia ließ die schwere Tür ihres Häuschens in's Schloss fallen und stemmte den schweren Eimer in die Höhe. Sie kräuselte die Nase ob des Geruchs, schmunzelte seicht und blinzelte in den strahlenden Sonnenschein.
"Hallo Lia! Guten Morgen, Liebes! Schon so früh fleissig?", flötete es vom Wegesrand, der an ihrem Heim vorbeiführte. Natürlich hob Hamelia grüßend die freie Hand und klammerte sich fest an den Eimer, um ihn keineswegs fallen zu lassen.
"Frau Blogluch, guten Morgen! Die Schweine füttern sich ja nicht selbst, was?" Lia lachte ihre Nachbarin an. Diese schob auch schon ihre Schubkarre weiter ins Dorf hinein und versäumte nicht einen einzigen Hausbewohner auf ihrem Weg zu grüßen.
Die Bauern und Handwerker erledigten wie gewöhnlich die ersten Handgriffe bevor der Arbeitstag richtig losging, doch die Bergleute waren gerade auf dem Heimweg oder vor Sonnenaufgang schon im Stollen unterwegs. Ihr Bruder und ihr Vater teilten den Schichtplan, sodass Hamelia morgens ungestört ihr eigenes Tagewerk verrichten konnte. Mit ein wenig Mühe trug die kleine Kuduk den Bottich um's Haus herum und ließ diverse Reste und Gemüseschalen in den Schweinetrog schliddern. Wie gut, dass einige der Nachbarn genau wussten, dass Lia und ihre Schweine auf beinah verdorbene Reste angewiesen waren.
Grunzend schmatzten die Borstentiere ihr Frühstück, während sie sich an den Zaun lehnte und lächelnd beobachtete, wie sich sie rosa Schnäutzchen langsam rund und speckig fraßen. Hamelia liebte ihre Tiere, aber noch mehr liebte sie es, wenn sie eines davon als Schinken für ein kleines Vermögen verkaufen konnte.
"Lia.", sagte es freundlich hinter ihr. Sie wandt sich um und grinste Milofred an. Sein flammend rotes Haar strahlte in der Morgensonne und seine blauen Augen strahlten sie an. Ein Lächeln huschte ihr über's Gesicht und sie umarmte ihn flüchtig.
"Du solltest gehen, Vater und Gerry sind gleich wieder hier. Und du weisst was Vater davon hält, wenn du hier bist.." Sie schaute mit ernstem Blick an ihm vorbei und dann wieder mit einem sachten Lächeln zu ihm hoch. "Gerry und ich sind außerdem verabredet und ich muss noch einen Imbiss vorbereiten. Wir gehn in den Wald, Frischlinge suchen." Fix küsste sie ihn auf die Wange und lächelte ihn an. "Wir sehen uns später, ja?"
"Natürlich, Liebes. Gib Acht auf dich."
Grinsend schob Lia ihren Liebsten aus dem Gartentürchen und winkte ihm hinterher. Es war selten, dass er schon frühs bei ihr vorbeischaute und umso mehr freute sie es, wenn er es tat. Ihr breites Lächeln wandelte sich in ein fröhliches Summen und sehr liebevoll richtete sie für sich und ihren großen Bruder eine Vespernmahlzeit vor.
Als Goreo und Cufred Glennmuc zuhause eintrafen, war Hamelia geschnürt und beladen und wartete bereits. Ihr Vater setzte sich still wie eh und je in die Stube, doch Gerry zog sich eilends um und verließ mit seiner Schwester das Dorf Richtung Waldesrand.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Freitag 22. August 2014, 01:00

"Weisst du, Gerry... wenn Milo und ich erst einmal verheiratet sind, ziehen wir auf den Hof von seinem Großvater. Da können wir beide unsre Arbeit erledigen, uns um den alten mann kümmern und wenn wir Kinder haben, werden sie es gut haben. Das wird besser als in dem kleinen Haus am Dorfrand. Und nicht so nah am Fluß. Das ist nicht so gefährlich. Und Vater wird sehen, dass es das Richtige für mich ist." Hamelia plapperte mit strahlenden Augen vor sich hin und gestikulierte ausführlich um ihre Worte zu unterstreichen, während ihr älterer Bruder eine Stulle mümmelte und ihr hin und wieder ein schiefes Lächeln schenkte.
"Weisst du Lia, ich freu mich, dass du das so vorhast, aber unterschätz den Alten nich. Der wird Milo niemals gutheißen. Er wird niemanden gutheißen. Wer soll dann die Hausarbeit übernehmen? Und wo sollen wir das Geld hernehmen, wenn du die Schweine mitnimmst?"
Sie seufzte leise und schüttelte den trüben Gedanken aus ihrem Kopf. "Vater muss das verstehen. Milo und ich lieben uns so und wir werden glücklich sein und wenn es um den Haushalt geht, lass ich mir was einfallen. Die Nachbarin würde das machen. Oder ich würde ab und zu reinschauen. Und um das Geld brauchen wir uns nicht mehr sorgen. Wenn Milo und ich erst einmal verheiratet sind, wird sich das aufklären. Und dann unterstützt er mich und ich euch und so kommt eins zum Andern." Sie strahlte ihn an, doch er schüttelte müde lächelnd den Kopf.
"Du bist so blauäugig, liebe kleine Schwester. Ich gönn's dir ja, aber du nimmst das alles auf die leichte Schulter. Und naja.. jeder hat so seine Pflicht zu erfüllen." Sein Blick verfinsterte sich kaum merkbar und er blendete Hamelias geplapper aus. Irgendwer musste seine Mutter ersetzen, ob Lia das nun wollte oder nicht. Denn immerhin hat jeder seine Pflicht zu erfüllen. Er musterte seine Schwester mit schmalen Lippen und atmete schwer aus. Wie sehr wünschte er sich, sie würde ihrer Mutter ähnlicher sehen. Stattdessen war sie, wie er, ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Das schwarze, widerspenstige Haar, die grünen Augen und von Kopf bis Fuß mit Sommersprossen gesprenkelt. Einzig die helle Haut hatten beide Geschwister von der Mutter bekommen, die generell ein wenig zu verblassen schien. Er seufzte innerlich, konnte er die liebevolle Frau einfach nicht aus dem Geist bekommen. Die Frau die er gern in seiner Schwester wiedersehen würde, ebenso wie sein Vater. Gerrys Mutter war weich gewesen. Das trifft die Beschreibung am ehesten. Weich. Weiches lockiges Haar in einem sanften Haselnussbraun. Ebenso wie ihre warmen hellbraunen Augen und die weiche, weiße Haut. Eine wahre Schönheit, war sie damals. Gerry lächelte unwillkürlich, als er sich seine Mutter vorstellte, wie sie ihn umarmte, den Bauch bereits ausgiebig gewölbt. 'Wenn ich einmal eine Frau habe, wird sie wie Mutter sein', dachte er und betrachtete seine plaudernde Schwester aus dem Augenwinkel. Er hatte einmal versucht mit Hamelia zusammen ein Bild von ihr zu zeichnen. Er beschrieb genau wie sie ausgesehen hatte und Lia zeichnete so gut es ging mit Kohle auf der Birkenholztafel im Schuppen. Es gelang ihr nicht ganz, doch es war gut genug um ihm die Tränen in die Augen zu treiben. Das Stück Holz hatte er unter seinem Bett verstaut und betrachtete es hin und wieder, wenn ihm keiner dabei zusah.

Hamelia hatte von dem Gedankengang ihres Bruders keine Vorstellung. Sie ahnte nicht, wie sehr er ihre Mutter vermisste und wie sehr er sich wünschte, seine Schwester würde nach ihr kommen. Alles was sie von ihrer Mutter kannte, war ein undeutliches Bild, dass sie gezeichnet hatte. Sie dachte selten an sie, da sie es deutlich in den Blicken ihres Vaters spüren konnte, dass er sie für den Verlust verantwortlich machte. Allerdings konnte Lia nicht wissen, dass auch ihr Bruder hin und wieder diesen Gedanken hegte, auch wenn er es nicht gern tat. Sie spürte sehr oft, dass sie etwas gut zu machen hatte. Und das tat sie. Jeden Tag aufs Neue.
Bereits von kleinauf hatte Hamelia gelernt wie man einen Haushalt zu führen hatte, darum hatte sich Frau Blogluch gekümmert. Damals war sie allerdings viel jünger und unverheiratet. Eine herzliche Frau, die einen unersetzlichen Platz in ihrem Leben einnahm.
Als junges Mädchen konnte Hamelia die ganze Familie mitsamt Nachbarn bekochen, ein deutliches Talent schien sie auch zu haben, denn keiner konnte von ihren Kuchen genug kriegen. Frau Blogluchs Vater war es, der Hamelia das schlachten lehrte, als ihr Vater begann Gerry mit in den Steinbruch zu nehmen. Nach und nach baute sich das Mädchen eine kleine Schweineherde auf und besorgte den kompletten Kleinhof ihres Vaters.
'Aber bald wird alles anders!', dachte sich Hamelia lächelnd und schaute in die Baumkronen, als ihr Bruder sie stumm mit der Hand bremste und auf einen Frischling deutete, der munter im Waldboden nach Bucheckern wühlte.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Montag 25. August 2014, 22:24

Hamelia und Goreo wechselten einen vielsagenden Blick. Wie sonst auch, schlich Gerry tiefer ins Gebüsch und verschwand fast geräuschlos an der Seite. Seine Schwester allerdings ging sofort in die Hocke und beobachtete die Szene genau und konzentriert. Ihr Bruder und sie hatten schon etliche Male Frischlinge gefangen. Ungefährlich war das nie, doch die beiden verstanden sich wortlos. Abgesehen davon war ein Frischling eine Menge wert, gerade weil es so gefährlich war einen zu erwischen. Zwar waren die Jungtiere schon neugierig genug um sich allein herumzutreiben, doch man wusste nie wie weit entfernt sie von der Mutter tatsächlich waren.
So schlich Gerry also um den kleinen Keiler herum, suchte die Gegend ab und versuchte ihn ein Stück vorwärts zu treiben. Eine flachere Stelle würde es einfacher machen, den Frischling zu fangen. Hamelia, die genau wusste, was Gerry vor hatte, schlich bereits auf die linke Seite des Gebüsches zu und liess ihre Beute und ihren Bruder nicht aus den Augen.
Das Knacken hinter ihr kam unerwartet und ließ sie hochschrecken. Gebannt drehte sie sich um, langsam und geräuschlos. Es knackte wieder. Und wieder. Büsche raschelten laut und ungleichmäßig und Hamelia wusste ganz genau, was geradewegs auf sie zu kam. Sie drehte sich wieder um, suchte den Blick ihres Bruders und sah direkt in seine aufgerissenen, grünen Augen. Mit einem flüchtigen Schulterblick versuchte sie nun die Entfernung abzuschätzen. Das Schwein kam deutlich hörbar in ihre Richtung. Ohne weiter zu zögern setzte sie eilige, doch vorsichtige Schritte in die Richtung ihres Bruders. Gerry, für seinen Teil in sicherer Entfernung hatte begonnen einen großen Baum mit dickem Stamm zu erklimmen. Üblicherweise wartete er damit auf sie und sie halfen sich gegenseitig, doch diesmal schien ihn etwas aus der Fassung zu bringen. Hamelia eilte nun doch hektischer in seine Richtung und wie sollte es anders kommen: Sie zog das Augenmerk der Wildsau direkt auf sich und wurde prompt verfolgt. Es gab kein halten mehr für sie, sie lief achtlos zu dem großen Baum und bohrte damit nur weiter in der Wut des Tieres. Das wilde Schnaufen und Grunzen ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Selten war es so schief gelaufen und noch seltener war sie es, die von den Tieren verfolgt wurde. Ihr Herz pumpte unaufhörlich und sie geriet schier in Panik. So war sie den Ablauf nicht gewohnt. Es könnte sie den Kragen kosten.
Mit einem dumpfen Klatschen, prallte Hamelia gegen den Baum.
Harte, unbahmherzige Hände griffen nach ihr und zogen sie wild nach oben. Sie schaute verwirrt zu ihrem Bruder auf, der mit aller Kraft versuchte, sie in den Baum zu ziehen. Verwirrt und völlig neben sich hin das Mädchen nun am Baumstamm und ruderte orientierungslos mit den händen. Sie versuchte nach Ästen zu greifen und ließ sich von Gerry unsanft hoch hieven, doch gelang es ihr nur mit Mühe gewissen Halt zu finden. Üblicherweise war es für Hamelia kein Problem einen Baum im Kleid zu erklettern. Das hatte sie schon oft getan und war es gar nicht anders gewohnt. So sank sie auf einem Ast zusammen und versuchte ihr Herzklopfen zu beruhigen. Sie setzte sich gerade auf den Ast, die Füße baumelten herunter und sie grinste erleichtert. Die Wildsau peste wie angestochen auf den Baum zu und erstarrte, als sie sah, dass ihr Ziel höher im Baum saß. Wie gewohnt wollten die Geschwister ausharren, bis sich das Schwein besann und das Weite suchte.
Hamelia schaute dem Schwein zu und wurde schlagartig kalkweiß, als das Tier den Blick exakt auf sie richtete und sie den Hass beinah riechen konnte. Mit unnatürlichem Eifer nahm die Sau Anlauf und warf sich gegen den Stamm, sodass der ganze Baum zitterte. Wieder und wieder schüttelte sie den ganzen Baum durch, bis Hamelia tatsächlich den Halt verlor und vom Baum rutschte. Gerrys Hand grabschte nach Luft, als seine kleine Schwester hart auf den Boden schlug. Beinah schon langsam, richtete das Schwein den Blick auf Hamelia. Diese hielt sich entsetzt den Fuß, der bedenklich abgewinkelt stand und starrte das Tier stumm an. Mit einer flirrenden Bewegung setzte sich das Wildschwein in Bewegung und riess die Kuduk mit Leichtigkeit nach hinten.
"Hamelia!", hörte sie schallend vom Baum rufen und sah ihren Bruder schemenhaft schwanken. Die Welt verlor an Konturen und mit einem gewaltigen Schlag, rammte das Tier Hamelia an den nächsten Baum. Alle Luft wich aus ihren Lungen und sie blinzelte, als der Wald vor ihren Augen langsam schwarz wurde. Kurz bevor ihr die Augen völlig entsagten, liess das Wildschwein von ihr ab und schien erneut Anlauf zu nehmen. Hamelia lehnte erschöpft den Kopf an den Baumstamm, atmete langsam ein und wollte eben resignieren und die Augen schließen, als zwei gewaltige Pfeile die Bestie trafen. Der erste traf die Kehle und das Tier gab einen erstickten Schrei von sich, der zweite erlöste es und traf es zielsicher in den Kopf.
'Oh.', dachte Hamelia und schloß die Augen.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Dienstag 26. August 2014, 23:27

Ein stechender Schmerz in ihrer Leibesmitte, riss Hamelia aus dem Schlaf. Sie schnappte nach Luft und blinzelte ins Licht. Orientierungslos sah sie sich im Raum um und atmete flach, aber viel zu schnell. Wo war sie, was war gleich geschehen? Der Keiler?! Der .. der musste tot sein. Oder doch nicht? Sie verschluckte sich und hustete heftig, doch liess sie das sofort bleiben. Ein wenig röchelte sie vor sich hin und Tränen liefen stumm über ihre Wangen. Ganz langsam und vorsichtig tastete sie nach ihrem Bauch. Ihre Fingerspitzen stiessen sachte gegen einen dicken Verband und sie atmete erleichtert aus. Sie war versorgt worden und die schlimmsten Schmerzen hatte sie, wenn sie sich bewegte. Ganz flach und gemächlich atmete sie ein und aus. Schon einige Sekunden später erkannte sie das Zimmer. Im Kinderzimmer ihrer Nachbarin hatte sie das ein oder andere Mal genächtigt. Eine gemütliche Mittagssonne schien durch den Spalt in den Gardinen.
"Hal-", sie räusperte sich leise. "Hallo?"
Sie rutschte leicht im Kissen hoch und fuhr zusammen. Ihr Fuß schmerzte und als sie versuchte ihn zu bewegen, schien er ihr zu schwer und sperrig unter der Decke. Sie seufzte und sank wieder ins Kissen. Scheinbar hatte sie wohl Glück im Unglück gehabt. Trotz allem war ihr unklar, was passiert war. Sie blinzelte wieder und beobachtete kraftlos die Tür. Ihr Magen knurrte gewaltig und sie wartete ungeduldig darauf, dass Jemand herein kommen würde. Jemand der ihr erklären konnte, was passiert war. Aber sie war am leben. Ein seichtes Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus und sie beobachtete die Sonnenstrahlen, die den Teppich in einen See aus Licht verwandelten. Bald würde sie ihren Bruder sehen und ihn fragen, sie würde Milo sehen und ihm erklären können, dass alles mit ihr in Ordnung war..
Es war alles in bester Ordnung. Sie war lediglich erschöpft. Und hungrig. Und erleichtert.
Langsam dämmerte sie wieder weg und versuchte die Schmerzen auszublenden. Es gelang ihr nur in Maßen, aber zum dösen schien es zu reichen.
Als es ganz leise und zaghaft an die Tür klopfte, war Hamelia schon wieder tief eingeschlafen.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Mittwoch 10. September 2014, 15:19

Die rauhen Hände, die ihr Gesicht tätschelten um sie wecken, rochen nach Pfeifenkraut und Staub. Sie blinzelte träge und sah in die grünen, müden Augen ihres Vaters.
"Es ist Zeit, aufzuwachen, Hamelia.", er klang schroff und wenig liebevoll. "Ich kann mich nicht um deine Viecher kümmern und Gerry hat auch alle Hände voll zu tun."
Der Kloß in ihrem Hals steckte fest und als sie versuchte ihn runter zu schlucken, hatte sich Cufred schon umgedreht und das Zimmer verlassen. Ein dumpfer Schmerz legte sie lahm, als sie sich aufsetzte. Unwillkürlich fasste sich Hamelia an die Stirn und atemete tief ein. Schliesslich war ihr furchtbar übel und ihr Schädel wummerte. 'Eine Gehirnerschütterung? Vermutlich', dachte sie und seufzte leise. Wenigstens übertrumpfte das die Schmerzen in ihrer Leibesmitte. Der Sonnenstrahl fiel nicht mehr durch die Scheibe und sie vermutete, dass es später Nachmittag sein müsste.
Leise Schritte näherten sich und die angelehnte Tür wurde langsam aufgedrückt. Ihr Bruder lächelte sie schuldbewusst an und balancierte ein Tablett mit Suppe, etwas Weißbrot und einem Becher Apfelsaft.
"Hee, Lia. Schön, dass du munter bist. Ich hab etwas zu essen für dich. Hoffen wir mal, dass du's runter kriegst."
Sorgsam stellte er das Tablett ab und richtete alles für sie her, so dass sie ihre Brühe im Bett löffeln konnte.
"Wie lang lieg ich hier?", krächzte Hamelia leise und schaute Gerry aufmerksam an.
Er seufzte und setzt sich auf die Bettkante.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Freitag 12. September 2014, 16:05

"Vier Tage.. es hat dich ziemlich erwischt." Gerry schluckte schwer. "Du willst bestimmt wissen, was dir zugestoßen ist, nicht wahr? Ich meine, ich.. ich werd es dir erzählen. Aber erst wenn du wieder auf den Beinen bist, Kleines. Ich will nicht, dass dich das so sehr mitnimmt. Willst du... willst du nicht lieber etwas Suppe?" Er lächelte hoffnungsvoll und deutete auf den Teller. Hamelia nahm resigniert den Löffel zur Hand und rührte lustlos in der Suppe. "Hast du Milo Bescheid gegeben?", vorsichtig schaute sie zu ihm auf.
"Ja, natürlich hab ich das getan.. er wird morgen früh vorbeikommen. Wenn es dir Recht ist. Aber... nunja. Lass uns darüber nicht weiter sprechen.."
Die nächsten Minuten betrachtete Goreo seine Schwester dabei, wie sie still Suppe löffelte und kleine Brotstücke tunkte und schließlich brav aufaß. Sie schob das Tablett ein kleines Stückchen von sich weg und streckte sich.
"Ich will aufstehen. Ich.. ich denk ich kann das. Das tut nur ein bisschen weh.", bettelte sie. Ihre großen Augen, ließen seine nicht ausweichen und er gab nach. Er räumte alles bei Seite und schlug die Decke auf. Ihr Blick fiel unwillkürlich auf ihren verbundenen, geschienten Fuß.
"Gebrochen."
Sie nickte. "Das hab ich noch gesehen, bevor es .. naja jedenfalls hab ichs noch mitbekommen. Wird er richtig heilen?"
"Ja, du hattest bei dem Fuß Glück im Unglück. In ein paar Wochen wird alles wie vorher sein.." Er brach ab und rang sich ein Lächeln ab. "Versuch aber auf dem anderen Fuß zu stehen, ja?" Wieder nickte sie.
"Natürlich, ich bin ja nicht doof. Ich hab selbst schon Brüche geschient, das weißt du doch." Sie lachte leise auf und ließ sein Lächeln gefrieren. Ja, das wusste er. Er wusste mehr als er wollte, doch er schüttelte den Kopf um den Gedanken abzustreifen und half seiner kleinen Schwester aus dem Bett. Sie verzog das Gesicht, doch hörte nicht auf zu strahlen. Sie war überglücklich, denn sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis alles beim alten war.
"Ich möchte .. ähm.. ich würde gern auf den Abort und mich dann waschen. Ich schaffs schon allein. Keine Sorge."
Ohne dass Gerry widersprechen konnte, humpelte sie im Zimmer umher und warf sich die Strickjacke über. "Wenn ich nicht bald zurück bin, bin ich wohl ins Loch gefallen." Sie grinste ihm zu. Ihre Lebensfreude konnte ihr wohl kaum etwas nehmen. Dieser Gedanke brachte ihn dazu, zurück zu lächeln. Auf der Bettkante sitzend, wartete er, bis sie wieder hereinkam und etwas blasser aussah als üblich.
"Das war anstrengend... aber es ging gut."
Gerry grinste schmal. "Ich kenn dich. Und deinen Stolz. Mir ist klar, dass du das alles allein schaffen möchtest, aber übernimm dich nicht. Du hast immernoch Bettruhe. Also eigentlich." Er versuchte streng zu klingen, doch seine Stimme versagte ihm.
"Du, sagmal.. ", begann Hamelia und wurde etwas leiser. "Das sind viele Stiche, auf meinem Bauch. Was ist denn passiert? Und.. wer war das? Alma näht wunden viel feiner zusammen..." Mit diesen Worten legte sie ihre kalten Finger auf seinen Arm und suchte seinen Blick.
Sanft legte er seine warme Hand auf ihre und schaute sie nachdenklich an. Sie kannte den Blick, denn er suchte nach Worten.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Dienstag 14. Oktober 2014, 22:21

Schwer schluckte er, als sein Blick am Vorhang entlang strich und den dämmernden Lichtspalt suchte.
"Dieser Keiler, hat dich erwischt, als du vom Baum fielst. Dabei hast du dir den Knöchel gebrochen.. aber das ist das kleinere Übel, Lia..", brachte er mit brüchiger Stimme hervor. "Die Wunde am Bauch, kam von den Hauern des Schweines. Es hat dich geradezu entzwei gerissen.. also fast. Glücklicherweise haben die Duvodiad aus dem Westen das Biest erschossen, bevor es dich ganz umbringen konnte... allerdings..'', er schnaufte wieder. "Es hilft nichts, ich muss es dir sagen, früher oder später wirst du es eh merken. Sie haben dich zusammen geflickt und dich mit ihren eignen Arzneien versorgt. Weder Alma, noch sonst einer im Dorf hätte das hingekriegt, dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Das ganze hat aber einen gewaltigen Haken."
Hamelia schaute ihn gebannt an, als er erzählte. Die Waldläufer waren es also gewesen. Ein Glück für das kurze Volk, dass sich die Fremdlinge noch immer in Enedwaith herumtrieben. Erschöpft und nachdenklich lehnte sie sich ins Kissen. Beinah wäre sie nicht mehr gewesen.. Bei dem Gedanken wurden ihre Augen unheimlich klamm und sie blinzelte; eine Träne verselbstständigte sich und rollte die bleiche Wange hinab. Eilig wischte sich das Mädchen durchs Gesicht und wartete ein paar Augenblicke ab. Als sie schließlich tief eingeatmet hatte und ihr die Stimme wieder gehrochte fragte sie ihren großen Bruder: "Was für einen Haken? Hab ich.. nicht das Schlimmste schon hinter mir?"
Fast unmerklich schüttelte er den Kopf. Den Blick gesenkt, legte er seine große Hand auf ihre kleine, weiße und räusperte sich. Er wollte Zeit schinden, doch beide wussten, dass er dennoch gleich hervorbringen würde, was sie wissen musste.
"Verzeih mir, kleine Schwester, es bricht mir Das Herz dir das sagen zu müssen, aber.. du wirst in deinem Lebtag nicht ein Kind auf die Welt bringen können... Das Biest hat dich .. zu sehr verletzt und.. es gibt keine.. keine weitere.."
Er brach ab und schluckte erneut. Wie sollte man das auch sagen? "Es tut .. es tut mir leid."

Mit großen Augen starrte Hamelia Gerry an. Sie öffnete den Mund, doch schloss sie diesen ohne einen Ton heraus zu lassen. Widerstrebend zog sie ihre Hand unter seiner hervor und legte sie statt dessen auf ihren Bauch. Mit den Fingerspitzen zog sie die genähten Wunden nach und wehrte sich diesmal nicht gegen die Tränen, die still ihre Wangen herabrannen. "Und das steht... ganz sicher fest?"
Er nickte bloß.
"Ich muss Milo sehen.. kannst du.. naja. Kannst du ihn bitten, herzukommen?", flüsterte sie heiser, den Blick starr zur Tür gewandt.
Wieder nickte er.
"Ich wär jetzt gern allein... nimm die Sachen mit.", wisperte sie fast tonlos.

Gerry seufzte, als er die Tür hinter sich zu zog. Er konnte beinah hören, wie die Welt seiner kleinen Schwester in tausend Stücke zerbrach. Unwiderruflich.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Montag 3. November 2014, 17:55

Konzentriert und mit ernstem Blick beobachtete Hamelia ihren Verlobten, der sich im Türrahmen mit ihrer Gastgeberin unterhielt. Freundlichkeiten und Benimm, sie wusste ja wie wichtig das alles im Ort war, doch konnte sie kaum länger warten. Sie wollte und musste mit Milo allein sprechen.
Sie beobachtete jede noch so kleine Bewegung seiner Lippen als er sprach, die höfliche Gestik die seine Worte begleitete und wie seine zauseligen Haarsträhnen wippten und tanzten, wann immer er den Kopf bewegte.
Sofort setzte sie sich gerade hin und strich die Decke glatt als er lächelnd die Tür hinter Frau Blogluch zuschob. Mit seichtem, besorgtem Lächeln sah er Hamelia an und trat an ihre Bettkante.
"Liebes, wie schön, dass es dir etwas besser geht. Du hast mir gefehlt."
Seine Worte zauberten ihr ein Lächeln ins Gesicht. "Und du mir ebenso, Milo. Ich werd bald wieder auf die Beine kommen.. Ich hörte das Frau Blogluch bei meinem Vater vorbeischaut und den Haushalt in Ordnung hält. Geht es meinen Schweinen gut? Ich vermisse es so sehr draussen zu sein und .. meine Arbeit und .. alles."
Ihre Mimik verriet Freude, Bedauern und eine Menge Langeweile, als die Worte sich überschlugen. Schließlich legte Milofred seinen Zeigefinger sanft auf ihre Lippen um sie zum Schweigen zu bringen. Sie verstummte schlagartig und schaute ihn mit ihren großen Augen an. Milo hingegen ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und küsste sie sanft und strich ihr mit beiden Daumen über die Wangen.
"Sie werden sich alle daran gewöhnen und du bekommst ein wenig Ruhe, vor unserer Hochzeit. Ruh dich erstmal aus, bevor du wieder an andere denkst, Lia."
Sie schluckte den Kloß im Hals und nickte zaghaft. "Du hast ja recht, so nutze ich keinem richtig viel... also .. nun.. hat die mein Bruder schon erzählt was passiert ist?"
Er nickte knapp. "Ja, das hat er wohl, allerdings meinte er, es gäbe noch eine Neuigkeit, diesbezüglich die du mir besser selbst sagen solltest. Ist es Geld? Schulden wir den Duvodiad etwa viel?"
Verdutzt rieb sie sich über die Stirn und blinzelte. "Geld? Nicht dass ich wüsste.. es ist.. ein bisschen anders. Milo..." , sie unterbrach sich selbst und seufzte leise. "Es ist etwas bei dem Sturz passiert... mir fällt es schwer das zu sagen aber... es.. es muss einfach gesagt werden. Der Keiler hat mich schwer verletzt. Wir werden keine eigenen Kinder haben.."
Als die letzte Silbe ausgesprochen war, fiel der Druck wie Geröll von ihren Schultern und sie betrachtete ihren Milo aufmerksam.
Nach ein paar Momenten des Schweigens und der vollkommenen Reglosigkeit atmete der Hobbitjüngling tief ein.
"Nun dann.. werden wir eben besonders viele Schweine halten, nicht wahr? Die brauchen auch viel Aufmerksamkeit." Er schaffte es nicht ganz seine Worte so beschwingt klingen zu lassen und räusperte sich verhalten.
"Du bist .. nicht böse deswegen?", fragte sie und schaute ihn besorgt an. Sein rotes Haar wippte heftig, als er den Kopf schüttelte.
"Nein, du kannst ja nichts dafür. Allerdings.., Liebes, .. hab ich noch einiges zu erledigen heute. Ich werd dann die Tage nochmal nach dir sehen."
Er legte ihr sachte die Arme um die Schultern und drückte sie sehr behutsam. "Ruh dich jetzt aus. Wir sehen uns."
"Aber... willst du nicht noch bleiben? Zum.. Abendessen oder so?" Hamelias Worte zeigten ihre Unruhe sehr deutlich, doch er schüttelte wieder nur den Kopf.
"Das ist lieb gemeint, aber ich habe noch viel vor. Iss viel, schlaf viel und erhol dich dabei. Machs gut ja, Liebes?" Er lächelte sie warm an und strich ihr über den Arm. Wortlos nickte sie auf seine Verabschiedung und lehnte sich ins Kissen zurück, als er bereits an der Tür stand. Die Hand auf der Klinke ruhend, hielt er inne und schaute zu Boden. Mit leisem Seufzen trat er durch die Tür und war verschwunden.

Hamelia

Re: Von Schweinen und Stiefeln

Ungelesener Beitragvon Hamelia » Mittwoch 26. November 2014, 18:40

Einige Tage später...

Hamelia hantierte ungeschickt mit den Krücken, die ihr Gerry angefertigt hatte. Durchaus, waren es nicht die Besten die man sich vorstellen konnte, doch die einzigen, die sie hatte. Aufgeregt übte sie sich im Gehen und maß ihren Verletzungen nur noch wenig Aufmerksamkeit zu. Sie wusste, ihr Bruder würde sie abholen, sobald er aus dem Stollen kam und sie nach hause bringen. Wie sehr sie sich freute, zeigte sie an dem gestärkten, gelben Sommerkleid, dem passenden Sommerhut und den Schleifen mit denen sie sich die Zöpfe zurecht gebunden hatte. Alle sollten sehen, wie gut es ihr ging und ihre Freude teilen. Das Bündel mit den wenigen Habseligkeiten stand auf ihrem Stuhl und wartete so geduldig wie sie, dass es an die Tür klopfen würde. Frau Blogluch hatte mit ihr bereits das Mittagessen zubereitet und sie ein letztes Mal für ihre Krankenzeit eingeladen. Hamelia nahm sich vor ihr zum Dank, das größte Ferkel zu schenken, dass im Frühjahrswurf auf die Welt kommen würde.
Gerry klopfte und schob gleich im Anschluss die Tür auf. Er grinste fröhlich, als er seine Schwester so lebensfroh und hübsch zurecht gemacht im Raum stehen sah.
"Na, du hast wohl viel vor, was? Wofür das Kleid?"
"Ach das...", verschämt schaute sie an sich runter und grinste wie ein kleines Mädchen. "Ich dachte, wir gehen durchs Dorf und ich krieg ein bisschen frische Luft und seh wieder alle und ... ja..ich würde auch gern bei Milo vorbeigehen, wenn du nichts dagegen hast." Sie senkte die Stimme, bei den letzten Worten und lächelte Goreo unsicher an.
Er seufzte tief und nickte letztlich. "Weil du es bist. Aber wenn ich glaube, dass es dir zuviel wird, bring ich dich sofort heim, einverstanden?"
"Einverstanden!", strahlte sie ihn an.

Langsam, sehr langsam, und ohne Krücken tippelte die junge Frau neben ihrem Bruder her und stützte sich. Sie achtete auf den Weg und sah so oft es ging auf, um nichts zu verpassen. Tief sog sie die frische Luft ein und lächelte jedem Schmetterling und Käfer zu den sie bemerkte. Ihr Glück war kaum zu fassen, so sehr strahlte sie an diesem milden Tag mit der Sonne um die Wette.
Gerry genoß es, seine kleine Schwester so zu sehen und bekam nicht sofort mit, als sie jäh stehen blieb.
"Was..", doch unterbrach er sich sofort, als er ihrem Blick folgte.
Auf dem Dorfplatz sah er einige Kuduk, die einkauften, tratschten oder einfach spazieren gingen. Es war nach dem Mittagessen und Zeit die Mahlzeiten sacken zu lassen, daher tummelte sich das halbe Dorf hier. Sein Blick blieb aber, wie Hamis, an einem leuchtenden Rotschopf hängen.

Sie stockte, ihr Herz rutschte ihr in die Knie und sie merkte, wie ihr schwummrig wurde. Ihr Milo.. ihr Milo hielt eine Andere im Arm. Ihr eigener Verlobter. Sie schüttelte den Kopf und ihre Gedanken rasten, als hätte sie zuviel vom gesüßten Apfelwein aus dem Gasthaus getrunken. Wie benommen sah sie Goreo auf Milo zustapfen und hörte das Rauschen in den Ohren, das ihr langsam zu Kopf stieg.

"Was beim Jägersmann tust du da, Karottenkopf?!", brüllte Gerry ungehalten über den Platz. Milofred schaute überrascht auf. Das Mädchen mit den hellbraunen Haaren erinnerte Gerry schmerzlich an seine Mutter und er trat zügig an die beiden heran. "Was is das hier? Was macht sie hier?!" Er zeigte auf die junge Frau.
Milofred schluckte schwer und schaute knapp an Gerry vorbei. Dann erwiderte er mit hochnäsigem Ton: "Das ist Annbella. Meine Verlobte. Wir haben es vor ein paar Tagen offiziell gemacht." Er reckte das Kinn unschön in die Höhe und funkelte Gerry herausfordernd an. "Was geht es dich an, Schweinejunge?"
Gerrys rechter Haken riss Milofred von den Füßen.

Hamelia betrachtete die unwirkliche Szene von einiger Entfernung. Ihr Bruder, sonst die Ruhe in Person, stürzte sich auf ihren Verlobten und verprügelte ihn gnadenlos. Annbell, ein Mädchen, einige Jahre jünger als Hamelia selbst, stand betroffen daneben und rief, sie sollten doch aufhören und sich die Hände reichen. Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, dass alles real war. Sie kippte um. Es war einfach zuviel für ihr Gemüt und so beschloss ihr Körper sich noch eine Auszeit zu nehmen.
Es war Annbell, die sie behutsam wachtätschelte und fragte, ob denn alles in Ordnung sei. Hamelia schrak hoch. "Wo bin ich? Wieso passiert mir das immer?" Doch als sie sich umsah begriff sie, dass sie noch ihr Sommerkleid trug und es wohl nicht lange her sein konnte, dass sie auf dem Dorfplatz zusammengebrochen war.

"Dein Bruder hat meinen Milo einfach so überfallen.", sagte das Mädchen mit sanfter Stimme. "Er hat von zwei Männern was abbekommen und wird grad heim gebracht. Was is mit dir?"
Hamelia war bestürzt wie offen und freundlich Annbell mit ihr umging. "Ach.. ähm... mir... wurde..", stammelte sie langsam und begann leise zu schluchzen. "Dein... äh .. ich meine Milo. Wo ist der? Geht's ihm gut?", sagte sie leise. Nun war es Annbell, der einige Tränen in die Augen stiegen. "Wie freundlich du bist. Dein Bruder ist verletzt und du gerade noch ohnmächtig und schon sorgst du dich um Andere." Sie lächelte vor Rührung Hamelia aufrichtig an. "Er hat eine gebrochene Nase und ist gerade beim Heilkundigen. Einige Prellungen wird er haben, aber er wird zurecht kommen."
Hamelia blinzelte und starrte das Mädchen an. Sie kannten sich vom Sehen, wie das in Dörfern so üblich war. "Mhm.. ja... dein.. Milo sagst du?"
Annbell nickte freudig. "Wir sind schon einige Monate ein Paar, aber vor ein paar Tagen erst bat er Vater um meine Hand." Sie errötete wie das unschuldige Mädchen, das sie war. "Oh.." Hamelias Gesicht gab eine starre, lächelnde Maske zur Schau, als in ihr erneut etwas zerbrach. "So ein Schelm. War's vorher ein Geheimnis?", fragte sie mit bröckliger Stimme und zwang sich sogar Annbell zu zu zwinkern. Dann Stand sie mühsam mit Hilfe des Mädchens auf. "Oh, ja äh... hihi", Hamelia konnte Annbells Kichern kaum ertragen. "Er sagte, es wäre so schicklicher. Soll ich dich begleiten?" Doch Hamelia schüttelte den Kopf und streifte die Hand ab, die ihr das Mädchen auf den Arm gelegt hatte. "Nicht nötig. Weisst du, Milofred und ich sind zusammen aufgewachsen, weißt du? Grüß ihn recht herzlich von Hamelia Glennmuc und sag ihm, dass es mir aufrichtig leid tut.."
Annbell sah dem schwarzhaarigen Mädchen nach und lächelte. Wie schön es doch war, solch liebe Nachbarn im Dorf zu haben. Vielleicht würde sich diese Hamelia über eine Einladung zur Hochzeit freuen, dachte sie und eilte zu Milo um ihm bei seiner Verletzung beizustehen.

Hamelia stand in den Kleidern ihres Bruders vor seinem Bett und rüttelte ihn wach.
"Ich gehe. Halt mich ja nicht auf."
Er ächzte leise und hielt sich den Kopf. "Wie soll ich das auch machen?.."
Sie schüttelte den Kopf. "Ich geh in den Westen, wie die alten Kuduk damals. Verkauf die Schweine. Oder verschenk sie. Ich liebe dich, großer Bruder."
Wie ein Schatten war sie im Halbdunkel verschwunden. Gerry schaute verschlafen und benebelt vom Schmerz zur Tür und drehte sich um. Was auch immer das heißen mag, soll sies mir ein andermal erklären, dachte er und schlief wieder ein.

Auf Hamelias Bett, lag ein gelbes Sommerkleid, ordentlich ausgebreitet mit dem Passenden Hut dazu. Vor ihrer Kommode lagen einige schwarze Haarbüschel und ihre robusten Stiefel fehlten vor der Tür.

Epilog

Sie fror erbärmlich und ihr Magen knurrte, als wollte er sie anschreien. Hamelia stand vor einer riesigen Haustüre und wartete auf den Langen, der hier wohnen musste. Eine Tür ging ruckartig auf und eine braune, hochgewachsene Frau schaute sich um, senkte den Blick und sah Hamelia streng an. "Was? Wo sind deine Eltern?!"
Hamelia räusperte sich und lächelte fröhlicher als es ihr Herz zuließ. "Guten Abend. Mein Name ist Hamelia Glennmuc und ich suche etwas Arbeit. Ich bin auf der Dur-"
Die Tür schlug ihr vor der Nase zu. Kein Geld, keine Mahlzeit, kein Feuer, kein Bett und keine warmen Kleider. Sie schluckte schwer und wandt sich ab.
Als sie jedoch am Nachbarhaus ein offenes Fenster sah, auf dessen Fensterbank ein Brot zum auskühlen ruhte, wuchs in ihr ein Gedanke.
Leise, düster und schnell wie ein Nachtschatten, griff sie nach dem Brot und verzog sich hinter dem Dörfchen in eine Grasmulde und aß ihr Brot. Selten hatte ein Brot so gut geschmeckt.


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