Geschichte: Das Lied von Angmar

Geschichten aus Tolkiens Welt vom Herrn der Ringe und anderen Werken.
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Azalinchen
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Kapitel 7 - III

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 5. Dezember 2014, 15:10

Schmerz. Kälte. Dunkelheit. Einen leises, halb ersticktes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Irgendetwas Undefinierbares drückte gegen ihren Hals und
schnürte ihr beinahe die Luft ab. Ein Husten quälte sich ihre Kehle hinauf und wirbelte modrigen Staub auf, der ihr in die Lunge drang und noch mehr
Husten verursachte. Das Ding um ihren Hals zog sich bei den ruckartigen Bewegungen noch enger zusammen und würgte ihre krampfhaften Atemversuche ab.
Ihr linker Arm lag unter ihr und war taub. Die Finger ihrer rechten Hand ertasteten etwas Raues, das scheinbar ihren Körper einhüllte. Ihr Fuß war
verdreht und hing irgendwo fest. Sie lag in einer fürchterlich verdrehten Position, sodass ihr Rücken ein einziger Abgrund aus heftigen Schmerzen war.
Aber es schien, als läge sie noch immer am Boden. Vorsichtig mühte sie sich die Augen zu öffnen und umherzuspähen. Aber es blieb finster. Azalinchen
schluckte gequält und biss die Zähne fest aufeinander, während sie unendlich langsam und vorsichtig ihren Arm unter ihrem Leib herauszog. Nun konnte
sie immerhin schon den Rücken wieder etwas entspannen. Als kurz darauf der jaulende Schmerz durch ihren Arm raste, unterdrückte sie tapfer die
aufsteigenden Tränen und versuchte sich zu erinnern, was geschehen war.

Um sie her war es still. Obwohl hämmernder Kopfschmerz ihre Gedanken dämpfte, versuchte sie sich mit aller Macht darauf zu konzentrieren, was sie
erlebt hatte. Dann fiel ihr der nicht eben gemütliche Weg nach Bockenburg ein und wie sie im Keller eines leer stehenden Smials Unterschlupf vor dem
Wetter gesucht hatte. Die Spinne - fuhr es ihr mit plötzlicher Heftigkeit in den Sinn. Sie lauschte angestrengt. Irgendwo sang der Wind sein klagendes
Lied in irgendwelchen Spalten und Rissen im Gemäuer. Waren da nicht ganz leise die Trippelschrittchen von vielen kleinen Pfötchen zu hören? Ratten!
schoss es ihr durch den Kopf. Aber wie konnte das sein? Ein Monster wie in den alten Geschichten hätte doch zu allererst alle Ratten vertilgt deren es
habhaft werden konnte. Sie verzog das Gesicht, als der Kopfschmerz mit neuer Wucht gegen ihre Schläfen hämmerte, als wollte er den Schädel spalten.
Schwer atmend blieb sie erst mal liegen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

Also wie war das? Hier gab es Ratten - wie es sich anhörte jede Menge Ratten. Also war es umgekehrt ausgeschlossen, dass sich hier eine riesige Spinne
aufhielt. So weit so gut. Aber wieso konnte sie sich nicht bewegen und wer hatte sie nächtens angegriffen, um sie dann einfach liegen zu lassen? Der
Schreck fuhr ihr mit eisigen Fingern in die Glieder. Womöglich hatte sie einen Vagabunden oder Dieb gestört, der hier ebenfalls auf der Suche nach
einem Lager für die Nacht gewesen war. Und weil sie sich so heftig gewehrt und dabei eine Menge Krach verursacht hatte, hatte er womöglich das Weite
gesucht, nachdem er sie niedergeschlagen hatte. Aber wieso hatte er sie dann zuvor noch gefesselt? Sie stöhnte erneut auf und versuchte ihre Beine
ein winziges Stück zu bewegen. Aber ihr Fuß hing irgendwo fest und die Zehen waren eingeklemmt, was die Sache nicht unbedingt einfacher gestaltete.
Sie machte wieder ein wenig Pause und überlegte, was sie als nächstes tun sollte. Das Schlucken fiel ihr schwer, weil sich das Ding immer noch um ihren
Hals wand und sie leicht würgte. Daher beschloss sie, zunächst etwas dagegen zu tun.

Behutsam versuchte sie den nicht schmerzenden, am Körper entlang nach oben an ihren Hals zu heben. Dabei fiel ihr wieder das raue Zeug auf, dass sie
nahezu komplett einhüllte. Jetzt glitten ihre Finger über die seltsame Schlinge um ihrem Hals. Sie erwartete halb wieder mit den Fingern daran hängen
zu bleiben wie eine Fliege im Spinnennetz. Aber nichts dergleichen geschah. Statt dessen ließen sich die Finger ganz leicht unter das schlingenartige
Gebilde schieben. Sie umfassten das ebenfalls raue Etwas und nach einigem, vorsichtigen Rütteln löste es sich und sie konnte es ganz leicht nach oben
über das Gesicht hinweg schieben. Azalinchen bemerkte, dass sie unwillkürlich die Luft angehalten hatte und sog gierig die etwas muffige Luft des
Kellers ein, was ihr wieder für einige Minuten Husten bescherte. Doch diesmal war die würgende Schlinge fort und ihr Atem wurde tatsächlich ruhiger
und gleichmäßiger. Auch ihr anderer Arm schien wieder mit Leben gefüllt, sodass sie sich behutsam umdrehen und langsam aufsetzen konnte.

Dabei fiel die raue Hülle von ihr ab und plötzlich stachen grelle Lichtblitze in ihre Augen. Azalinchen hob eine Hand schützend vors Gesicht und mühte
sich etwas Deutliches zu erkennen. Es dauerte nur einige Sekunden, bis sie begriff, dass das Licht von der Tür des Kellers herrührte, die wohl auch
schon mal bessere Zeiten gesehen hatte. Durch einige größere Ritzen in dem Holz drang vereinzelt helles Sonnenlicht herein und stach wie Lichtdolche
durch das Dämmerlicht des Kellers. Der Anblick, der sich ihr weiter bot, nachdem sich ihre Augen etwas an das neue Zwielicht gewöhnt hatten machte sie
unglaublich sprachlos. Für einen Moment starrte sie ungläubig auf das Chaos um sie herum. Dann begann sie so heftig zu Lachen, dass sie erneut husten
musste. Am ganzen Leib zitternd wischte sie sich schließlich die Lachtränen aus den Augen und begann damit sich vollends zu befreien.

Zuerst streifte sie all die Jutesäcke ab, in die sie sich wohl bei dem Versuch unter der vermeintlichen Spinne hinweg zu rollen nahezu vollständig und
höchst selbsteigen eingewickelt hatte. Schamesröte wollte ihr in die Wangen steigen, als sie ihren Fuß aus einem uralten hölzernen Eimer zog, der
vermutlich nur noch von seinen Holzwürmern zusammen gehalten wurde. Schlussendlich krabbelte sie steifbeinig und noch immer schmerzgeplagt unter dem
Tisch hervor, unter den sie eingewickelt wie ein Würstchen im Schlafrock, gerollt war und dessen glatt gehobelte Beine sie im Dunkeln für die Beine
einer riesigen Spinne gehalten hatte. Das einzelne, vermeintliche Spinnenbein entpuppte sich als kunstvoller, Spazierstock mit nahezu perfekt
geschliffenem Eichenschaft, der wohl an einem der vielen zerbrochenen Holzmöbel gelehnt hatte. Noch immer Kichernd fragte sich Azalinchen, wie die
Nachbarn den wohl höllischen Lärm, den sie allein hier verursacht haben musste, hatten überhören können. Das Kichern blieb ihr im Halse stecken, als
sie ihren Rucksack nach einigem Suchen endlich unter einigen umgestürzten Kisten fand. Die Ratten oder Spitzmäuse gab es wohl wirklich, denn sie hatten
sich, während die Zwiens ohnmächtig am Boden gelegen hatte ausgiebig über ihren Proviant her gemacht und nicht das kleinste Krümelchen davon für sie
geschweige denn ein ganzes Frühstück übrig gelassen. Azalinchen liess die Arme sinken und rutschte mutlos an der Kellerwand nach unten, bis sie saß.

Wohin sollte sie ohne Essen denn noch gehen? Sollte ihr Abenteuer etwa schon zu Ende sein, bevor es überhaupt so richtig begonnen hatte? Eine äusserst
zarte Berührung an ihrer Hand brachte sie dazu den Blick zu heben. Eine winzig kleine, gefleckte Spitzmaus schnupperte zitternd und vorsichtig an ihren
Fingern. Azalinchen wunderte sich darüber, bevor sie begriff, dass ihre Finger womöglich nach dem Essen rochen, welches sie im Rucksack gesucht hatte.
Vermutlich hatte dieses kleine, ängstliche Geschöpf gerade genauso furchtbaren Hunger wie sie selbst. Azalinchen lächelte unwillkürlich. Vorsichtig
streckte sie die anderen Hand nach dem Rucksack, den sie achtlos hatte fallen lassen aus. Die Spitzmaus hob aufmerksam den Kopf und schnupperte eifrig
wobei sich ihre kleine Nase bald hierhin, bald dorthin bewegte. Sie schien Azalinchen aus klugen, schwarzen Knopfaugen zu mustern.

"Ich tu dir nichts", sagte Azalinchen freundlich und zog die Hand aus dem Rucksack und hielt sie dem kleinen Geschöpf hin. "Hier nimmt, das sind nun
wirklich die letzten, danach habe ich nichts mehr!" Die Spitzmaus schnupperte und nahm dann einen der Krümel in Azalinchens Hand vorsichtig zwischen
die Zähne und huschte davon. Wenige Fuß weiter blieb sie auf dem Balken eines vor langer Zeit zusammen gebrochenen Bettes blieb sie sitzen und machte
sich über den Krümel genüsslich her. Azalinchen beobachtete sie beim Fressen und erinnerte sich an ihre arme Henne. Mit einem unwirschen Kopfschütteln
scheuchte sie den Gedanken fort. Die Maus kam zu ihr zurück und kletterte neugierig in den Rucksack. Sie fand noch zwei große Krümel in einer Falte und
verputzte diese ebenfalls. Dann rollte sie sich zu Azalinchens großer Überraschung ein und machte es sich zwischen ein paar Leinentüchern, die die
Vorräte enthalten hatten, bequem.

"Oh, möchtest du mit mir mit kommen, kleine Maus?" fragte Azalinchen ungläubig lächelnd. Die Maus hob den Kopf und zwinkerte mit den Augen, als hätte
sie jedes von Azalinchens Worten verstanden und wühlte sich dann noch tiefer in die Leinentücher. "Na gut, dann mach es dir gemütlich - die Reise
könnte länger dauernd und ich weiss nicht, wann ich das nächste Mal wieder etwas zu essen für dich haben werde!" Azalinchen nahm an, dass di kleine
Maus von den anderen Mäusen hier immer vom Essen weggedrängt wurde - wenn sie mit ihr mitkam konnte sie es nicht schlechter treffen, als bisher. Sie
verschloss den Rucksack vorsichtig, achtete aber darauf, dass eine winzige Öffnung genug Luft für die kleine Maus hinein liess. Dann richtete sie sich
stöhnend auf, schulterte mit einiger Mühe den Rucksack und verliess den Keller eilig und verstohlen, wie ein Dieb. Nur, dass sie ausser der kleinen
Maus, die wohl niemand ernsthaft vermissen würde, nichts mitgenommen hatte.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~

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Kapitel 7 - IV

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 19. Dezember 2014, 17:14

Obgleich der Wind dicke Wolken über den Himmel jagte, schien dazwischen immer wieder die Sonne. Der Regen hatte sich im Laufe der Nacht
in nördlichere Regionen aufgemacht und hatte lediglich große Pfützen und tropfende, dichte Bäume zurück gelassen. Azalinchen hatte sich
sehr vorsichtig und nahezu lautlos davon gemacht. Zunächst hatte sie die Richtung nicht wiederfinden können. Aber nach ein oder zwei
Stunden hatte sie endlich den Hag gefunden. Freilich war dieses Gewächs für sie nichts weiter als eine sehr hohe und dichte Hecke, denn
sie konnte ja nicht wissen, dass diese das Bockland erfolgreich vom alten Wald trennte. Aber sie huschte daran entlang, auf der Suche
nach einer einigermaßen passierbaren Lücke im dichten Geäst. Sie war der Sonne entgegen gelaufen bis sie auf die Hecke traf. Als sie deren
Verlauf weiter nach Norden folgte wurde das Bockland langsam lebendig. Hier und da schwebten seltsame Gerüche zu ihr herüber und sie
ignorierte verbissen die dadurch hervorgerufenen Gedanken an ihren vor ungewohnten Hunger knurrenden Magen. Teilweise wurde Azalinchen
auch Ohrenzeuge von Gesprächsfetzen, die sich weitestgehend um Geschäfte, Marktpreise und Klatsch drehten. Es war gar nicht einfach den
Besitzern dieser "Neuigkeiten" ungesehen aus dem Weg zu gehen. Mehr als einmal musste sie sich so tief in die nassen Blätter der Hecke
drücken, dass sie das Gefühl hatte sie würde die spitzen Ästchen niemals wieder los werden.

Einmal kam ihr ein Bauer so nahe, dass er sie eigentlich hätte bemerken müssen. Da geschah es. Sie drückte sich soweit es ging in die
Blätter, drehte die Schultern ein wenig, um an einem dicken Ast vorbei mehr Platz zu gewinnen. Der Ast verfing sich in ihrem Mantel und
riss mit einem fast leisen Ratschen ein Loch hinein. Azalinchen rutschte ab, verlor das Gleichgewicht und purzelte kopfüber in die
Hecke hinein. Unwillkürlich kam ihr das Bild eines riesigen Untiers in den Sinn, welches sie gerade mit Haut und Haar einfach hinunter
geschlungen hatte. Azalinchen stellte aber fest, dass es kaum zu einem besseren Zeitpunkt hätte geschehen können. Sie lugte durch einige
dicht belaubte Zweige hindurch und sah gerade noch, dass der Bauer eben so an ihr vorbei hastete, dass sie ihn hätte berühren können,
wenn sie gewollt hätte.

Für einen Moment blieb die Zwiens noch hocken und lauschte, auf das leiser werdende Geräusch der Schritte des Hobbits. Die Spitzmaus in
ihrem Rucksack bewegte sich ein paar Mal und war dann wieder ruhig. Scheinbar hatte sie ihren Schlafplatz geändert. Azalinchen nutzte
den Moment einen Blick auf das Innere der Hecke zu werfen. Sie war an dieser Stelle in Etwa fünf Fuß breit und mit dichtem, dunkelgrünem
Laub bewachsen. Weiter oben im Geäst konnte man silbrig schimmernde Spinnenweben erkennen, deren Bewohnerinnen wohl von der Größe eines
Handtellers sein mochten. Erschrocken ließ Azalinchen ihre Blicke zwischen den Ästen herumkreisen in Erwartung mehrere achtpaarige Augen
auf sich gerichtet zu erspähen. Aber ausser harten, grünen Blättern, dunklen Ästen und Regentropfen war nichts weiter zu sehen. Der Spalt,
durch den sie hier hinein geplumpst war, hatte sich seltsamerweise beinahe vollständig geschlossen. Es schien fast, als würden die dünnen
Äste in einander greifen, um eine undurchdringliche Wand aus Holz und Blattwerk zu bilden. Azalinchen unterdrückte ein Schaudern bei dem
Gedanken diese Gewächs könnte lebendig sein. Kurz huschte ihr das Bild wieder in den Kopf, von einem Untier verschlungen worden zu sein.

Sie rappelte sich hastig auf und versuchte weiter durch das Innenleben des Hags zu dringen. Aber das wollte ihr nicht so recht gelingen.
So sehr sie an den Ästen zog und schob, so sehr schienen diese sich dichter und unnachgiebiger zu verweben. Wieviel Zeit genau vergangen
war, vermochte sie nicht zu sagen - aber die Richtung aus der das inzwischen wieder spärliche Licht des Tages durch das Blätterkleid
sickerte hatte sich bereits erheblich nach Süden verlagert. Da es hier zwischen all den Zweigen und Blätter windstill war, begann Azalinchen
bald zu schwitzen. Schweißtropfen rann ihr nun in die Augen und erschwerten das Unterfangen ungemein. Sie hielt einen Moment inne und
angelte nach einem der Leinentücher in ihrem Rucksack. Sie befeuchtete es umsichtig mit etwas auf einigen Blättern verbliebenem Regenwasser
und kühlt sich damit die Wangen und die Stirn etwas. Aus ein ihr unbekannten Grund hatte das Wasser eine unglaublich belebende Wirkung auf
sie und sie begann mit doppelter Anstrengung sich weiter durch die Hecke zu arbeiten. Nach unendlich folgenden, weiteren Mühen stieß ihre
Hand tatsächlich endlich auf der anderen Seite durch die Blätterwand. Ihre tastenden Finger konnten keine weiteren Blätter mehr ertasten
und beseelt von neuem Mut brach sie endlich nach stundenlanger Plackerei ganz hindurch. Was sie sah, ließ ihr den Atem stocken.

Düsteres Zwielicht schmiegte sich um breite, uralte Baumstämme, an denen hier und da faustgroße Spinnen entlang huschten. Die Luft lastete
stickig und voll finsterer Vorahnungen auf den Bäumen und Büschen - schlagartig schien mit dem Hindurchrutschen durch die äußere Wand der
Hecke jedes Geräusch aus der Welt verdrängt worden zu sein. Es war unnatürlich still für einen Wald. Die einzigen Geräusche schienen tief
aus dem Wald hervorzukriechen. Ein dumpf hallendes Ächzen von Holz schlich sich hinundwieder durch die zwielichtige Dämmerung und hinterließ
bei Azalinchen das ungute Gefühl nicht lange hier verweilen zu wollen. Die Hand links an der Hecke, als befürchte sie, diese plötzlich zu
verlieren, schlug sie den Weg nach Norden ein. Rechter Hand die dunkel drohenden Bäume, die düster und schweigend ihr Geheimnis hüteten.

Je weiter sie nach Norden kam, desto belastender wurde die allumfängliche Stille. Azalinchen hätte schwören können, das eine oder andere
Mal das Schlagen ledriger Flügel zwischen den hohen, ausladenden Häuptern der Bäume hören zu können, aber im Dämmerlicht konnten ihre Augen
die Verursacher nicht erspähen. Mancher Orts war der Wald so dicht an die Hecke herangerückt, dass seine Äste weite darüber hinaus hingen.
Hier war das Dämmerlicht beinahe so dunkel wie die Nacht. Azalinchen mochte das Gefühl nicht, dass die wie steinern wirkende Borke der
alten Bäume ihr verursachten. Unzählige Geschichten rankten sich um diesen Wald und selten hatten diese einen guten Ausgang. Unwillkürlich
beschleunigte Azalinchen ihre Schritte und hastete nun beinahe ängstlich über knorrige Baumwurzeln hinweg, die sich ihr entgegen zu recken
schienen, und an mächtigen Ästen vorbei, die mit langen, verkrüppelten Fingern nach ihren Kleidern und Haaren zu greifen schienen. Die eiligen
Schritte ihrer nackten Füße pochten dumpf auf dem Waldboden in unwirklich anmutenden Rhythmus. Nicht einmal die teils riesigen, weißen Blüten
unbekannter Blumen konnten sie dazu verführen, für einen Moment inne zu halten und sie zu betrachten. Azalinchen bemerkte gleichwohl den
schweren, betäubenden Duft, der zwischen den riesigen weißen Blütenblättern hervorströmte und atmete reflexartig flacher, um nicht allzuviel
davon abzubekommen. Dennoch hatte er eine verwirrende, ermüdende Wirkung auf sie. Schon begann sich der mit weichem Moos und altem Laub
gepolsterte Korridor, zumindest mutete der künstlich von Gestrüpp und Büschen befreite Zwischenraum zwischen Wald und Hecke so an, vor ihren
Augen sanft zu drehen. Das Hobbitmädchen versucht in Gedanken zu überschlagen, wie lange es dauern würde, der Hecke bis zu Oststraße zu folgen.
Aber sie konnte den Gedanken nicht lange genug halten, während ihr schwindeliger und schwindeliger wurde.

Rechts von ihr raschelte etwas durchs Untergehölz. Es musste etwas Größeres als eine Maus oder Fledermaus sein. Die Wölfe! schoß es Azalinchen
beängstigend klar durch den Kopf. Sie brauchte einige Momente, bis sie merkte, dass schon lange keine Blumen mehr zwischen dem Moos zu sehen
waren. Allmählich klarte ihr Blick auf und sie konnte sich wieder besser konzentrieren, obwohl die Luft noch immer schwer und stickig schien.
Sie heftete ihren Blick auf den schmalen Pfad, der zwischen den teils großen und teils aufgewühlten Moosballen hindurch führte. Offensichtlich
ging hier oft jemand denselben Weg entlang. Vielleicht mochten das mutige Grenzer sein, die hinundwieder die Tauglichkeit des Hags überprüften
oder einfach Patrouille gingen. Das Laufen fiel ihr nun leichter, da sie nicht mehr in Moos und Vorjahresblätter einsank. So dauerte es nur
noch etwas über eine Stunde, bis sie endlich den Waldrand erreichte. Der Hag knickte hier abrupt nach links weg und führte zu dem Bockländer
Tor. Die Bäume standen hier weiter entfernt voneinander und es wehte ein erfrischend energischer Wind. Azalinchen genoß die belebende Brise, die
ihr nach den langen Stunden in der stickigen Dämmerung des alten Waldes vorkam wie ein drittes Frühstück mit jüngst geernteten Beeren im Sommer.

Erleichtert beschleunigte Azalinchen ihren Lauf, als sie die Oststraße zwischen den nun locker stehenden Bäumen erspähte. Sie schwenkte nach
Osten gewandt auf die Straße ein und lief raschen Schrittes darauf entlang. Sie hoffte noch bis zu Abend dieses Lager zu erreichen, von dem
einige der Hobbits gesprochen hatten. Immerhin würde sie sich dann an einem Lagerfeuer wärmen können. Möglicherweise würde sie dort ja auch
auf eine Möglichkeit treffen, ihre so garstig geschwundenen Vorräte wieder aufzufüllen. Nachdenklich griff sie nach ihrem Brustbeutel und
prüfte durch sanftes Drücken mit der linken Hand dessen Inhalt. Ein zufriedenes Lächeln glitt über ihr Gesicht. Zumindest die Münzen hatten
die Ratten und Spitzmäuse verschmäht. Mit ein bisschen Glück reichte es noch für die ersten Zeit für ein kleines Zimmerchen in Bree. Wie naiv
dieser Gedanke war, sollte sie erst ein wenig später merken. Jetzt freute sie sich in ihrem kindlichem Überschwang über ihre Schläue den Plan
so geschickt begonnen zu haben.

Während also die Sonne nun in ihrem Rücken den langen Weg hinab zum Horizont begann, marschierte Azalinchen leichten Fußes die unbekannte
Straße entlang, ohne sich darüber bewusst zu sein, welche Gefahren nur wenige Meilen nordwärts in einigen Räuberlagern lauerten. Diese statteten
der Straße nämlich nicht selten einen wenig freundlichen Besuch ab, in der Hoffnung vorbeiziehende Bauern oder reiche Händler auf dem Weg nach
Bree um ihr Hab und Gut zu erleichtern. Allerdings hatte das schlechte Wetter der letzten Tage wohl auch dafür gesorgt, dass sich nur wenig
Volk auf den Straßen blicken liess. Das zumindest würde erklären, warum Azalinchen keinen dieser unfreundlichen Zeitgenossen zu Gesicht bekam.
Der einzige Zwischenfall auf ihrer Wanderung bis zum Lager war ein schmächtiger, halb verhungerter Wolf, der sich mit eindeutigen Absichten an sie
heran machte. Azalinchen erklärte ihm mit Nachdruck und unter Zuhilfenahme ihres Knüppels, dass das keine gute Idee war und das erbarmungswürdige,
dürre Vieh trollte sich alsbald von dannen. Azalinchen schaute ihm bei seinem Rückzug nach und fühlte wie ungekannter Stolz ihre Brust schwellte.
Sie streckte die Schultern und schritt aufrecht und ausladend weiter voran. Der Übermut verflog freilich recht schnell, als sie merkte, dass mit
zunehmender Abenddämmerung mehr und mehr Schatten am Rande der sanften Hügel rechts und links des Weges umherschlichen. Als die Sonne eben ihren
letzten Finger hinter den Horizont zog machte sie zwischen einigen etwas entfernt stehenden Bäumen ein flackerndes Licht aus, das sehr gut zu einem
Lagerfeuer passen mochte.

Erleichtert atmete Azalinchen auf und verfiel aus dem flotten Trott heraus in eine Art raschen Lauf. Wenige Minuten später erreichte sie das Lager
und sah sich unversehens in einer eigentümlich gemischten Gesellschaft. Sie hatte wohl schon öfter Lange gesehen und im Falle des Waldläufers
Halros auch näheren Kontakt gehabt, aber die bunt zusammen gewürfelte Gesellschaft hier verschlug ihr dann doch im ersten Moment die Sprache. Es
schienen tatsächlich mehrere Händler unter den Lagernden zu sein, denn zwei, drei Planwagen gruppierten sich um die Baustelle eines größeren
Gebäudes. Offensichtlich waren auch menschliche Handwerker und Arbeiter aus Bree dabei. Zu Azalinchen grenzenlosen Erstaunen waren aber unter den
Langen auch Elben. Ein Elb mit langen, dunkelbraunen Haaren erzählte gerade zu den sanften Klängen einer von einer Elbin mit silbrig blondem Haar
gespielten Harfenmelodie eine Geschichte aus fernen Tagen. Die anderen Hobbits, die es sich teils mit Pfeife, teils mit gut gefüllten Tellern um
das Feuer herum gemütlich gemacht hatten, lauschten ihm gespannt. Es dauerte etwas, bis einer von Ihnen Azalinchen bemerkte, die im Schatten eines
der Wagen stand.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~

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Re: Geschichte: Das Lied von Angmar

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 16. Januar 2015, 13:18

"Oh willkommen, die Dame!" rief er freundlich und sprang höflich auf, auf einen Platz neben sich deutend. "Kommt, setzt Euch doch zu uns, wertes
Fräulein!" korrigierte er sich schnell, nachdem Azalinchen zögernd ins Licht trat. Der Hobbit hatte tiefrotes Haar und einen freundlichen Ausdruck
im Gesicht. "Mein Name ist Arthur Heubank und dies", er wies ausladend auf das halb fertige Haus, "wird mein Gasthaus. Aber fühlt Euch schon jetzt
Willkommen in unserer Mitte!"

"Na kommt schon schönes Kind, nicht so schüchtern!" warf ein dunkelhaariger Hobbit ein, der etwas links von Arthur saß. Seine Augen waren wohl braun,
soweit man das im Schein des Lagerfeuers überhaupt sehen konnte. Sie hatten einen eigentümlich hellen Schimmer der Azalinchen an die aufgehende
Sonne erinnerte. Er zwinkerte ihr lustig zu und Azalinchen spürte, wie ihre Wangen heiss wurden. Bevor sie sich bewusst wurde, was geschah, hatte sie
der schwarzhaarige Hobbit an der Hand gepackt und neben sich auf einige weiche Felle gezogen, auf denen die muntere Runde ums Feuer verteilt saß.

"Aber Eure Hand ist ja eiskalt, Fräulein!" stellte er fest. "Einen Moment!" Er erhob sich geschmeidig und verschwand in einem der kleinen Zelte, die
Azalinchen nun erst zwischen den Wagen gewahrte. Als er wieder kam, hielt er einen fein gewebten Mantel in der Hand, dessen Säume mit weichem Fell
eingefasst waren. "Hier das wird Euch ein wenig wärmen!" Bevor Azalinchen widersprechen konnte, hatte er ihr den Mantel um ihren von ihren Abenteuern
inzwischen schon sehr mitgenommenen Umhang gelegt und sich wieder neben ihr nieder gelassen. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als den feinen
Stoff enger um sich zu ziehen und die wohlige Wärme zu genießen - welche nicht nur von dem Mantel herrührte.

Dann fuhr der Elb mit seiner Geschichte fort, während ihr der Schwarzhaarige einige Schüsseln reichte, in denen sich so herrliche Dinge wie gebratener
Speck, geröstetes Butterbrot und Apfelkompott befanden. Es duftete so herrlich, dass sich Azalinchen nicht zweimal Bitten liess. Nach den zwei Tagen
spärlichsten Menüs hatte sie Hunger für fünf. Ihr fiel der zufriedene Ausdruck in den Augen des Schwarzhaarigen nicht auf. Er beobachtete sie eine
ganze Weile und schien aus irgendeinem Grund äusserst zufrieden mit der Situation zu sein. Als die Elbin ein wunderschönes Abendlied anstimmte und
ihre Stimme in getragener Melodie über die Gesellschaft hinweg schwebte, lehnte er sich zu Azalinchen hinüber, die inzwischen ihr Mahl beendet hatte
und von dem reichlichen Essen ganz träge geworden war, bis sein Gesicht fast ihr Haar berührte. "Ich heisse übrigens Samboh", flüsterte er ihr leise
ins Ohr. Dann schaute er ihr auffordernd in die Augen.

Azalinchen, ganz gefangen von dem Augenblick, wurde es heiss und kalt gleichzeitig. Fieberhaft schob sie einige Gedanken in ihrem verwirrten Kopf hin
und her. "Klee... Kleebella", hauchte sie schließlich heftig errötend. Sie glaubte in dem Blick dieser raubvogelartigen Augen zu ertrinken. Warum sie
dem Fremden Hobbit nicht ihren Namen, sondern den ihrer längst verblichenen Ururgroßmutter nannte, konnte sie nicht erklären. Sie wusste nur, dass es
sich in diesem wunderbaren, wie flüchtigen Moment richtig anfühlte. Diese Augen - diese wunderschönen Augen mit dem geheimnisvollen Schimmer, vielleicht
waren sie daran Schuld oder vielmehr ihr betörender Blick. Azalinchen unterdrückte eben gerade noch ein verzücktes Seufzen.

Samboh lächelte sie warmherzig an. "Welch ein schöner Name für ein so bezauberndes Fräulein", erwiderte er mit samtweicher Stimme. Dann lächelte er
nochmal und setzte sich wieder gerade hin, als eben die Elbin ihr Lied beendete.

Azalinchen betrachtete ihn noch eine Weile noch immer sprachlos. Er trug die langen, schwarzen Haare im Nacken mit einem geflochtenen Lederband zu
einem Zopf gebunden. Das verlieh ihm etwas Aufregendes, ja geradezu Verwegenes - ein Eindruck, der dadurch verstärkt wurde, dass er die obersten
beiden Knöpfe seines Hemdes unanständiger Weise offen trug. Eine Weste hatte er nicht angelegt, weswegen sich das schwarze Hemd in weichen, fließenden
Falten um seine Arme und den Oberkörper bauschte. Die Hose und die Stiefel waren eine feine Arbeit aus schwarzem Leder - woher konnte Azalinchen nicht
sagen, ausser, dass sie gewiss nicht aus dem Auenland stammte. Stiefel! Azalinchen wurde es wieder warm. Ein Hobbit in Stiefeln! Das war so sehr
unauenländisch, dass ihr die richtigen Worte dafür fehlten, als ihr diese Tatsache langsam in die träge vor sich plätschernden Gedanken rieselte. Sie
verbrachte den Rest des Abends damit, Samboh heimlich näher zu betrachten. Er hatte eine angenehme, dunkle Stimme und konnte spannende Geschichten so
packend erzählen, dass die Gesellschaft fast aufgesprungen wäre, als unvermutet einer der Holzscheite im Feuer sehr laut knackte.

Nachdem er die dritte Geschichte beendet hatte, machten sich die verschiedenen Leute auf zu ihrem Nachtlager. Azalinchen zog derweil die Schultern
hoch und den Kopf etwas tiefer in die Falten des warmen Mantels hinein. Da spürte sie plötzlich eine Hand auf der Schulter. Ihre Ohren wurden so rot
wie die Glut, als ihr bewusst wurde, dass sie zu Samboh gehörte.

"Ihr könnt in meinem Zelt schlafen, Fräulein Kleebella", sagte er weich. Azalinchen starrte ihn nur aus großen Augen an. "Oh, nicht was Ihr denkt",
beeilte er sich zu erklären und lachte belustigt. "Ich werde hier am Feuer sitzen und aufpassen, dass Euch nichts geschieht!"

"Das ... das kann ich nicht... das wäre ... nicht schicklich, nehme ich an!"

"Oh macht Euch keine Sorgen!" Er beugte sich wieder zu ihrem Ohr und sagte leise: "Ich verrate es auch niemandem!" Dann schwang er einen zweiten
Mantel aus dunkelrotem Tuch gewandt um seine Schultern und setzte sich neben das Feuer. Azalinchen starrte ihn einfach nur an. Wollte der Hobbit
nur nett sein oder versprach er sich etwas davon? Das wären wohl die Fragen gewesen, die sich Azalinchen hätte stellen sollen. Aber ihr ging nur
durch den reichlich verwirrten Kopf, was für ein selten wunderbarer Hobbit das war.

Was ihr allerdings vollkommen entging, war die steinerne Mine von Arthur Heubank, der Sambohs Verhalten mit finsterem Blick zur Kenntnis nahm. Es
schien beinahe so, als würde er den Hobbit im Grunde genommen nicht gerne unter seinen Gästen wissen. Aber in diesem Augenblick wäre es Azalinchen,
selbst hätte sie dies mitbekommen, herzlichst egal gewesen. Und da Arthur keine Anstalten machte, irgendetwas zu der Sache zu sagen und sich statt
dessen genussvoll seinem letzten Abendpfeiffchen widmete, blieb sein offensichtliches Mißfallen auch allgemein unerwähnt. Zumindest für diesen Abend.

In den nächsten Tagen sah das freilich anders aus. Und nicht wenige der Anwesenden in dem kleinen Baustellenlager teilten seine Ahnung, dass der
gute Samboh mit dem jungen Hobbitmädchen nichts Gutes im Schilde führte. Jedoch stellte sich Azalinchen in dieser Angelegenheit derartig stur taub,
dass es die anderen bald aufgaben, hinsichtlich Sambohs möglichen Absichten irgendwelche Andeutungen zu machen. Jahre später hätte sich Azalinchen
rückblickend gewünscht sie hätten dies nicht getan, allerdings war sie sich nicht sicher, welche Auswirkungen das womöglich auf ihren weiteren
Lebensverlauf gehabt haben mochte.

Für das junge Hobbitmädchen begann nun eine Zeit, die sie rundum als zufriedenstellend empfand. Auch späterhin blieb ihr die Zeit in Arthurs Lager
als friedlich und bereichernd in Erinnerung. Hätte ihre Großmutter sie dabei beobachten können, hätte sie wohl festgestellt, dass ihre kleine
Enkelin langsam, aber stetig zu einer Hobbitfrau reifte. Azalinchen, die ausser der Idee nach Bree weiter zu ziehen nichts direkt vorhatte, begann
sich auf der Baustelle nützlich zu machen. Sie kümmerte sich um kleinere Verletzungen, wie den scheinbar ständig geprellten Daumen von Roger Hawkling,
der, hätte man sie gefragt, die Finger von jedweder Art Hammer lassen sollte, oder auch ungefährliche, aber schmerzhafte Wunden von Gytha Lainey, die
von Wölfen des alten Waldes stammten, die die Jägerin des Öfteren auf ihren Jagdstreifzügen angriffen und deren Heulen ihnen nachts eisige Schauer
über den Rücken jagte.

Von den Elben lernte sie eine ganze Menge über Alchemie und die Wirkungen verschiedener Pflanzen. Obwohl sie immer freundlich mit ihr umgingen, hatte
Azalinchen den Eindruck dass Calvariel, so nannte sich die silberblonde Elbin, es nicht gerne sah, dass Herodael soviel seines Wissens mit ihr teilte.
Gemeinsam streiften sie des Öfteren am Rand des alten Waldes auf der suche nach einfachen Kräutern und Wurzeln umher. Und noch jemand sah diese
Ausflüge nicht sehr gern. Samboh sagte es zwar nie offen, aber insgeheim argwöhnte Azalinchen, dass der galante Hobbit reichlich eifersüchtig war. So
kam es, dass er auch anfing sie mit zeitintensiven Ausflügen auf die andere Seite der Breefelder in die Brandyberge von der Seite des Elben fort zu
locken. Aber anstatt darüber ärgerlich zu sein, fühlte sich Azalinchen unglaublich geschmeichelt.

Entgegen der Berichte, die dann und wann im Baustellenlager zusammen mit dem benötigten Baumaterial entrafen, hatte Azalinchen auf diesen Ausflügen
nie eine der angeblich so blutrünstigen Räuberbanden zu Gesicht bekommen. Insgeheim zweifelte sie deren Existenz denn auch an. Samboh zeigte ihr die
verfallene Ruine einer uralten Menschensiedlung auf einem der Hügel, einen von hohen Hügeln eingerahmten, wunderschönen See und die besten Angelplätze
am Ufer des Brandywein - oder Baranduin, wie Herodael den Fluss klangvoll nannte. Azalinchen genoß es, dass "Kleebella" so frei und ungezwungen just
genau dahin gehen konnte, wohin ihre Nase zeigte oder ihre Laune sie trieb. Sie dachte allgemein nur noch äusserst selten an ihr Leben im Auenland.
Eigentlich geschahen diese seltenen Momente meist in den wenigen Sekunden zwischen Wachen und Einschlafen und sie gewöhnte sich an, sie sofort weit
von sich zu schieben. Ihre Träume waren denn auch erfüllt von spannenden Abenteuern, romantischen Begebenheiten und alltäglichen Geschehnissen, in
denen stets Samboh eine führende Rolle spielte. Und der fragte sie wohlweislich nicht mehr nach ihrer Vergangenheit, nachdem sie ihn bereits mehrfach
hatte stehen lassen ohne zu antworten.

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Re: Geschichte: Das Lied von Angmar

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Mittwoch 21. Januar 2015, 15:02

Azalinchen sog die würzige Sommerluft tief ein und ließ den Blick über die steil zum See hin abfallenden Hügel schweifen.
Eine weiche Sommerbrise kräuselte das lange Gras ganz sanft und liess die weißen Köpfe der üppigen Margerittenteppiche
leicht wippen. Die Luft schien erfüllt vom Brummen geschäftiger Bienen und Gesängen eifriger Vögel. Sie gähnte herzhaft.
Irgendwie machte sie diese malerische Idylle immer äusserst schläfrig. Ein ausgedehntes zweites Mittagessen wäre jetzt
sehr nach ihrem Geschmack gewesen. Sie streifte mit den Augen den gründlich geplünderten Weidenpicknickkorb, gab aber
angesichts der leeren Tücher und fein geflochtenen Weidenkörbchen die Hoffnung darauf auf. Gleichwohl lief ihr beim Gedanken
an das vorangegangen, üppige Picknick erneut das Wasser im Mund zusammen.

Samboh hockte neben ihr und erleichterte einige Margeriten, die sie für Calvariel hatten pflücken sollen, um ihre weißen
Blütenblätter. "Kannst du eigentlich Schwimmen?" fragte er plötzlich.

Azalinchen richtete sich halb auf und stützte sich auf ihre Ellbogen. Sie warf einen Blick zum See hinüber und sah Samboh
dann einigermaßen erstaunt an. "Bist du verrückt geworden?" erkundigte sie sich zweifelnd - sie konnte sich beim besten
Willen nicht vorstellen, dass die Frage ernst gemeint war.

Er grinste. "Nein, das kann ich eigentlich nicht behaupten!" war seine Antwort. Er stand auf und streifte seine Stiefel ab.
"Heute ist ein ausgesprochen guter Tag zum Schwimmen, denke ich."

"Das ist nicht dein Ernst", versuchte es Azalinchen noch einmal, ihm die Sache auszureden.

"Oh doch", er zog Hose und Hemd aus und stand nun in seiner Unterwäsche und mit nacktem Oberkörper da. Azalinchen schoss
die Schamesröte in die Wangen und sie wendete rasch den Blick ab. Sambohs Grinsen wurde breiter. Er ging zu ihr hinüber
und schob zwei Finger unter ihr Kinn. "Nicht doch, Liebes", sagte er weich, während er ihr Gesicht hob bis er ihr in die
Augen blicken konnte. "Bin ich so schrecklich anzuschauen?"

Azalinchen stotterte ein wenig, sie spürte deutlich, wie ihre Wangen vor Scham brannten. Samboh ließ ihr Gesicht los und
lachte. Er patschte etwas über seinen Bauch und sah sie fragend an. "Meinst du, dass da schon erste Zeichen von Entfettung
zu sehen sind?" fragte er gespielt besorgt mit allem Ernst zu dem er fähig war.

Azalinchens Blick glitt unwillkürlich über seinen wohlgerundeten Bauch und den für einen Hobbit ungewöhnlich muskulösen
Oberkörper. "Na, wohl doch nicht so unansehnlich", stichelte Samboh, dem dieser Blick nicht entgangen war. Er griff mit
einer eleganten Bewegung nach ihrer Hand und zog Azalinchen auf die reichlich wackeligen Füße. Sie schwankte etwas und er
schloss sie für einen Moment stützend in die Arme. Azalinchen wurde es heiss und kalt, als sie die nackte Haut seiner
Arme berührte. Er lachte sie aufmunternd an und ließ sie los. "Na komm schon!"

Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort dem See zu und rannt auf das Ufer zu. Als er nur noch wenige Schritte von der
Wasserkante entfernt war, beschleunigte er seinen Lauf noch etwas und stieß sich mit einem lauten Johlen vom Ufer ab und
sprang beherzt weit in das kühle Nass hinein. Er tauchte für einige Augenblicke mit dem Kopf unter, was Azalinchen vor
Schreck aufschreien liess. Aber kurz darauf tauchte sein schwarzer Schopf wieder über dem Waser auf und er prustete eine
kleine Wasserfontäne in die Luft. Dann schwamm er ein paar Züge weit, drehte sich auf den Rücken und winkte ihr fröhlich
zu.

Azalinchen fasste sich und musste nun doch lachen. Sie fragte sich, wie kalt das Wasser wohl war. Samboh gestikulierte
jetzt, als wolle er ihr sagen, dass das Wasser herrlich war. Die Sonne stand hoch oben am Zenit und es würde gewiss nicht
lange dauern, ihre Kleider wieder zu trocknen. Wie tief mochte der See wohl sein? Azalinchen hatte reichlich gruselige
Geschichten über solche Seen gehört. Arthur erzählte auch immer wieder von Bären, die sich in den Hügeln rumtreiben sollten.
Ja, dachte sie spöttisch, genauso, wie die angeblichen Horden an Räubern. Sie konnte, jetzt hier unter dem freien Himmel ganz
fern und unwirklich, ihre Großmutter zetern hören.

"Das ist entsetzlich ungebührlich!" schimpfte die Omastimme energisch. "Sowas tut ein anständiger Hobbit nicht! Das ist
absolut inakzeptabel", die Omastimme setzte zum Finale an, "das verstößt gegen jede Hobbittradition du böses Mädchen!"
Ja, aber du bist nicht hier und ich hasse deine blöden, langweiligen Traditionen, schleuderte sie in Gedanken dieser beinahe
schon entstellten Omastimme entgegen. Mit dem Ausdruck innerer Genugtuung im Gesicht löste sie zögerlich die Schnalle ihres
Überwurfs. Samboh johlte wieder fröhlich und tat, als würde er eine Angel nach ihr auswerfen und sie mit einem gedachten Köder
zu sich ins Wasser ziehen. Azalinchen konnte ein ebenso fröhliches Grinsen nicht verhindern. Mal wieder liess sie sich von
seinem Übermut völlig anstecken. Sie streifte den Gürtel ab und spürte, wie ihr der Saum ihres Untergewands auf ihre nackten
Füße fiel. Dann lockerte sie die Schnürung, die ihr Mieder hielten und streifte es über den Kopf ab.

Laut lachend, mit wild klopfendem Herzen und wallendem Untergewand sprang sie hinter dem übermütigen Hobbit hinterher. Und
stellte erstaunt fest, dass sich die Falten des Leinenstoffes in großen Blasen um sie herum bauschten wie eingefangene Wolken.
Samboh lachte ausgelassen und begann sie mit noch mehr Wasser zu bespritzen. Azalinchen stellte überrascht fest, wie
willkommen ihr diese Abkühlung unter der brennenden Sommersonne war. Sie schloss die Augen und lachte nun ebenfalls fröhlich
aus tiefstem Herzen und begann sich für das Gespritze ihrerseits zu revanchieren.

Das Gefühl beinahe etwas Verbotenes zu tun beflügelte ihren Übermut und nachdem sie sich gegenseitig ein wenig am Ufer
hin und her gejagt hatten, fragte sie Samboh, ob er ihr das Schwimmen zeigen wollte. Er strahlte sie an, als hätte sie ihm ein
riesiges Erdbeercremetörtchen angeboten. Und so verbrachten sie den ganzen Nachmittag damit, mit viel Gespritze und Geplantsche
die eine oder andere Schwimmübung zu machen.

Als sich die Sonne dem Horizont neigte und die Schatten der Bäume und Hügelhäupter länger wurden, krabbelten sie erschöpft
und noch immer kichernd ans Ufer. Sie nutzten noch die letzten Strahlen aus, ihre Sachen halbwegs trocknen zu lassen. Samboh
half Azalinchen galanterweise ihr Mieder und den Überwurf wieder anzulegen, bevor er selbst wieder in Hose und Hemd schlüpfte.
Da Azalinchen mit dem Rücken zu ihm stand entging ihr der beinahe gierige Blick, den er auf ihren Nacken und die Rundungen
warf, die sich unter dem Leinenstoff des Untergewands vage abzeichneten. Azalinchen stellte erstaunt fest, dass sich die Haut
an ihren Armen bräunlich gefärbt hatte, behielt diese Entdeckung allerdings für sich aus Angst, das könne das erste Zeichen
einer ihr unbekannten Krankheit sein. Sie nahm sich vor im Lager Herodael danach zu fragen.

Nachdem die Sachen soweit getrocknet waren, dass niemand mehr Verdacht schöpfen würde, machten sie sich auf den Rückweg zum
Lager. Sie hatten eben den vorletzten Hügelkamm erklommen, als sie Rauch über dem nächsten Hügel aufsteigen sahen. Eine ganze
Menge, dunklen Rauches - ungewöhnlich viel Rauch! Und er kam aus Richtung der Baustelle!

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Kapitel 8 I

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Montag 8. Juni 2015, 17:41

Sie sahen sich für eine Sekunde an und rannten los. Bald stieg ihnen der beißende Brandgeruch in die Nasen und hektische Rufe und Schreie begleiteten
zunehmend ihre hastigen Tritte. Ausser Atem und völlig verschwitzt erreichten sie gemeinsam die Kuppe des letzten Hügels und erfassten im selben
Augenblick das ganze Ausmaß des Unglücks. Von den aufrecht stehenden schweren Stützbalken der Gebäudewände schlugen Flammen fußhoch in den frühen
Abendhimmel. Die Lehmziegel brannten lichterloh und von der westlichen Mauer, welche einen Garten zum Gelände abgrenzen sollte waren nur noch ein
schwelender Schutthaufen übrig. Gierig leckten die Flammen auch schon an den jüngst eingetroffenen Dachschindeln und gebrannten Tonfliesen, deren
filigranes Muster wohl für immer ausgelöscht war.

Herodael und Calvariel mühten sich nach Kräften einen Übergriff auf die Wohnzelte zu verhindern. Sie schlugen mit Decken und Fellen auf neu auflodernde
Brandherde in der Nähe der Zelte ein. Ihre Mühe schien endlos - für ein gelöschtes Nebenfeuer taten sich scheinbar zwei neue auf, angefacht durch den
frisch aufgekommenen Wind. Die Bauern eines nahe gelegenen Hofes waren zur Hilfe geeilt - mit einem Karren schleppten sich mühsam zu zweit mit Wasser
gefüllte Eimer heran, die von Roger und Gytha entgegengenommen wurden. Sie mühten sich, das werdende Haupthaus zu löschen. Der Kampf schien jedoch
aussichtslos. Schon kippten zwei der Eckbalken krachend und fauchend in sich zusammen. Gytha riss geistesgegenwärtig Arthur von dem jäh auflodernden
Flammenzorn fort. Er stolperte über seine Füße, stürzte und starrt mit weit aufgerissenen Augen ungläubig auf das Werk der Vernichtung.

Azalinchen rannte ohne nachzudenken los und zog Arthur noch weiter von dem Feuer fort. Die Haare auf seinen Füßen waren bereits bös angesengt und die
Haut unter den nun kahlen Stellen wellte sich eigentümlich zu schmerzenden Brandblasen. Azalinchen holte sich keuchend einen der schweren Wassereimer
und begann die Wunden zu versorgen. Immer wieder hob Arthur eine Hand und bedeckte seine Lippen, während er unzusammenhängende Wortfetzen vor sich
hinbrabbelte. Azalinchen versuchte dieses Jammerbild des Elends zu verdrängen und arbeitete verbissen weiter.

Samboh hatte das Ganze zunächst mit tief gerunzelter Stirn aufgenommen und schien vor Entsetzen unfähig sich zu bewegen. Was niemand in dem allgemeinen
Tumult bemerkte, war dass sich sein Blick an einem kleinen Anhänger festsaugte, welcher am Zelteingang von Arthurs Zelt in der brandgeschwängerten,
unheilvoll rauschenden Luft baumelte. Er stürzte los, riss den Anhänger wütend und unbemerkt herunter und liess ihn geschickt in eine Falte seines
Hemdes gleiten. Dann mischte er sich unter die Helfer und war die nächsten zwei Stunden mit dem Löschen beschäftigt, was den Anhänger wieder aus seinem
Gedächtnis verdrängte.

Für Azalinchen ging die Arbeit erst richtig los, nachdem nur noch wenige, schwache Rauchsäulen aus den glimmenden Überresten der ehemals stolzen
Baustelle aufstiegen. Sie verarztete noch mehr Brandblasen, Roger Hawkling hatte sich gar an einem rostigen Nagel eine tiefe Wunde am Bein gerissen.
Calvariel mühte sich derweil um Arthur, der den Schock nur schwer verwinden konnte. Herodael war in den Wald gegangen, um die notwendigen Heilkräuter
zu suchen. Er kam mit einem Spinnenbiss wieder, den Azalinchen ebenfalls fachgerecht versorgte. Glücklicherweise waren keine Toten zu verzeichnen. Die
Bauern versorgten die Anwesenden noch mit Brot, Käse, Wein und Bier. Sie verabschiedeten sich, nachdem es nichts weiter zu tun gab, hinterließen aber
eine Einladung im Stall zu nächtigen.

Nachdem alle anderen wie tot in Schlaf gefallen waren - die Zelte waren dank Calvariel und Herodael verschont geblieben - erhob sich Azalinchen mit
steifen Gliedern und schritt langsam den Hügel hinauf. Sie genoss die kalte Nachtluft, die der Wind ihr um die Nase wehte. Hier oben mischte sich denn
auch kein Brandgeruch darunter. Als sie so den glasklaren Sternenhimmel betrachtete, wischten ihr die Bilder und Eindrücke dieses Abends durch die
Gedanken. Sie schauderte und schlang die Arme um ihren Leib. Sie wandte sich den Überresten der Baustelle zu und betrachtete die im stillen Mondlicht
daliegenden Trümmer ausgiebig. Und während sie so dastand, begrub sie die Erinnerung an diesen Abend tief in ihrer Seele. Sie wollte nicht mehr an den
Schrecken denken, den das Feuer und die Verletzungen in ihr entfachte. Es erinnerte sie an ihren Vater, seine Verletzungen, seinen Wahnsinn. Nein, sie
wollte wollte wollte nicht mehr daran denken. Irgendetwas in ihr wurde hart und gefühllos. Sie würde hier niemals wieder den Frieden empfinden, der ihr
die letzten Wochen so sorglos hatte erscheinen lassen.

Plötzlich legte sich ihr eine warme Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. Azalinchen brauchte nicht den Kopf zu drehen, um zu sehen, wer es war.
Sie hatte seinen Duft schon vernommen, als er auf sie zuschritt.

"Woran denkst du", fragte Samboh leise.

"Das ist nicht wichtig", erwiderte sie abweisend.

"Und wenn doch?"

"Nein - es wird nie wieder wichtig sein. Darum werde ich auch kein Wort darüber verlieren!"

Ein leises freudloses Lachen erklang. "Ohja", sagte Samboh leise, mehr zu sich selbst. Dann hob er die Hand und strich die Haare von ihrem Ohr fort,
beugte sich vor und raunte ihr ins Ohr: "Ohja, ich erkenne dich. Ich erkenne dich, weil ich mal an ebendieser Weggabelung stand und mich dieselben
Gedanken nicht schlafen ließen!" Wieder erklang dieses seltsame freudlose Lachen durch die Dunkelheit.

Azalinchen schob ihn fort und funkelte ihn an. "Was weißt du schon von mir?"

Er zog eine Augenbraue hoch und lächelte sie auf eine Weise an, die sie wütend machte. "Eine ganze Menge mehr, als du vermutest, Kleebella", antwortete
er hintergründig.

Azalinchen musterte ihn. Er hatte den Namen so betont, als würde er etwas darüber wissen. Sie fühlte sich unbehaglich unter seinem beinahe schon
spöttischen Blick. Und zum allerersten Mal stellte sie sich die Frage, was Samboh wohl verbergen mochte.

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Kapitel 8 - II

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Montag 22. Juni 2015, 10:42

Sambohs Gesichtsausdruck wurde unter ihrem forschend ärgerlichen Blick weicher und er lächelte sie an.
"Komm, mein Herz, wir wollen aus dem Wind gehen", sagte er versöhnlich. "Ich glaube nicht, dass es was
brächte, würdest du dir noch einen Schnupfen holen. Denn dann", er warf ihr ein schelmisches Grinsen zu,
"müsste ich dich Triefnase nennen - und das wollen wir doch vermeiden, nicht?"

"Trief...?" Azalinchen war sprachlos. Wie konnte er nach so einem Erlebnis wie heute Abend und einem
Streitgespräch wie eben, jetzt auf spassig und locker machen? "Danke, geh allein", erwiderte sie abweisend,
"mir ist nicht nach Gesellschaft." Sie funkelte ihn zornig an.

"Hm", er machte ein gespielt nachdenkliches Gesicht, während ein äusserst amüsierter Ausdruck um seine
Lippen spielte, "du müsstest dich mal sehen, Bell. Ich glaube, hättest du das Feuer vorhin so angesehen,
wäre es freiwillig ausgegangen."

Azalinchen starrte ihn, eisern böse guckend an. Sie wollte wollte wollte jetzt nicht lachen. Es schien ihr
nicht der richtige Augenblick dafür zu sein. Nein, sie wollte nicht, dass es der richtige Augenblick
dafür war. Sie wollte wütend auf ihn sein, weil er sie gestört hatte. Weil er sie nicht ernst nahm und
scheinbar nicht ernst nahm, was sie grad so aufwühlte.

Ihre Gedanken mussten ihr wohl deutlich ins Gesicht geschrieben gestanden haben. Sambohs Gesichtsausdruck
wurde ernst und er räusperte sich, während er sich mit der Rechten über das Gesicht strich. Das machte er
immer, wenn er über etwas schwieriges oder Heikles nachdachte. Mit der Hand am Kinn betrachtete er sie eine
kleine Weile.

"Weisst du", sagte er ohne den Blick abzuwenden, "ich kann mir gut vorstellen, was dir gerade durch deinen
Kopf geht. Ich habe", sprach er schnell weiter, als Azalinchen Anstalten machte, sich schnaubend abzuwenden
und ihn stehen zu lassen, "ich habe, meine...", er holte tief Luft und schluckte. "Ich habe meine Mutter und
meine Schwester an ein Feuer wie dieses verloren", sagte er schließlich leise. Seine angenehm sonore Stimme
schwankte jetzt unmerklich, als er leise weitersprach. "Ich hatte gerade meinen zehnten Sommer erlebt, als
mein Vater eines Abends sehr müde, furchtbar müde von der Arbeit auf dem Feld nach Hause kam."

Azalinchen hielt den Atem an. In all den vergangenen Wochen hatte Samboh niemals über sich oder seine Familie
gesprochen. Sie hatte es dabei belassen, denn auf diesbezügliche Fragen hatte er nicht geantwortet und war
solchen Gesprächen mit dem Gespür eines Zwiens für Strafe, ausgewichen.

Samboh ließ den Blick über die schlafenden Hügel gleiten, die ruhig und still im Mondlicht lagen, als wäre
an diesem Abend nichts Außergewöhnliches geschehen. In seinen Fingern drehte er einen merkwürdig verformten
Ast, den er wohl irgendwo am Weg hier herauf gefunden hatte. "Wie jeden Abend steckte er sich eine Pfeife
an und wollte die Briefe bearbeiten, die Mutter wenige Stunden zuvor auf seinen Schreibtisch gelegt hatte",
fuhr er ruhig fort. "Dabei muss er eingeschlafen sein. Ich wurde später am Abend wach, weil es unerträglich
heiss in meinem Zimmer geworden war. Ich hörte meine Mutter panisch rufen, sie muss bei meiner Schwester im
Zimmer gewesen sein." Er stockte, wandte Azalinchen den Kopf zu und sie konnte sehen, dass seine Augen weit
aufgerissen waren und sein Blick geradewegs durch sie hindurch in die Vergangenheit gerichtet war. "Meine...",
erschluckte, "meine Schwester schrie vor Angst. Ich sprang aus dem Bett und konnte nichts sehen, alles war
voller Rauch und der Boden unter meinen Füßen war unerträglich heiss. Weisst du Bell, es sind diese Schreie,
die einen in der Nacht wecken und daran erinnern, dass man eine Katastrophe überlebt und alles verloren hat!"

Das Hobbitmädchen zuckte zusammen. Sie wollte nicht, dass er weitersprach. Sie wollte das Ende nicht hören.
Sie dachte an ihren Vater und an ihre Mutter. "Was geschah dann?" hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung
dennoch flüstern.

Sambohs Kopf ruckte unmerklich und sein Blick schärfte sich wieder. Er lächelte sie schief an. "Nun, was in
solchen Fällen immer passiert", antwortete er lakonisch. "Ich schaffte es nach draussen, indem ich mich durch
mein Fenster warf. Vater war auch da. Sein Gesicht war schwarz vom Ruß und er weinte. Ich hatte meinen Paps
niemals zuvor weinen sehen. Wir klammerten uns aneinander und konnte nichts tun, ausser auf das brennende
Smial zu schauen und drinnen die verzweifelten Schreie meiner Mutter und meiner Schwester zu hören. Am darauf
folgenden Tag war von unserem Zuhause nichts mehr übrig ausser ein paar verkohlte Balken und Trümmer. Die
Stadtbüttel kamen und untersuchten die Überreste. Sie kamen mit Vaters halb verbrannter Pfeiffe in der Hand
wieder und sagten, dass Vater eingeschlafen sei und die Pfeiffe die Papiere auf dem Schreibtisch entzündet
hätte. Du siehst", er lachte wieder freudlos und hart", ich kann mir sehr wohl vorstellen, was dir gerade im
Kopf herum geht. Vielleicht sogar besser, als du selbst!"

Azalinchen war ganz und gar erschüttert. Nie hätte sie gedacht, dass diesem fröhlichen Hobbit das Schicksal so
derb übel mit gespielt hatte. Sie ließ sich auf die Knie sinken und versuchte zu begreifen, was er ihr eben
erzählt hatte. "Und was ist aus deinem Vater geworden?" fragte sie tonlos.

"Oh", sagte Samboh gleichgültig. "Ich habe ihn seit diesem Tag nicht mehr gesehen."

"Es tut...", begann Azalinchen vorsichtig.

"Oh sag nicht, dass es dir leid tut", unterbrach Samboh sie schnell, "es muss dir nicht leid tun. Ich bin, was
ich bin und ich kann nicht ändern, was geschehen ist." Er lächelte sie jetzt warm an und Azalinchen spürte,
dass sie ihm alles verzeihen konnte, wenn er sie nur weiter so anlächelte.

"Ich ... ich war nicht darauf vorbereitet so etwas furchtbares zu sehen. Arthur... seine Augen waren...", sie
stockte und schluckte heftig.

Samboh kam zu ihr herüber und liess sich neben ihr nieder. Er blickte sie fragend an, als er behutsam seinen Arm
um sie legte. Als sie keine Anstalten machte, ihn zurück zu weisen, zog er sie ganz sanft zu sich heran, sodass
ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte. Azalinchen schloss die Augen und atmete ganz tief seinen Duft ein und spürte
seine Wärme wie einen prickelnden Schauer durch ihre Glieder rasen. Ihre Wangen brannten heiss während sie weiter
seinen Worten lauschte. Sie spürte nicht einmal, dass der Wind weiter auffrischte und ihr nun die kurzen Locken
wild zerzauste. Sambohs Zopfband löste sich und seine langen Haare flatterten in den aufgewühlten Windböen.

Er hob die andere Hand und strich ihr zärtlich über die Wange, während seine Augen die ihren suchten. Als sich
ihre Blicke trafen, stürzte der Himmel ein und die Zeit verlor sich in der Unendlichkeit seiner dunklen Augen.
Azalinchen wurde es heiss und kalt, sie wünschte dieser wunderbare Augenblick würde ewig fortdauern. Einige
Haarsträhnen umspielten sein Gesicht, als er sich jetzt langsam vorbeugte und sie seinen warmen Atmen auf ihrer
Wange spüren konnte. "Du bist etwas ganz Besonderes, weisst du das?" murmelte er und seine Stimme klang ganz rauh
vor Anspannung. Seine Lippen waren jetzt so nah und Azalinchen schloß die Augen, überliess sich seiner Umarmung
und der heissen Woge, die ihre Gedanken in die Grenzenlosigkeit der Nacht davonspülte. Als sich ihre Lippen zu
einem zarten, sanften Kuss trafen, kam die Berührung einer Explosion gleich. Azalinchen wollte Schreien, aber ihr
fehlte die Stimme auszudrücken, was sie in dem Moment empfand. Prickelnd und eiskalt zugleich schoss ihr wohlige
reine Glückseeligkeit durch alle Adern, ihre Gefühle taumelten wild und zügellos auf den Schwingen des Windes
in die Sphären des Himmels davon. Sie erwiderte den Kuss leidenschaftlich und ging ganz und gar in diesem Moment
puren Seins auf.

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Kapitel 8 - III

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Dienstag 23. Juni 2015, 11:34

Wenig später saß Samboh allein etwas abseits der Zelte. Azalinchen hatte darauf bestanden, dass sie erst am nächsten Morgen aufbrechen
sollten. Wenn er ehrlich war, hatte man ihr die Müdigkeit auch angesehen und es überraschte ihn auch nicht wirklich. Er schnippte einen
Zweig in die Dunkelheit, den er soeben von einem Ast gepult hatte. Er war wütend und zugleich überrascht, dass sich die Dinge dennoch so
gut entwickelten. Er schnippte einen weiteren Zweig davon und überlegte, wie lange er wohl noch auf diesem recht unbequemen Baumstumpf
warten musste. Davon abgesehen, dass sich die Geschichte mit dem Mädchen gut entwickelte, konnte er seine Wut kaum zügeln. Er hasste es,
wenn sich seine Leute nicht an seine Anweisungen hielten. Noch mehr hasste er es, wenn Exempel notwendig wurden. Er schleuderte den Ast
dessen Zweigen hinterher und tastete nach dem Medaillon in seiner Hosentasche.

Es lag schwer in seiner Hand und glitzerte kalt im Mondlicht. Der Kopf eines Ebers war darauf abgebildet und darunter ein Mehlsack und
eine Kornähre. Erinnerungen klopfen an die Hintertür seines Bewusstseins und er schob sie ärgerlich fort. Wozu hatte er dem Mädchen davon
erzählt? Er verstand sich selbst nicht. Und es gefiel ihm nicht, dass sie sein Gemüt auf eine Weise zu berühren vermochte, wie sonst kaum
jemand. Er sah ihr rundes, keckes Gesicht vor sich - mit der frechen Nase und den hellen Augen, die wilden Locken umspielten es frech und
das Geistergesicht grinste ihn schelmisch an. Er schüttelte den Kopf wie um Regentropfen aus dem Haar zu schütteln.

Na endlich. Samboh wandte sich nicht um, als er das leise Geräusch schwerer Menschentritte auf Gras hinter sich hörte. Statt dessen hob
er den Kopf und richtete sich auf. "Du kommst reichlich spät", zischte er gedämpft in die Dunkelheit.

"Tut mir leid, Herr Samboh", erklang eine schleppende, langsame Stimme aus der Dunkelheit hinter ihm. Ein schlaksiger, großer Mann trat
um den Baumstumpf herum und zog nervös seine Kappe vom Kopf. Der Ausdruck seines schlaffen Gesichts verriet mangelnde Intelligenz und
Unterwürfigkeit aus Gewohnheit.

Samboh schnaufte, erhob sich und warf dem Langen das Medaillon zu. "Was hat DAS zu bedeuten?" erkundigte er sich wütend.

Der Lange fing das Medaillon, wofür er seine Kappe fallen liess. Hastig bückte er sich danach, was aussah wie ein Hutständer, dem eine
Jacke entglitten war. Diese rutschte ihm bei dem Versuch auch über die Ohren und wäre beinahe neben der Kappe gelandet, wären da nicht
zwei dürre Arme gewesen, die darin steckten und sie davon abhielten. Das Medaillon entglitt den fahrigen Fingern und schlug mit einem
dumpfen Laut im Gras auf. Samboh verdrehte die Augen und atmete tief durch.

"Kannst du mir jetzt sagen, was das sollte und wer von euch das entschieden hat?" fragte er mit unterdrückter Ungeduld in der Stimme.

Der Lange hörte sofort auf, seine Sachen aufzuklauben und richtete sich ungelenk auf. Die schmutzigen Haare standen nun leicht wirr in
alle Richtungen fort und auf Sambohs Gesicht erschien ein leichter Ausdruck von Ekel. "Das...das...das...", stotterte der Lange reichlich
unbeholfen. Samboh machte einen geschmeidigen Satz auf ihn zu und zerrte ihn mit erstaunlicher Kraft an seinem schmuddeligen Hemd zu sich
herunter, sodass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt hin und her pendelte. Er funkelte ihn wütend an. "Ich höre!"

Der Lange ächzte etwas unter dem nun etwas zu klein gewordenen Hemdkragen, machte aber keine Anstalten sich los zu reissen. "Das war Lutz,
Meister Samboh! Lutz!" quiekte er heiser.

Samboh liess ihn los und begann auf und ab zu schreiten. Lutz also. Der Kerl machte nur Ärger. Gewissen- und skrupellos - perfekt für den
Job geeignet. Aber verdammt ehrgeizig und eigensinnig, dazu derb und ungebildet. Samboh trat einen Stein fort, der vor ihm im Gras geruht
hatte. Für einen Moment beobachtete er die Käfer und Asseln die darunter gelebt hatten und nun eilig auf der Suche nach einem neuen
Versteck davon krochen. Samboh senkte seinen Fuß auf einen der Käfer, der Anstalten machte sich auf seinen Stiefel zu verirren und gab
einen Laut des Unmuts von sich. Dieser Kerl würde nur weiter Scherereien machen - er würde diesen Nichtsnutz Lutz wegschicken müssen. Das
passte ihm nicht - er hätte noch weitere Aufgaben gehabt, für die er wie geschaffen gewesen wäre. Das warf ihn um weitere Wochen zurück.
Nein, das war überhaupt nicht gut.

Der Lange hatte inzwischen die Kappe wieder aufgehoben und auf seinem Kopf zurecht geschoben. Nun begann er damit, das Amulett in seinen
Händen herum zu drehen. "S...soll ich Lutz etwas ausrichten, Meister Samboh?"

"Ohja, das sollst du", erwiderte Samboh ärgerlich. "Sag ihm, ich werde morgen nach Bree aufbrechen und ich erwarte, dass er sich am Abend
des zweiten Tages am üblichen Treffpunkt einfindet." Samboh schritt wieder auf und ab. "Und sag ihm er soll...", er hielt inne und warf
dem Langen einen linkischen Blick zu. "Nein, ich glaube, das sage ich dem Kerl lieber selber!"

Der Lange schaute verwirrt, sagte aber nichts weiter dazu. Nachdem Samboh ihn anherrschte, was er denn noch wolle, beeilte er sich in die
Nacht davon zu kommen. Samboh blickte ihm hinterher und unterdrückte ein Schaudern. Es gab Schicksale auf dieser Welt, die er wirklich
nicht teilen wollte. Er fand, dass er es eigentlich gar nicht so schlecht getroffen hatte. Diese Gedanken führten ihn wieder zurück zu dem
Hobbitmädchen das hinten in ihrem Zelt schlief und von alldem nicht das Geringste ahnte.

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