Geschichte: Das Lied von Angmar

Geschichten aus Tolkiens Welt vom Herrn der Ringe und anderen Werken.
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Azalinchen
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Geschichte: Das Lied von Angmar

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Montag 9. Juni 2014, 17:35

Prolog:

Er hörte dumpfe, unbestimmbare Laute. Es war dunkel – hatte er die Augen schon geöffnet oder waren sie noch geschlossen? Aus der drückenden Finsternis waberten schrille
Schmerzenschreie an sein Ohr, um sich dröhnend in seinen Schädel zu hämmern. Halt nein, das war sein eigenes Blut, welches im Rhythmus unsichtbarer Hammer gegen seine
Schläfen pochte. Bumm – Bumm – Bumm – der Hammer auf einem Amboss. Etwas Spitzes krallte sich in seine Haare und riss tiefe Furchen in die Haut seiner Wangen. Ein
weiterer Schrei zerriss die Finsternis in grellbunten Flecken. Es dauerte einige Sekunden, whärend derer er heftig zitternd und nach Atem ringend sich am Boden wand, bevor
sein taumelnder Verstand begriff, dass er es selbst war, der die heftigen Schmerzensschreie ausstieß.

Verzweiflung griff mit klammen, eisigen Fingern nach seinem Herz und fand dort keine lodernde, heisse Flamme sondern nur noch Hoffnungslosigkeit und trauerschwangere
Erinnerungen. Gesichter zogen vor seinem inneren Auge vorbei – wie waren die Namen? Er verspürte den Anflug von Sorge und Liebe – und sogleich wieder tiefste Verzweiflung.
Er konnte sich nicht erinnern. ER KONNTE SICH EINFACH NICHT ERINNERN! Ein Name – er wollte nur diesen Namen sagen – er wusste, wenn er es täte, würde die Dunkelheit
weichen, ihn freigeben und reine Seligkeit würde ihn auf einem Bett des Glücks wiegen. DEN NAMEN! Nur diesen einen Namen. „Meine Blume“, flüsterte er in quälend langsamen
Silben, die über seine aufgeplatzten Lippen stolperten, wie kleine Kiesel im Staub einer Tundra vom Wind getrieben.

Eine Blume? Was waren Blumen? Er hatte es vergessen. Er hatte in dieser steinernen Hölle vergessen, wie es war, Gras zwischen den Füßen zu spüren oder frische Luft zum
Singen zu atmen. Er wusste nur, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis man ihn wieder zu den Feuern holte. Zu den quälenden, heiss beissenden Feuern. Er hatte vergessen,
wie lange er die furchtbaren Schmerzen schon ertrug. Er hatte vergessen, warum oder wie er hierher geraten war. Wieder krallten sich seine Finger in seine Haare. Er schmeckte
Blut auf den Lippen, welches von seiner Wange herabtropfte. War es sein eigenes? Eine zitternde Hand tastete über die frischen Kratzer. Ein irres Lachen entrang sich seiner
Kehle. Er blutete. Ein Zeichen von Leben und Lebendigkeit… HIER… hier in dieser brutalen Hölle. Nein das war ein gar zu köstlicher Witz.

„Du scheinst dich ja köstlich zu amüsieren“, schnarrte eine grausame, kehlige Stimme von Oben, wo sich in der Decke des Lochs ein Eisengitter befand, welches über einen
Seilzug geöffnet werden konnte.

„Ja“, er kicherte irre, „der Sandmann hat mir ein Lied gebracht und eine Blume gesungen!“ Er lachte kreischend. Genau das war es, eine Blume gesungen. Sagte man das so? Er
konnte sich nicht erinnern.

Das Eisengitter öffnete sich jämmerlich quietschend und brachte den in dem Loch liegenden Hobbit dazu sich abermals die Hände an den Kopf zu schlagen. Aber er lachte weiter,
selbst als ein metallener Haken in die Tiefe gestoßen wurde noch. Er verfing sich in den Ketten, welche die Metallbänder verband, mit denen er an Händen und Füßen gefesselt war.
Das Lachen des unglücklichen Hobbits hallte noch von den Wänden wider, als der Haken ihn an den Ketten grob emporriss und durch die Öffnung nach oben zog.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~

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Kapitel 1

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Dienstag 17. Juni 2014, 04:01

Der Geruch nach verbrannter Haut und schwelendem Haar stieg ihm in die Nase. Seine Hände glitten über rauhen Stein. Sein Kopf schmerzte
entsetzlich und er schmeckte Blut auf der Zunge. Langsam und mühsam richtete er sich stöhnend auf – legte den pochenden Kopf an den Fels
in seinem Rücken. Eine seiner Hände tastete langsam unter den zerrissenen Stoff seines Hemdes und zuckte zurück, als sie dort grobe,
schwärende Narben fand. Eine war heiss unter seinen Fingern und ein beissender Schmerz zuckte unter der zitternden Berührung von dort
durch seinen Leib.

Für einen Augenblick erinnerte er sich an die Feuer und die glühenden Eisen, die dort erhitzt worden waren, bevor sie sich unbarmherzig in
sein Fleisch gebohrt hatten. Er zog zischend Luft durch den halb geöffneten Mund und hustete qualvoll. Nun schmeckte er mehr Blut im Mund.
Er musste schwer verletzt sein. Seine Augen wanderten benommen über die wenigen Konturen, die er im Stande war wahr zu nehmen, und
saugten sich an etwas Ungewöhnlichen fest. Während er sich angestrengt versuchte auf das Ding zu konzentrieren, rann gnädige Schwärze in
seinen Blick. Er kippte langsam wie ein Ent zur Seite und wusste für einige Zeit nichts mehr.

Warum? Warum hatte man ihn hierher gebracht? Was hatte man von ihm erfahren wollen? Er zog die Stirn in Falten bei dem angestrengten
Versuch sich zu erinnern. Er versuchte zu Schlucken – aber es ging nicht. Er schmatzte ein paar Mal trocken und stellte angewidert fest, dass
er nur geronnenes Blut auf seinen spröden Lippen schmecken konnte. Er führte die Linke zu seinem Gesicht und fuhr die eingefallenen Wangen
entlang, auf denen unkontrolliert ein Bart wuchs. Ein kehliges Kichern entrang sich seiner ausgedörrten Kehle.

Wie hätte seine Frau Mutter ihn jetzt gescholten. Ihr Bild stand so klar und deutlich vor seinem inneren Auge, als wäre sie gerade jetzt bei ihm
in dieser höllischen Grube. Abermals schlich sich das Ungewöhnliche durch seine Gedanken – aber sein Bewusstsein konnte nicht fassen, was sein
Unbewusstes ihm zeigen wollte. Seine gute alte Frau Mutter – er klammerte sich an dieses klare Bild wie ein Ertrinkender an den rettenden
Baumstamm. Tränen rannen nun sein rußgeschwärztes, geschundenes Gesicht hinab. Er reckte die Arme, als könnte er sie fassen, sich an sie
drücken, wie er es als Kind immer getan hatte, wenn er einen Alptraum gehabt hatte. Plötzlich hielt er in seinem Schluchzen inne – warum nur
war dies so wirklich, so nah? Sie hatten ihm etwas zu Trinken gegeben, oh ja, etwas Feines zu trinken. Er kicherte erneut irre.

Er erinnerte sich an das scharfe Brennen der stinkenden Flüssigkeit in seiner Kehle. Für wenige Augenblicke hatte er die Höhle, in der er
gefoltert wurde, klar und deutlich sehen können. Der Stein, war im aufgefallen, war wie der aus dem Steinbruch – er konnte also nicht weit weg
sein. Was meinte er damit? Steinbruch – das war ein Ort, an dem man Steine brach. Er kicherte wieder. Natürlich war er das! Welch Banalität.
Seine Augen fanden wieder den ungewöhnlichen Punkt. Aber sein Verstand verweigerte erneut die Beschäftigung damit. Stein – Steinbruch – Steine
brechen… Er versuchte die Stirn zu runzeln – und hatte das Gefühl, seine Haut würde schrumpeln wie ein Apfel, der zu lange in der Sonne gelegen
hatte.

Die Tür! Schoß es ihm durch den Kopf. Er wandte den Kopf, aber als seine Augen den Sturz fanden, hatte der Gedanke seinen verwirrten Verstand
längst wieder verlassen. Ein Apfel? Er versuchte sich zu erinnern, was ein Apfel war. Aber da war nur das Bild seiner Mutter. Sie hob mahnend die
Hand und wies dann auf einen Punkt links von ihm. Er glaubte es hätte Stunden gedauert, den Kopf abermals zu drehen. Er hörte seine Halswirbel
protestierend knirschen. Man hatte ihn sehr lange mit Eisenbändern an die Wand gehängt – um die Arme, die Beine und den Hals – dann waren sie
mit dem heissen Eisen gekommen. Tränen – Tränen und Schreie in der Dunkelheit, in die sich sein Verstand geflüchtet hatte.

Endlich konnte er die Tür ganz sehen. Sein Blick schärfte sich für einen winzigen Moment. Aber es reichte zu erkennen, dass die Tür ungewöhnlich
war. Er nahm das letzte Bisschen Verstand zusammen und versuchte zu ergründen, warum die Tür ihm so ungewöhnlich vorkam. Sein Blick glitt
langsam zur Decke. Stein. Kein Gitter? Er dachte nach – und brach in verzweifeltes Gelächter aus, welches von einem heftigen Hustenanfall abgelöst
wurde. Das konnte nicht sein. Er beschloss dort ein Gitter zu sehen. So musste es sein. Es gab keine Tür – er wünschte sich nur eine Tür, durch die
er hier einfach rausspazieren konnte. In Wirklichkeit war sie da oben unerreichbar über seinem Kopf. Er blinzelte nochmal empor und nun waren
dort auch die groben Eisenstangen. Er nickte zufrieden.

Plötzlich spürte er das Eisen unter seinen Händen. Es war beinahe schon warm. Er versuchte zu begreifen, wie er es geschafft hatte aus eigener Kraft
soweit empor zu klettern. Er war ein besonderer Hobbit. Oh ja, das hatte die Stimme auch gesagt. Mit einer Hand am Gitter kauerte er sich hin und
weinte. Da war Feuer, rot glühende Eisen – und unerträglicher Schmerz. Das Getränk und dann die Stimme. Grausam, kalt, er hatte Angst vor ihr und
doch war sie nicht so grob und brutal wie die Stimmen der Folterknechte. Sie flüsterte jetzt in seinen Gedanken, in seinem Kopf. Forderte ihn auf die
Gittertür zu öffnen. Schmeichelte, drohte und flüsterte wieder leise, kaum hörbar. Er wusste, es war vergebens, aber die Stimme sollte endlich
schweigen – also stemmte er sich mit allerletzter Kraft gegen das Eisen. Von seinem Gewicht getrieben, schwang sie nach aussen auf und er fiel in den
Dreck auf dem Boden davor. Gnädige Ohnmacht empfing ihn, noch bevor er die Zusammenkunft mit dem harten Steinboden spürte.

Schnarrende Stimmen, die laut riefen weckten ihn unsanft. Für einen Moment glaubte er, er stünde auf einem Berg und schaute weit, weit in die
Täler hinaus. Aber es waren keine schönen, grünen Täler mit Weiden und Feldern, sondern es war kahler, verbrannter Boden. Unzähliche Schluchten
breiteten sich aus und er stand auf dem Balkon eines riesigen Schlosses, dessen einziger Zweck Einschüchterung und Drohnung war. Es thronte auf
dem Gipfel eines Berges aus Volkangestein. Seine Zinnen waren schwarz und die vielen Türmen ragten wie Nadeln in einen Himmel empor, der wie
flüssiges Blut dahin glitt.

Er griff sich an den schmerzenden Schädel und weinte wieder. Die Stimmen kamen näher. Die Reste seines Verstandes kehrten zu ihm zurück und
er begriff endlich, dass er in der halb geöffneten Tür einer grob behauenen Zelle lag. Er musste fliehen! Musste er das wirklich, flüsterte die leise
Stimme in seinem Kopf. Zischend mit der Stimme diskutierend, krabbelt er zur Wand und lehnte sich rücklings dagegen. Während er versuchte die
Übelkeit zu bekämpfen, reifte der Gedanke an Flucht in ihm. Dann hörte er die Stimmen. Sie klangen nun sehr viel näher. Wenn er wirklich fliehen
wollte, musste er es jetzt tun, sonst wäre es zu spät. Sie kamen! Er konnte sie hören! Jetzt, befahl die Stimme. Steh auf! Jetzt! Nun mach schon!
Er hatte weder die Kraft, noch den Willen sich gegen diese Befehle zu wehren. Er zog sich keuchend und halb erstickt jammernd an der Wand hoch
und begann sich zittern und humpelnd daran entlang zu tasten. Fort – immer weiter fort von den grausamen Stimmen der Folterknechte, die
kamen, um ihn wieder zu den Feuern zu bringen.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~

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Kapitel 1 / II

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Donnerstag 19. Juni 2014, 09:33

Langsam blieb das Licht der Fackeln hinter ihm zurück. Er hörte sie schreien, die Folterknechte, denen er so verzweifelt zu entrinnen suchte.
Er hätte nicht geglaubt auch nur einen Schritt gehen zu können. Er klammerte sich mit unsicheren Fingern an grob behauenen Fels, seine Hände
waren rutschig von seinem eigenen Blut und mehrmals konnte er sich gerade noch eben vor einem Sturz abfangen. Und jetzt kam die Dunkelheit
dazu. Für Minuten, die ihm wie Stunden erschienen, tastete er sich blind voran, immer in Angst, es könnte sich plötzlich ein Loch im Boden
oder ein Seitengang in der Wand auftun und ihn unvermutet verschlingen.

Je länger er so dahinstolperte, sich mehr zog, als ging, desto mehr kam ihm dieser Gang wie der Schlund eines großen, grausamen Tieres vor,
aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Ein dunkles Grollen dröhnte von Zeit zu Zeit durch den Fels und brachte den Boden zum Zittern. Er kämpfte
gegen ein wildes Lachen an. Ees klang wie ein Hund, der einen Knochen verteidigt – ein gewaltiger Hund, dessen Knochen dieser kleine Hobbit
war. Das unterdrückte Lachen ging in ein hilfloses, halb ersticktes Schluchzen über. Vielleicht gab es ja keinen Ausgang? Vielleicht war er auf alle
Zeit hier gefangen.

Geh weiter! Die Stimme war plötzlich wieder da. Leise, quälend und befehlend, keinen Widerspruch duldend. Unfähig sich dagegen zu wehren
setzte er weiter einen unsicheren Fuß vor den anderen. Spitze Steine bohrten sich in seine Sohlen und machten manchen Schritt zur Qual. Mit
den Zehen stieß er immer wieder schmerzhaft gegen den harten Stein. Aber er setzte seinen mühevollen Weg fort. Hinter sich die hektischen
Rufe der Folterknechte und die Feuer. Die Feuer, die sich so lange in sein Fleisch gefressen hatten. Die so furchtbare Narben auf seiner Haut
hinterlassen hatten. Die Feuer, die er für den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen konnte, die ihn jede Nacht heimsuchen würden. Was
machte es, wenn er jetzt aus diesem Loch entkam – er stöhnte auf – er würde den Feuern wohl nie mehr entkommen können.
Er verharrte mit zitternden Knien und spuckte etwas Blut auf den Boden. Wie konnte soetwas nur geschehen? Wo sollte er denn hingehen? Seine
Erinnerungen waren bis auf wenige vereinzelte Bilder ausgelöscht. Wer würde einer solch jämmerlichen Gestalt schon helfen wollen? Er sackte ein
wenig an der Wand hinunter, während die Stimmen nun wieder lauter wurden. Sein Magen verknäuelte sich – wie lange schon war es her, dass er
etwas gegessen hatte? Bunter Lichter begannen vor seinen Augen zu tanzen und sein Kopf fühlte sich mit einem Mal merkwürdig leicht an. Wann
hatte er etwas getrunken? Die muffige, trockene Luft hatte seine Kehle schon vor langer Zeit ausgedörrt. Dann fiel ihm wieder die merkwürdige
Flüssigkeit ein, die man ihm bei den Feuern gegeben hatte. Er schüttelte sich unwillkürlich. Sie hatte den Durst nicht völlig vertreiben können –
aber sie hatte ihm etwas Kraft gegeben – und den einen oder anderen, klaren Gedanken. Was hatte man mit ihm gemacht?

"Ich will es nicht hören!", schrie er die nun wieder leise flüsternde Stimme in seinem Kopf an. Die Worte hallten kraftvoll und unheilverkündend
von den Wänden des schmalen Ganges wieder.

Lauf! Flieh! Eine neue Chance wird es nicht geben! Lauf, lauf um dein Leben! ICH befehle es dir! Nun zitterte er am ganzen Körper. Er stemmte
sich gegen das Verlangen der Stimme zu gehorchen. Aber ausgezehrt und geschunden wie er war, hatte er ihr nichts entgegen zu setzen. Er würde
nicht mehr gehorchen. Richtig. Er würde später… später… der Gedanke entglitt ihm. LAUF! Das Drängen der Stimme war nun so übermächtig,
dass er gehorchen musste. Er richtete sich stöhnend wieder auf, sich haltsuchend und schwankend an einige Felskanten in der Wand klammernd.
Dann setzte er leise jammernd seinen Weg fort.

Nach wenigen weiteren Metern öffnete sich eine größere, hell erleuchtete Halle. An den Wänden brannten russende und stinkende Fackeln, deren
Licht die Halle in ein rötlich Flackerndes Licht tauchte. In einer Ecke brannte ein Feuer, dessen eingesperrter Rauch an der Decke und den Wänden
entlang waberte. Während der heisse Atem der brennenden Holzscheidte in Augen und Kehle brannte, stieg der Gerucht nach gebratenem Fleisch
in die Nase. Ein paar Bilwisse saßen um das Feuer und rissen mit ihren krummen Zähnen große Stücken von einigen Knochen, die sie von einem
großen Brantenspieß in Mitten der Flammen genommen hatten.

Sie schrien sich an – es dauerte eine Weile bis der Hobbit begriff, dass sie sich unterhielten. Die Worte und Satzfetzen, die an sein Ohr gelangten
jagten ihm einen Schauer über den Rücken. Es waren nicht mal die schnarrenden Stimmen, sondern die Sprache, die sie benutzten. Die Worte
verströmten eine eisige, leblose Kälte und Leere. Ein Schauer durchfuhr ihn und die Haare in seinem nacken richteten sich spürbar auf. Er wusste
nur, dass er dies niemals wieder in seinem Leben hören wollte.

Schleiche da RECHTS entlang! Die Stimme flüsterte jetzt so leise in seinem Kopf, dass er Mühe hatte sie zu verstehen. Er wandte den Kopf in die
Richtung und folgte leicht geduckt einer Ausbuchtung in der Wand, wie geheißen. Als er sich in der Ausbuchtung zusammenkauerte wurde ihm
beinahe Schwarz vor Augen. Schau nicht nach UNTEN! Befahl die Stimme kalt und ohne Mitleid. Er wollte etwas erwidern, aber er klappte den Mund
zu, ohne etwas gesagt zu haben. Plötzlich dröhnte das Geräusch wieder durch die Luft und den Fels – es modulierte höher und tiefer und verstummte
ebenso plötzlich, wie es erklungen war. Die Bilwisse sprangen auf und ließen ihre angenagten Knochen fallen.

Während sie zu dem Durchgang rannten, aus dem der Hobbit gerade gekommen war, wägte er ab, ob er lieber einen der Knochen holen wollte oder
ohne seinen Weg fortsetzen sollte. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Feuer, und den dort schmorenden Spieß. Plötzlich waren die bunten
Flecken wieder da und er kippte wie er war, zur Seite in eine dunkle, kleine Nische hinein.
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Kapitel 1 /III

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Montag 4. August 2014, 11:24

Kälte drang durch die Dunkelheit und fraß sich unaufhörlich in seine Glieder. Sie stieg langsam und quälend von den Zehen hinauf bis in seinen Bauch. Ein drückender Schmerz erwachte pochend in seinem Rücken zu unbarmherzigen Leben. Er rann zuckend und feurig hinab und setzte Schultern und Steiss in Brand. Ein leises, röchelndes Stöhnen entrang sich der ausgedörrten Kehle. Es schien ihm, als dauerte es viele Stunden lang, bis sich seine Finger bogen und er seinen Arm endlich bewegen konnte. Schlaff fiel er auf der Seite auf rauhen, kalten Fels. Der Hobbit stöhnte erneu und mit zusammen gepressten Zähnen zwang er seine Hand dazu, sich flach auf den Stein zu legen und die Körperseite ganz langsam nach oben zu drücken. Es schien ihm, als zöge ihn ein unendlich großes Gewicht nach unten, gegen welches er mit den letzten Kräften ankämpfte.

Heftig atmend setzte er sich schließlich auf und lehnte einen Augenblick mit dem Rücken an der Wand der winzigen Nische, in die er gerollt war. Er hatte einen metallischen Geschmack im Mund und getrocknetes Blut auf den Lippen. Der Schmerz in seinem Rücken rührte von einem unförmigen Stein, auf welchen er gefallen war und der sich während seiner Bewusstlosigkeit zwischen seinen Schultern in den Rücken gebohrt hatte. Er vermochte die Arme kaum zu bewegen, sobald er es versuchte, erwachte der Schmerz kreischend zu Leben und blendete ihn mit grellen Lichtflecken. Der Hobbit versuchte ein paar Mal vergeblich zu schlucken. Seine Kehle war so trocken wie ein Stein im Sand eines ausgetrockenten Flussbettes.

Also verharrte er eine Zeit lang in dieser sitzenden Haltung, an den rauhen Stein gelehnt und wartete, bis sich sein Blick wieder halbwegs klärte. Was bedeutete, dass die Lichtflecken gänzlich verschwanden, denn um ihn herum herrschte wieder undurchdringliche Dunkelheit. Der einzige kümmerliche Schein, den er irgendwo im Dunkel knapp aus den Augenwinkeln ausmachen konnte, stammte von dem letzten Glimmen des längst erloschenen (oder gelöschten?) Lagerfeuers der Bilwisse. Der Hobbit lauschte angestrengt in das allumfassende Dunkel und versuchte irgendein Geräusch zu fangen, welches ihm eine Idee vom Aufenthalt der Bilwisse vermitteln konnte, die hier vor seiner Ohnmacht gesessen hatten. Aber da war nichts. Nichts ausser dem entfernten "Ploppsch" von Wasser und einem gelegentlichen Huschen kleiner Füsse. Ratten! schoss es dem unglücklichen Hobbit durch den Kopf – doch er war viel zu erschöpft und verzweifelt, um echten Ekel oder Angst zu verspüren. Er würde sich wohl nie wieder in seinem Leben vor so etwas Banalem, wie Ratten oder Spitzmäuse fürchten. Er spürte ein kehliges, irres Lachen in sich aufsteigen. Aber der gurgelnde Ton, der sich schließlich über seine Lippen mühte, hatte kaum Ähnlichkeit mit dem Lachen eines Hobbits. Was würden seine Freunde wohl sagen, könnten sie ihn jetzt so sehen?

Der Hobbit richtete den Kopf. Freunde? Hatte er sowas wie Freunde gehabt? Wo waren sie jetzt? Warum hatten sie ihn hier zurück gelassen? Waren sie überhaupt mit ihm hiergewesen? Er stiess mit dem Kopf wieder und wieder an den Fels hinter ihm. Erneuter Schmerz kroch kurz durch seinen Schädel, ging aber fast gänzlich in dem ganzen Gefüge aus Schmerzen und Angst unter, sodass er ihn kaum spürte. Er wollte diese Gedanken zum Schweigen bringen. Sie erinnerten ihn daran, dass es auch mal anders gewesen sein könnte. Dass er mal wusste, was Sonnenlicht und frischer Wind war – dass er vermutlich sogar Familie hatte… er hielt inne. Familie. Das Wort berührte etwas ganz tief in seinem Herzen. Familie. Kurz tauchte das Bild von einem kleinen Hobbitmädchen auf, eine einsame Träne suchte sich einen Weg aus seinem Auge die Wange hinab. Ihre Haare waren golden wie kräftiger Weizen im Spätsommer kurz vor der Ernte. Sie … plötzlich war da wieder nur das Bild seiner Mutter, die streng den Arm hob und finster dreinschaute.
Sie haben dich im Stich gelassen, flüsterte eine kalte Stimme in seinem Kopf. Er stöhnte auf – er wollte diese Worte nicht hören. Sie haben dich alle verlassen, setzte die Stimme bohrend hinzu. Sie wollten dich hier zurücklassen und vergessen! Verschwende keine Gedanken mehr an sie, drängte sie weiter. Der Hobbit liess den Kopf hängen, er hätte keine Kraft sich gegen diese geflüsterten Grausamkeiten zu wehren. Etwas in ihm wollte dies glauben, denn es war einfacher, einfacher zu akzeptieren, dass er nun allein war – dass die einzige Hoffnung, die er nun hatte, die war, dass er selbst und allein einen Weg hier heraus fand.

Ein eisigkalter Lufthauch streifte sanft, fast streichelnd über seinen Arm und liess die Härchen darauf zittern. Er atmete schwer aber tief ein und spürte etwas, auf das er kaum noch zu hoffen gewagt hatte. Ein wenig frische Luft war in dem Hauch – kurz, verdammt kurz, aber doch wahrnehmbar. Er liess sich benommen nach vorn auf alle Viere fallen und krabbelte mühsam ein paar Meter in die Dunkelheit hinein, weg von der Wand und der Nische auf die sterbend glimmende Masse zu Asche verbrannter Holzscheite zu. Seine Hand stieß an etwas Hartes. Er tastete mit jäh aufflammender Gier an dem groben Metallspieß entlang, der vergessen neben dem vergangenen Feuer lag. Als seine Finger über abgekühltes, halb verbranntes Fleisch und Knochen fuhren, unterdrückte er einen triumphierenden Aufschrei. Er hockte sich inmitten der Schwärze hin und riss an dem Braten, bis er einen Brocken des unappetitlich stinkenden Fleisches in den zitternden Händen hielt.

Noch während er seine Zähne in dieses Stück hieb, spürte er Triumph. Er würde nicht sterben, nein mein Herr, nicht hier – nicht jetzt – NIEMALS! Ein bösartiges Lachen explodierte in seinem Kopf. Nein, sagte die Stimme, du wirst hier nicht sterben, ich habe Großes mit dir vor, mein kleiner Freund. Der Hobbit riss ungeachtget dessen gierig an dem Stück Fleisch. Bissen, um Bissen schlang er halb gekaut hinunter, bis sich ihm der Magen umdrehte. Er sank zusammen und erbrach sich haltlos würgend. Und wieder kämpfte sich ein gurgelndes, entsetzlich entstelltes Lachen über seine Lippen. Nicht alles, dachte er von einem merkwürdigen Hochgefühl ergriffen, während er den Fleischbrocken erneut zum Mund führte, du kannst nicht alles wieder ausspeien! Wieder und wieder kämpfte er gegen den Brechreiz an – vergeblich, bis ihm beinahe die Sinne schwanden. Doch dann, kurz bevor sein Verstand endgültig aufgeben wollte, behielt er den letzten Bissen bei sich. Die Stimme in seinem Kopf kicherte boshaft, als würde sie sich an seiner Qual ergötzen.

Und nun, mein kleiner Feund, STEH AUF! befahl sie kalt und gnadenlos. Der Hobbit kroch ein wenig von der Feuerstelle fort und stieß schließlich an ein halbrundes, muschelartiges Zelt. Er bleckte die Zähne – hier musste doch…. er zerwühlte einige räudige Felle, die entsetzlich nach Fäulnis stanken, und fand schließlich sowas wie einen Wasserschlauch. Er fummelte solange daran herum, bis er die Riemen, die den Schlauch zu hielten, gelöst hatte und altes, abgestandenes Wasser über seine Zehen lief. Er trank begierig mit tiefen Zügen, doch obwohl sein Magen erneut revoltierte, zwang er den Reiz wild entschlossen nieder. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Nebel, die seinen Verstand umhüllten, ein wenig lichteten und wenig, aber ausreichend Kraft in seine Glieder strömte, sodass er seinen Weg fortsetzen konnte.
Er richtete sich schwankend auf und taumelte an die nächste Wand, was ihm Ewigkeiten zu dauern schien. Sehr gut! lobte die grausame Stimme. Und nun, wirst du den Ausgang suchen. Wo du hereinkamst, muss es auch wieder hinausgehen. GEH. GEH!

Stunde, um Stunde irrte er durch dunkle, verlassene Gänge. Nirgendwo war ein Anzeichen der Bilwisse zu sehen, die ihn länger, als er denken konnte, hier gefangen gehalten und gefoltert hatten. Er konnte es kaum glauben. Warum hatte man ihn zurück gelassen? Warum hatte man ihn nicht getötet? Das ist nicht wichtig jetzt, flüsterte die Stimme nun wieder leiser. Du weisst, was du zu tun hast, mein kleiner Freund! Ich werde dich leiten, vertraue mir!

Die letzten Reste seines Verstanden wollten sich dagegen wehren, wollten alles, nur nicht den Anweisungen dieser grausam kalten Stimme folgen. Aber der Wille zum Überleben trieb ihn weiter und weiter, tiefer in das Zwiegespräch mit dem einzigen Freund, den er hier unten hatte, hinein. Das Flüstern war nun allgegenwärtig, mal lauter, mal leiser, aber immer da. Er ertappte sich dabei, wie er danach suchte, schwieg sie für wenige Minuten. In seinem Kopf tobte ein heftiger Kampf. Mal verharrte er und stöhnte unter der Last der Vernunftgedanken, dann wieder lachte er gurgelnd, gewann der Wahnsinn die Oberhand. Und währenddessen lenkte die Stimme seine Schritte, weiter und weiter.

Plötzlich formte sich vor seinen entzündeten Augen etwas Neues, Aussergwöhnliches. Es waren einige Lichtdolche, welche silbern und dünn durch die Wand vor ihm sickerten und hart durch die Finsternis stakten. Ungläubig und überrascht fing er einen davon mit seiner Hand auf. Es war kalt und zeichnete einen grauen Streif auf das inzwischen getrockene Blut auf seiner Hand. Er kicherte wild. Er hatte es geschafft! Er stolperte nach Vorn und liess seine Hände schließlich über das grob bearbeitete Holz einer schweren Tür fahren. Sie war nur angelehnt und das Licht quoll durch Ritzen zwischen den groben Holzbalken. Er lauschte für einen Moment, konnte aber nur das unregelmäßige Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren hören. Schließlich stiess er mit einer gewaltigen Kraftanstrengung die Tür auf und sank in dem breitem, silbrigen Mondlicht auf die Knie.
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Kapitel 2 / I

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Donnerstag 7. August 2014, 10:50

Kühler Wind strich sanft um das im Mondlicht schimmernde Felsgestein. Seine Lunge sog gierig die klare Luft ein wieder und wieder, als könne sie gar nicht fassen, dass es soetwas köstliches tatsächlich geben konnte. Für einen winzigen Moment wurde ihm davon sogar schwindelig aber dann fühlte er sich belebter und wilder Wille erwachte jäh in seinem Innern zu brodelnden Leben. Er ballte die Rechte zur Faust und stieß sie triumphierend gen Himmel und ein tiefempfundener Schrei nach Freiheit löste sich in seiner Brust und brach sich aus seinem beklemmenden Gefängnis aus Angst und Verzweiflung Bahn. Nie wieder sollten diese uralten Felswände des kleinen Tales einen solchen Schrei hören. Sie warfen ihn hundertfach wieder, sodass er gewaltig durch die Nacht hallte und einige Tiere in den Wäldern oberhalb der Talsenke aufschreckte, die verängstigt davon sprangen. Schließlich ging der Schrei in trockenes Husten über und erstarb dann gänzlich.

Der Hobbit blieb noch eine Weile mit gesenktem Kopf sitzen und kämpfte mit sich selbst. Es war eine neues, leises Flüstern in seinem Herzen erwacht, das ihm beharrlich zuraunte, dass er niemals wieder wirklich frei sein würde. Angst kroch auf eisigen Fingern seinen Rücken hinab. Doch da war sie wieder, die Stimme, sein Freund aus der Hölle. Laut, mächtig – sie lachte in seinem Kopf und erstickte das Flüstern des Zweifels mit der schieren Boshaftigkeit ihres Daseins. Die Welt kippte wieder ins Lot und er bemerkte, dass sich seine Finger in seine Haare gekrallt hatten und sich die Fingernägel tief in seine Haut gegraben hatten. Er hörte rasselnde, hektische Atemzüge und gewahrte, dass es seine eigenen waren. Der Hobbit liess den Kopf in den Nacken fallen und betrachtete den klaren, dunklen Himmel, an dem die Sterne nur blass leuchteten neben der großen, vollen Scheibe des Mondes. Es dauerte noch etwas, bis er den Aufruhr in seinem Innern halbwegs bezwungen hatte.

Das Lachen erstarb, dafür erzählte ihm die Stimme mit gelangweilter Gleichgültigkeit von einem Dorf, gleich hinter den Hügeln. Sie erzählte ihm von bösen Hobbits, die die anderen Hobbits unterdrücken würden und mit gefährlichen Ausländern im Bund stünden. Er würde sie gleich erkennen, wenn er sie träfe, sie nannten sich selbst Grenzer und würden sich selbst gern als die guten Beschützer verstehen. Die Stimme ermahnte ihn, sich nicht von ihnen und ihrer geheuchelten Gutmütigkeit und Rechtschaffenheit blenden zu lassen. Du musst die Hobbits von dieser Knechtschaft befreien, flüsterte die Stimme eindringlich. Elbischer Zauber hilft ihnen, die Hobbits gefügig zu machen – ich werde dir helfen dich dagegen zu wappnen. Du als einziger wirst ihrem trügerischen Lied nicht erliegen, mein kleiner Freund! Hüte dich vor den Grenzern und ihren Freunden, den Waldläufern und den Elben! Und nun mach dich auf – das Auenland braucht dich mein Freund! Mit diesen Worten erstarb die Stimme und ließ ihn fürs Erste verwirrt und voller Fragen zurück.

Er hatte nur eine vage Vorstellung von dem, was die Stimme ihm eingeflüstert hatte. Das Wort "Elben" geisterte durch seine verworrenen Gedanken. Seine Gedanken wurden nur bei Sage und Legende fündig. Konnte sein Freund das gemeint haben? Sein Freund? Wem gehörte die Stimme? war es gar seine eigene? Hatte er überhaupt Freunde? Er konnte sich einfach nicht erinnern, so sehr er es auch versuchte. Immer wenn er versuchte Bilder und Erinnerungen zu beschwören, die vor den Feuern lagen, dröhnte ein ohrenbetäubendes Raunen in seinem Schädel und schien ihn zu füllen und zum bersten bringen zu wollen.
Er stützte die Hände auf die Knie und atmete zweimal tief ein und aus. Der Boden unter seinen Knien war mit kleinen Steinen bedeckt, ein paar Schritt weiter ging die trockene, sandig erdige Fläche in einen sanften Grasteppich über. Der Mond warf seltsame Schatten und Lichtspiele darauf, während sich die schlanken Halme in der leichten Brise wiegten. Auf einmal verspürte er eine unbändige Lust, dieses weiche Gras zwischen den Zehen zu spüren. Unwirsch schüttelte er die belastend verschwommenen Gedanken ab und erhob sich ein wenig schwankend und ächtzend. Heftig schnaufend und humpelnd begann er sich langsam zum Ausgang des kleinen Taleinschnittes zu schleppen. Seine Tritte verursachten kaum ein Geräusch und dennoch hatte er das unangenehme Gefühl, er würde diesen reinen Moment durch seine Anwesenheit stören, als wäre seine bloße Gegenwart eine Beleidigung dieser mondbeschienenen, stillen Idylle. Plötzlich entfachte ein einziger, losgelöster Gedanke sein Mißtrauen zu heller Glut.

Wo waren die Bilwisse?
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Kapitel 2 / II

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 8. August 2014, 12:12

Ein frecher Lichtstrahl kitzelte Azalinchen im Gesicht. Vorsichtig öffnete sie die Augen einen wenig und blinzelte heftig, als ihr der Sonnenstrahl direkt ins Augen stach. Brummelnd zog sie die Decke ein wenig höher und atmete tief die fein aromatische Frühlingsluft, die durch das halb geöffnete Fenster hereinwehte. Das Seidenlaken ihrer daunengefüllten Decke raschelte verführerisch und brachte das Hobbitmädchen dazu sich nochmal so richtig gemütlich einzukuscheln und den frischen Frühlingsduft zu genießen. Ihre goldblonden Haare kringelten sich dabei so wild, dass sie ihr in der Nase und den Ohren krabbelten. Azalinchen nieste kräftig und kicherte darüber, während sie versuchte die Lockenpracht unter das Kopfkissen zu stopfen so gut es eben ging.

Dabei entglitt ihr der kleine Kuschelhund, den ihr Vater ihr einst geschenkt hatte, als sie noch ein ganz kleines Mädchen gewesen war, und landete auf dem kunstvoll gewebten Teppich. Für einen ganz kurzen Augenblick starrte sie das ungehorsame Spielzeug mißtrauisch an – sie war sich sicher, dass er das absichtlich getan hatte. Dann lächelte sie vergnügt über das ganze Gesicht und setzte sich auf, um sich herzhaft zu strecken. Sie warf einen Blick aus dem Fenster und stellte fest, dass es bald Zeit fürs erste Frühstück war. "Du hast ja Recht", erklärte sie, mit der linken Hand nach dem kleinen Kuschelhund angelnd. "Wenn ich jetzt nicht aufstehe, verpasse ich das Frühstück!"

Sie hob ihre kleine, vorwitzige Stuppsnase und schnupperte angestrengt. Ein zufriedener Ausdruck breitete sich auf ihrem breit lächelnden Gesicht aus. Oma Feinweber hatte wohl einen ihrer berüchtigten Mohnkuchen vorbei gebracht. Der Duft war so unwiderstehlich, wie er unverwechselbar war. Azalinchen verlor nun auch keine Zeit mehr, sondern sprang eilig aus dem Bettchen und machte sich über ihr Waschgeschirr her. Feine Blümchen und kleine, bunte Schmetterlinge zierten das edle Porzellan. Es war ein Geschenk ihrer Großeltern gewesen, die ihre Enkelin bald über Gebühr verwöhnten, wie sich Mutter immer auszudrücken pflegte. Was aber die liebenden Großeltern trotzdem nicht davon abhielt ihre einzige Enkelin rundum zu verwöhnen.

"Lass mich doch, Liebes", sagte Oma Feinweber etwa zu ihrer Tochter, wenn diese mal wieder einen finsteren Blick aufsetzte, "Du bist doch schon zu groß, um dich zu vewöhnen, ausserdem sagst du immer, du hättest schon alles, was du dir wünschst!" Ja was sollte Hyazind da noch weiter zu sagen. Sie strich dann immer lachend die Segel und meinte gut gelaunt zu ihrer Mutter: "Ach Mutter, bleib du nur, wie du bist. Du würdest auch die Spitzmäuse in deinem Garten päppeln, wenn sie nur nicht versuchen würden in deine Finger zu beissen!"

Azalinchen beendete die Morgentoilette mit einigen raschen Bürstentreichen durch ihre Haarpracht, verschwendete dann aber keine weitere Zeit, sondern eilte flinken Fußes nach unten, zum Frühstück. Währenddessen thronte der kleine Kuschelhund auf ihrem Kopfkissen und behielt das Zimmer wachsam im Auge.

Der Vater saß schon am Tisch und schnitt sich gewaltige Scheiben von dem frischen Brot herunter. Azalinchens Augen begannen zu leuchten, als sie tatsächlich den erhofften Mohnkuchen auf dem Tisch zwischen all den anderen guten Sachen entdeckte. Hyazind kam eben aus der Kochstube und hielt eine große Schüssel mit frischen Erdbeeren in Händen. "Oh Spatz", rief sie hellauf entsetzt aus, als sie Azalinchen anschaute, "hast du heute Morgen deine Bürste nicht gefunden?"

Azalinchen schaute sie mit ihrem unschuldigsten Ich-wars-nicht-Blick an, während der Vater aufhörte das Brot zu schneiden und seine Tochter nun ebenfalls in Augenschein nahm. Er grinste breit und zog seine Tochter lachend an sich, um ihr durchs wilde Haar zu wuscheln. "Was hast du denn Zienchen? Sie sieht doch nur ein kleines bisschen wie ein wildgewordener Handfeger aus!" Azalinchen kuschelte sich in des Vaters Arme und verspürte große Zuneigung und Geborgenheit, während sie seiner angenehmen, tiefen Stimme lauschte. "So, Krümelchen, nun aber ab auf deinen Stuhl", rief er schmunzelnd.

Es klopfte an der Tür und Hyazind ging hinaus, um zu schauen, wer denn schon so früh etwas von ihnen wollte. Marhlo widmete sich wieder den Broten, die er jetzt dick mit dem hausgemachten Honigrahm seiner Frau bestrich – eine Köstlichkeit die noch ihres Gleichen suchte, wie er fand. Das Wasser lief Azalinchen schon förmlich im Mund zusammen, als sie beobachtete, wie der Vater saftige Erdbeeren und dicke Heidelbeeren in dem Rahm versenkte. Marhlo warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und legte dann schmunzelnd eines der Brote auf den Teller. "Na gut, Krümel, hier hast du auch eines!" Azalinchen gluckste vergnügt und biss herzhaft hinein – und fand es war das wunderbarste Essen, das man zum Frühstück auf der ganzen Welt haben konnte.

"Es ist Balmund, er möchte dich in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, Schatz", sagte Hyazind, die nun wieder in der Tür auftauchte. Sie schaute fragend, aber Marhlo zuckte nur die Schultern, er konnte sich grad auch keinen Raim darauf machen. Mit gerunzelter Stirn ging er hinaus zu dem Gast. Kurz darauf tauchte er mit dem Geschäftsführer des Schärener Steinbruch wieder auf. Der bekam große Augen, als er den reich gedeckten Frühstückstisch sah und drehte nervös seine Mütze in den Händen. Marhlo setzte sich und bedeutete seinem Gast, es ihm gleich zu tun. Unterdessen räumte Hyazind ein viertes Gedeck auf den Tisch und Azalinchen ruckte etwas zur Seite, um Platz dafür zu machen.

Es wurden viele Worte gewechselt und Azalinchen verspürte keine Lust, zu zu hören, sie fand die Erdbeeren und die große Kanne Kakao viel interessanter. Aber plötzlich zog Balmund ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er vertilgte gerade ein wirklich riesiges Stück des guten Mohnkuchens, als er Marhlo plötzlich sehr ernst anschaute und sagte: "Du kannst das nicht ablehnen, Marhlo, eine solche Gelegeneit kommt nicht wieder. Die Reise wird dich weiter nach oben bringen in diesem Geschäft! Und denk doch nur an das Ansehen, das deine Familie dadurch bekäme – ihr gehörtet praktisch über Nacht zu den besseren Kreisen!"
Marhlo schnaubte. "Als wenn es darauf ankäme!" erwiderte er ein wenig spöttisch. "Wir sind doch glücklich hier, oder nicht?" Hyzind nickte und begann damit die leeren Schüsseln und Krüge hinaus zu tragen. Azalinchen mümmelte noch ein wenig an ihrem Brot – nun war ihre Neugier doch geweckt.

Als Hyazind die Stube verlassen hatte, beugte sich Balmund zu Marhlo und raunte: "Ich weiss, dass du immer Streit mit deinem Schwiegervater wegen deines Standes hattest, Marhlo. das wäre jetzt die Gelegenheit, das zu ändern." Azalinchen musterte den Hobbit aufmerksam, der Ausdruck, der bei diesen Worten über sein Gesicht glitt gefiel ihr ganz und gar nicht – er ängstigte sie geradezu. Sie blickte zu ihrem Vater, der aber zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, um ihren Blick zu bemerken.

"Aber die Gefahr", gab er zu Bedenken. "Ich habe gehört, in den Hügeln da oben sei es nicht geheuer. Es sollen dort auch vereinzelt Bilwisse leben. Bilwisse! Weisst du, was das heisst, Balmund?"

"Ach das sind doch alte Ammenmärchen, um die Kinder und Zwiens zu erschrecken, die nimmt doch ein gestandenes Mannsbild wie du gar nicht ernst!" Er lächelte Azalinchen zu, die ihn jetzt mit großen Augen anstarrte. Ein sehr unangenehmes Lächeln, wie Azalinchen fand, eher ein schmieriges Grinsen. Sie senkte den Blick und begrub ihr Gesicht hinter ihrer Kakaotasse.

"Also gut", lenkte Marhlo schließlich, "ich werde darüber nachdenken!" Mehr sagten sie nicht über diese Angelegenheit und sprachen nun über das Frühstück und wie das Wetter wohl in den nächsten Tagen sein könnte.

An diesem Abend stritten sich die Eltern so heftig, dass Azalinchen sich tief in ihrem Bett verkroch, ihren kleinen Kuschelhund ganz fest an sich presste und sich ganz verstört fragte, was denn nur geschehen war.
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Kapitel 2 / III

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Montag 11. August 2014, 18:48

Am nächsten Tag dachte Azalinchen nicht mehr an den Streit der Eltern. Als sie die Augen aufschlug und merkte, dass die Sonne eben im Begriff war,
aufzugehen, begann ihr Herz zu klopfen und das Grinsen freudiger Erwartung von vielen, vielen Geschenken brachte ihr Gesicht zum Strahlen. Sie knuddelte
aufgeregt ihren Kuschelhund und gab ihm dann abschließend einen dicken Schmatzer auf den schon etwas schiefen Kopf.

So eilig hatte sie es noch nie gehabt, aus dem Bett zu kommen. Beinahe wäre sie auch noch über die vorwitzige Bettdecke gestolpert. Aber auch das vermochte
ihr die Laune nicht zu verderben. Auf dem Weg zur Zimmertür wirbelte sie noch flott ihr Püppchen Balsamina wild im Kreis herum. "Weisst du, welcher Tag
heute ist, meine Liebe?" flötete sie dabei fröhlich. Plötzlich hielt sie inne und starrte ihre Puppe nachdenklich an, die mit einem freundlichen, unentwegten
Lächeln antwortete. "Bin ich jetzt zu alt, um mit dir zu spielen?" Azalinchen pustete sich gedenkenverloren eine Strähne des gelockten Goldhaares aus dem
Gesicht. Dann setzte sie ihre Puppe gemessen zurück in ihr Puppenbettchen, nicht ohne die winzigen Blausternchen in der kleinen Puppenvase daneben wieder
zurecht zu rücken, und tippte Balsamina auf die Nase. "Ja, ich denke jetzt bin ich zu alt für dich", beantwortete sie ihre eigene Frage und richtete sich stolz
zu ganzer Größe auf. Sie verließ das Zimmer – noch bevor die Tür ins Schloss schnappte stürzte sie erneut herein drückte ihre Puppe fest an sich und drückte
auch ihr einen dicken Schmatzer auf den Kopf. Fast schien es, als würden Balsamina und der Kuschelhund einen achselzuckenden Blick tauschen, als sich die
Tür hinter Azalinchen schloss.

Noch in geblümten Nachthemd und feinen Hauspuschen warf sich Azalinchen ihrem Vater in die Arme, der wie jeden Morgen bereits am Frühstückstisch saß.
"Guten Morgen Papa!" schmetterte sie begeistert und versuchte dabei vergeblich einen Blick durch die Tür in die große Wohnstube zu erhaschen. "Na, wen
haben wir denn da", schmunzelte Marhlo verhalten. Er warf der Uhr über dem Geschirrschrank einen prüfenden Blick zu. "Müssten kleine Mädchen nicht um
diese Zeit noch im Bett sein?"

"Aber Papa", Azalinchen richtete sich auf und drückte sich entrüstet vom Papa weg. "Ich bin doch nun gar nicht mehr klein!"

"Nicht mehr klein?" fragte der Papa gespielt erstaunt nach. "Ja wie kommt denn das bloß?"

"Och Papa, du willst mich ärgern", Azalinchen verschränkte die Arme energisch vor der Brust und machte einen Schmollmund.

"Was gibt’s denn hier für eine Aufregung?" Hyazind betrat das Esszimmer und tischte frisches, herrlich duftendes Zwiebelbrot und dampfende Haselnussbrötchen
auf. Azalinchen machte große Augen und merkte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief.

"Ich weiss auch nicht, ich glaube unsere kleine Maus möchte erwachsen sein", antwortete Marhlo lachend seiner Frau, während er Azalinchen von seinem
Schoß hievte.

"Erwachsen? In dem Aufzug?" erkundigte sich Hyazind und betrachtete Azalinchen streng, während ihr Blick kritisch über das Nachthemd und die Hauspuschen
glitt. Azalinchen duckte sich ein wenig und versuchte die Mutter mit einem frechen Grinsen gnädig zu stimmen. Doch zwischen Hyazinds Augen entstand eine
steile Falte auf der Stirn und Azalinchen wusste, dass sie lieber zusehen sollte, dass sie vernünftige Sachen an den Leib bekam.

Keine fünf Minuten später war sie wieder in der Essstube, fertig angezogen und gewaschen. Sogar die hüftlangen Haare hatte sie mit einem roten Seidenband
ordentlich nach hinten gebunden. Hyazind staunte über ihre Tochter.

"Na dann komm mein kleines Geburtstagkind!" sagte sie und nahm ihr Töchterchen ganz fest in die Arme. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis sie ihr
Nest verlassen würde. Hyazind blinzelte den Kummer darüber fort und küsste die weichen Goldlocken ihrer Tochter.

Aber Azalinchen drückt sie weg und setzte eine finstere Mine auf. "Aber Mama, ich bin doch gar nicht mehr klein", sagte sie mit dem Fuß aufstampfend.

"Geburtstag?" mischte sich Marhlo nun wieder ins Gespräch. "Tatsächlich? Wer denn?"

"Papa!"

Azalinchen blickte nun von Hyazind zu Marhlo und wieder zurück. Sollte es tatsächlich sein, dass die Eltern tatsächlich ihren Geburtstag vergessen hatten? Doch
die beiden hielten es nicht mehr aus und prusteten nun laut heraus – Azalinchens verwirrter, fragender Blick war einfach zu urkomisch.

Doch nun meldete sich neuer Besuch an. Oma Feinweber erschien in der Tür und strahlte in die Runde. Opa Feinweber stand dahinter und balancierte einige
Päckchen.

"Kannst du nicht endlich reingehen", nuschelte er ärgerlich, denn einige der Päckchen waren doch etwas schwer.

"Ach du altes Fossil, wirst doch wohl mal die zwei Sekunden warten können, dass die Oma ihre Zwiensenkelin gebürend begrüßen kann", gab Oma Feinweber
ungerührt zurück.

"Wenn ich ein Fossil bin, bist du eine Schrumpelzwetschke aus dem Keller von Uroma Akelei!" knurrte der Opa und legte ein paar Päckchen auf einer der
Kommoden ab.

Oma Feinweber hatte sich gerade zu Azalinchen gebeugt, um sie in ihre Arme zu schließen. Doch nun richtete sie sich wieder auf, stemmte die Arme in die
Seiten und wandte sich ihrem Mann zu. "Na immerhin sieht man mir mein Alter nicht an", versetzte sie fast schon ein wenig giftig. "Bei dir müsste man ja
nun erst mal die Nase zwischen den ganzen Falten suchen!"

Opa zog die Augenbrauen hoch und grinste. "Na, das liegt daran, dass ich meine Haut nicht wie Zwetschken in hunderte wirkungsloser Cremes und
Duftölchen einlege!"

"Ach ihr beiden wieder", rief Hyazind lachend und nahm die beiden Zankhähne versöhnend an der Hand. "Natürlich habt ihr recht", sagte sie und betrachtete
Azalinchen stolz. "Wir haben heute den Zwiensgeburtstag unseres Azalinchens zu feiern und das wollen wir denn nun auch tun, nicht wahr?"

Azalinchen hatte dem Gespräch der Großeltern mit offenem Mund gelauscht. Nicht, dass sie diese Art der Zwiegerpäche nicht schon von den beiden gewohnt
war, aber gerade wusste sie nicht, ob sie lachen durfte oder sich lieber zurückhalten sollte. Nun aber strahlte sie wieder und freut sich auf ein ausgiebiges
Frühstück und das anschließende Paketeauspacken, deren Stapel bis Mittag bestimmt noch weiter wachsen würde.
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Re: Geschichte: Das Lied von Angmar

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Montag 25. August 2014, 12:36

Als Azalinchen an diesem Abend ins Bett ging ahnte sie keine Sekunde lang, dass sich ihr Leben bald von Grund auf ändern würde. Während sie im Halbschlaf versank,
ging sie im Geiste nochmal all die herrlichen Dinge durch, die es heute zu Essen gegeben hatte. Alle ihre Freunde waren vorbegekommen – Jolan Tiefgruber, der Sohn
von Balmund Tiefgruber, dem Geschäftsführer des Steinbruchs, hatte ihr sogar selbst feine Kekse in Form von Azalinchens Lieblingsblume gebacken. Feine Kekse waren
das gewesen, mit Nuss- und Schokoladenstückchen und mit einer leckeren Schicht aus Zimt und Apfelzuckerguss. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, als sie daran
dachte.

Plötzlich drangen wieder laut streitende Stimmen aus der Wohnstube durch die in Abendruhe liegenden Zimmer des Smials. Etwas in der Stimme ihrer Mutter veranlasste
Azalinchen dazu, sich kerzengerade aufzusetzen und angestrengt zu lauschen. Die wohligen Gedanken an leckere Speisen und zuckersüße Säfte entglitten ihr und
entschwanden in der Verwirrung und der Angst, die sich jetzt in Azalinchen breit machten.

"Aber ICH habe dir das niemals vorgeworfen!" raunzte Hyazinds Stimme durch die Tür.

"Du weisst genau, was ich meine!" brüllte Azalinchens Vater aufgebracht.

"Nein, das weiss ich nicht! Ist es denn wichtig, was ANDERE denken? Reicht es dir nicht, dass wir, deine Tochter und deine Frau, glücklich sind, wie es ist?"

"Ach das hat doch damit nichts zu tun! Was bitte stört dich derartig daran, dass ich auch mal Erfolg haben könnte? Kannst du es nicht ertragen, dass ich auf dein Geld nicht
mehr angewiesen bin? Ist es das?"

Hyazinds Stimme wurde nun eisig, als sie erwiderte: "Das warst du nie und das weisst du! Wenn das Geld mir wichtig gewesen wäre, hätte ich damals abgelehnt, als du mir
den Hof gemacht hast!"

Azalinchen presste aufschluchtzend die Decke vor den Mund. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Warum sagten Mama und Papa nur so häßliche Dinge zueinander? Als lautes
Poltern gefolgt von dem Geräusch zerbrechenden Porzellans dumpf durch die Tür drang, begann sie vor Angst zu zittern. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie die Tür an.

"Da und das", schrie Hyazind ausser sich, "das alles brauche ich nicht! Und das auch nicht!"

Marhlo antwortete etwas, das Azalinchen nicht verstehen konnte. Als wenige Augenblicke später die Tür des Smials mit einem lauten Krachen zugeschlagen wurde zuckte sie
heftig zusammen. Tränen rannen nun unablässig über ihr Gesicht. Ihren kleinen Kuschelhund fest im Arm, schwang sie schließlich die zitternden Beine aus dem Bett und
tappste mit kleinen Schritten zu Tür. Für einen Moment starrte sie den Türknauf an, unschlüssig, ob sie jetzt zu ihrer Mutter gehen sollte oder nicht. In diesem Moment
fühlte sie sich nicht mehr wie ein großer Zwiens – sondern sie war wieder ganz das kleine Mädchen, dass sich nach einem bösen Alptraum an die Mama kuscheln wollte.

Immer noch zitternd streckte sie die Hand aus und umschloss den Knauf mit ihren Fingerchen. Er war wie immer kühl und glatt in ihrer Hand und ließ sich ganz leicht, ohne
das geringste Geräusch drehen. Langsam trat sie auf den kurzen Korridor hinaus und lauschte angespannt. Aus der Wohnstube schlichen sich seltsam erstickte Laute durch
das Halbdunkel. Die Tür der Stube malte einen hellen Kreis auf den Teppich im Korridor. Azalinchen schlich auf Zehenspitzen zur Tür und blieb daneben an die Wand gedrückt
stehen. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie die Mama in diesem Moment stören sollte oder nicht. Sie wollte sich gerade wieder abwenden, als eine Diele unter ihren
nackten Füßen leise knarrte. Erschrocken hielt sie inne und registrierte, dass das Weinen in der Stube aufgehört hatte. Hyazind putze sich hastig die Nase und wischte sich
grob über die Augen. Dann richtete sie ihre Haare und strich Rock und Bluse wieder glatt.

"Ja, was ist denn mein Schatz?" fragte sie und Azalinchen merkte sofort, dass ihre Stimme stark schwankte, weil ihre Lippen immer noch vor unterdrücktem Weinen flatterten.

"Oh Mama…", mehr brachte Azalinchen nicht raus. Sie lief mit erhobenen, weit geöffneten Armen auf die Mama zu und warf sich schluchtzend in ihre Arme. Hyazind strich ihr
sanft über die wuschelige Goldmähne und murmelte beruhigende Worte.

Bald war das kleine Hobbitmädchen in den Armen ihrer Mama eingeschlummert. Sie hatte nicht gewagt zu fragen, worüber sich die Eltern gestritten hatten. Aber Hyazind erriet
mit dem Instinkt einer Mutter genau, was ihr Stummelchen so aufgeregt hatte. Sie nahm sich vor, nicht mehr so laut zu streiten, wenn Azalinchen in der Nähe war.

Nun richtete sie sich langsam mit dem Töchterchen im Arm auf und trug die Kleine in ihr Zimmer und legte sie behutsam auf das weiche Daunenkissen und deckte sie mit der
Decke zu. Sie fragte sich, wie sie ihrer Tochter erklären sollte, dass ihr Vater am nächsten Tag zu einer gefährlichen Reise aufbrechen würde – und dass ihn weder Worte im
Guten noch im Bösen davon abzubringen vermochten. Ihr Blick fiel auf den kleinen Kuschelhund, der nun von Mondlicht gerahmt im Arm ihrer Tochter ruhte. Es gab ihr einen Stich.
Was sollte nur aus ihnen werden, wenn das Undenkbare, das Unaussprechliche geschehen sollte? Sie schüttelte den Kopf, wie um die bösen Gedanken zu vertreiben. Dann küsste
sie Azalinchen sanft auf die Stirn und verließ das Zimmer auf leisen Sohlen.

Wieder in der gemütlichen Wohnstube löschte sie die Lichter und schob den Zug des Kamins etwas zu, damit das Feuer in Ruhe herunterbrennen und ausglimmen konnte. Eigentlich
hatte sie vorgehabt, ebenfalls ins Bett zu gehen. Aber auf halbem Weg zur Tür hielt sie inne, wandte sich nach links und trat an das Fenster, durch welches das breite, silberne
Licht des Vollmondes drang. Für einen Moment verharrte sie dort und betrachtete die nachtversunkene Landschaft draussen. Die etwas schlichteren Smials ihrer Nachbarn mit ihren
kreisrunden grünen und gelben Türen lagen friedlich im Mondlicht. Hier und da huschte eine Katze auf der Pirsch nach flinken Mäusen umher. Und die teils üppigen Blumenrabatten
wirkten seltsam still und farblos.

Die meisten hier in Schären begrenzten die Blumenbeete mit Steinen, die sie aus dem Steinbruch holten. Manche schufen sich daraus schöne Terassen, die sie mit fröhlich bunten
Blumen schmückten. Irgendwann hatte jemand diese Art von Garten ironisch als Steingarten bezeichnet – und dabei war es dann geblieben. Hier und da lugten kleine, aus Stein
geschnittene, Schnecken oder Frösche mit lustigen Gesichtern zwischen den Blüten und Blättern frech hervor.

Hyazind seufzte und sank auf einen Schemel, der am Fenster stand, ohne den Blick von den anderen Häusern abzuwenden. Sie verwünschte Balmund mit seinen verrückten Ideen.
Schon als sie alle noch Kinder waren, war dieser eitle Pfau umher stolziert und hatte allen erklärt, ob sie es hören wollten oder nicht, dass er eines Tages Hyazind Feinweber den Hof
machen würde, dass sie heiraten und das größte Smial in Schären besitzen würden. Hyazind wurde unruhig – Balmund hatte es nie verwunden, dass sie sich für den armen Marhlo
Goldfuss entschieden hatte. Sollte dies etwa eine späte Rache werden? Wollte Balmund gar, dass Marhlo nicht mehr von dieser Reise zurück kehrte? Sie erschauerte – so abgrundtief
boshaft konnte doch niemand sein? Noch Stunden später saß sie dort im Stuhl am Fenster, sah hinaus und hing ihren bestürzenden Gedanken nach. Auch noch, als der Mond längst
weiter gewandert war und die undurchdringlichen Schatten der tiefen Nacht die Höfe und Gärten der Schärener Smials erobert hatten. So aber war der Schatten der beinahe gegenüber
ihrem Fenster neben einem der Smials stand, in der sich breit machenden Finsternis kaum auszumachen. Irgendwo unter einer grauen Kapuze schimmerten zwei Augen gierig,
während sie die Hobbitdame am Fenster beobachteten.

"Du bist mein", flüsterte eine kalte Stimme hönisch. "Und wenn du dich noch so wehrst – du wirst mein sein!" Die Gestalt wandte sich ab und verschwand lautlos zwischen den Smials
und den Schatten dazwischen.
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Kapitel 2 - IV

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Donnerstag 11. September 2014, 16:56

Als Azalinchen am nächsten Tag die Augen öffnete, floss helles Sonnenlicht durch das halb geöffnete Fenster in ihr Zimmer. Sie setzte sich langsam auf und rieb sich den Schlaf aus dem Gesicht und den
Augen. Ihr Blick fiel zufällig auf ihren kleinen Kuschelhund. Ein dumpfes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, als fiele ein schwerer Stein hinein und zöge sie gen Boden. Ohne erkennbaren
Grund begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sie verschwendete keinen Gedanken an Waschgeschirr und Bürste, sondern warf sich nur eiligst den Morgenmantel über und hastete aus dem Zimmer.

Als sie auf dem Weg in die Wohnstube am Durchgang zum Eingangsflur vorbeikam stockte sie mitten in der Bewegung. Einige dick ausgewölbte Bündel standen neben der Eingangstür. Azalinchen zählte drei
Stück nebst einem Rucksack und daneben lehnte ein schön geschnitzter Wanderstab an der Wand. Ihr Blick saugte sich daran fest, wie eine Mücke auf der Pirsch. Was sollte das bedeuten? Sie schluckte
den Knoten, der ihr plötzlich im Hals saß herunter und setzte ihren Weg fort.

Ihr Vater saß im Wohnzimmer auf einem Stuhl vornübergebeugt und schlug sich die Hose einmal um. Ihre Mutter saß mit gesenktem Kopf am Tisch und strippelte Erbsen aus ihren Schoten in eine Schüssel. Was
ging hier nur vor sich? Azalinchen schaute von einem zum Andern und vergass völlig die Tatsache, dass ungewöhnlicherweise kein Frühstück auf dem Tisch stand. Marhlo richtete sich auf und begutachtete
kurz sein Werk und nickte dann zufrieden. Er wollte Hyazind gerade etwas fragen, als er Azalinchen bemerkte, die mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mund in der Tür stand und sie beide anstarrte.

"Na sieh mal einer an, welchen Glanz die Sonne da ins Zimmer geschickt hat", sagte er fröhlich und streckte seiner Tochter beide Arme weit geöffnet entgegen. Für gewöhnlich nahm Azalinchen diese
Einladung nur zu gern an und stürzte sich stürmisch in die Umarmung ihres Vaters. Aber nicht dieses Mal. Sie blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen und schluckte erneut schwer.

"Papa?" Mehr bekam sie nicht heraus. Ihr fiel der Streit vom letzten Abend wieder ein und sie kämpfte mit den Tränen.

Hyazind blicke nun ebenfalls auf. Ihre Augen huschten zwischen Vater und Tochter hin und her. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie mit sich kämpfte. Sie presste dann jedoch nur die Lippen aufeinander,
warf Marhlo einen scharfen Blick zu und schwieg. Sein fröhlicher Gesichtsausdruck umwölkte sich und er liess langsam die Arme sinken. Was sollte das? Hyazind wusste doch, dass er nicht gut in solchen
Dingen war. Er mochte Abschiede nicht und noch weniger mochte er irgendwelche Ansprachen - und schon gar keine zu seiner Person. Er seufzte und blickte Azalinchen geradewegs in ihr aufgewühltes Gesicht.

"Na komm schon her", forderte er seine Tochter mit ruhiger, milder Stimme auf. Er wartete geduldig, bis sich Azalinchen äusserst zögernd vom Türrahmen gelöst hatte und sehr langsam, beinahe bedächtig,
auf ihn zu kam. Für einen Moment stand sie zögernd vor ihm und schaute fragend zu Hyazind, die jedoch keine Mine verzog, sondern weiter schweigend ihre offensichtliche Missbilligung zur Schau trug.

"Mein kleiner Sonnenschein", begann Marhlo etwas holprig. "Es tut mir leid, dass wir dir...", er schluckte nervös, "...dass du Kummer hast." Er machte eine kleine Pause, um ihr Gelegenheit zu einer
Berichtigung zu geben. Aber Azalinchen schaute ihm mit offenem Unbehagen weiter direkt in die Augen ohne einen Ton von sich zu geben. Marhlo räusperte sich. "Nunja. Du hast bestimmt bemerkt ... hm...
ich denke du weisst... ähm...", ohjeh, das war sogar noch schwieriger, als er befürchtet hatte - er struwwelte sich verlegen durch die Haare, "sieh mal, mein kleiner Spatz, wir haben im Steinbruch so
gute Geschäfte gemacht, dass Balmund - äh, ich meine natürlich Herr Tiefgruber, meint, es wäre an der Zeit ein wenig zu wachsen. Ich meine natürlich nicht, dass er wachsen will, nein, er meint, wir
könnten an einem weiteren Standort einen zweiten Steinbruch setzen. Da ich einiges über die Gegend und die Beschaffenheit der Gefelsen und Hügel in der Gegend verstehe, meinte er, dass ich derjenige
sein sollte, der sich nach einem geeigneten Platz für diesen zweiten Steinbruch umschauen soll. Und er trug mir sogar die zukünftige Leitung des neuen Steinbruchs an. Weisst du, Liebes, das würde
bedeuten, wir könnten endlich in eines der größeren Smials in Dachsbauten oder sogar in Hobbingen umziehen. Oder sogar ins Südviertel!"

Wenn er geglaubt hatte, jetzt Azalinchens Begeisterung geweckt zu haben, hatte er sich geirrt. Auf ihrem Gesicht machten sich Verwirrung und Angst breit. Ihre Augen schimmerten im Sonnenlicht feucht
und ihre Mundwinkel zuckten verdächtig. "Aber Liebes, ich bin doch bald schon wieder da!" Er legte beide Hände auf ihre Schultern und zog sie zu sich heran.

"Heu..." Azalinchen holte tief Luft, "heute Abend, Papa?"

Marhlo starrte sie an. "Nein, mein Liebes, heute Abend noch nicht nicht. Ich werde für einige Tage fort sein und die Hügel nördlich und nordöstlich des Grünfeldes inspizieren. Tja, wer weiss,
möglicherweise reise ich sogar bis nach Hafergut!" Er versuchte es mit einem aufmunternden Lachen, welches sich aber merkwürdig dünn und unnatürlich anhörte.

"Oh Papa", flüsterte Azalinchen erstickt. Nun warf sie sich ihm doch in die Arme und klammerte sich ganz fest an ihn. "Oh Papa, Papa, Papa, geh nicht!" Sie hatte das schreckliche Gefühl, als wollte
ihr Herz vor Entsetzen zerspringen. Ihr Papa war noch nie länger als ein paar Stunden fort gewesen. Sie hatte schon Geschichten von Leuten gehört, die auf Abenteuer gezogen waren - keiner von denen
war je wirklich wieder zurück gekehrt, hatte Großmutter Feinweber erzählt. Sie begann haltlos zu schluchtzen.

Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sich Azalinchen wieder beruhigt hatte. Ihr Vater hatte sie sehr lange im Arm gehalten und leise einige Kinderlieder für sie gesungen. Hyazind hatte irgendwann
die Erbsenschoten beiseite gelegt und derweil schweigend auf die makellos weisse Tischdecke gestarrt. Auf ihrem Gesicht lag ein entschlossener Ausdruck und sie hatte die Lippen immer noch aufeinander
gepresst. Ihre Hand umklammerte das Tischtuch so fest, dass die Knöchel weiss hervortraten. Marhlo tat, als bermerkte er dies nicht. Es war, als hätten sie in stiller Übereinkunft einen Vertrag des
Schweigens geschlossen.

Nachdem Azalinchens Schultern schon eine kleine Weile nicht mehr bebten, beendete Marhlo das letzte Lied mit einem leisen Seufzen. Er hielt seine Tochter auf Armeslänge vor sich und betrachtete ihr
kleines, rundes Gesicht. Die sonst fröhlichen Augen waren rot verquollen und die Nase schniefig. Ihre goldblonde Lockenpracht rahmte das Köpfchen wie flüssiges Metall. Zärtlich fuhr er mit einer
Hand durch die Strähnen und strich sie hinter die Ohren zurück. Azalinchen legte ihren Kopf selig in seine Hand und schloss die Augen. Diese Berührung würde sie auf ewig nicht vergessen, niemand
konnte das so gut wie ihr Papa.

Marhlo seufzte noch einmal und ließ die Arme sinken. Azalinchen trat mit gesenktem Kopf beiseite und liess ihn aufstehen. Ihr Vater beugte sich vor und gab ihr einen langen Kuss auf die goldenen
Locken und Azalinchen umarmte ihn ein letztes Mal ganz fest. Marhlo kannte seine Tochter gut genug, um zu wissen, dass Azalinchen nun damit klar kommen würde. Er knuffte ihr noch freundlich lächelnd
die Schulter und wandte sich dann an seine Frau.

Als sich ihre Blicke trafen, war es, als würde die Welt in Tausend Scherben stürzen und Hyazind unter sich begraben. Sie konnte eine tiefe, unnachgiebige Entschlossenheit in den Augen ihres
Mannes sehen. Und sie wusste, dass er gehen würde, gleich was sie sagen oder tun würde. Zugleich verspürte sie heissen Stolz in sich aufsteigen. Sie wollte nichts lieber auf der Welt, als auf
ihn zustürzen und ihn in ihre Arme schließen, wie es Azalinchen getan hatte. Aber ihr neu erwachter Stolz verhinderte dies und hielt sie eisern auf ihrem Platz. Einzig ihrem Kopf gestattete er eine
sachte Bewegung.

Marhlo fühlte einen Stich - er hätte erwartet, dass sich Hyazind mit ihm freuen würde. Aber dieses unerbittliche Schweigen stachelte seinen Ehrgeiz nur um so mehr an. Sein Gesicht wurde hart und er
nickte ebenfalls bevor er eines der Bündel am Wanderstock festmachte und die anderen beiden an dem Rucksack befestige. Er schulterte ihn und nahm den Wanderstock in die rechte Hand. Langsam öffnete
er die runde Tür und atmete die frische Morgenluft tief ein. Er zögerte.

Selbstverständlich hatte er Angst. Die weiteste Reise seines Lebens war nach Stock oder Michelbinge gegangen. Doch nun würde er ganz allein die Hügel und Felsen abschreiten und mehrere Tage fort sein.
Er atmete nochmals tief ein und gab dann seiner Sturheit nach, die ein weiteres Zögern verhinderte. Entschlossen schritt er voran, ohne sich nochmals umzudrehen.

Azalinchen stand in der Tür und blicke ihrem Papa hinter, während wieder Tränen unablässig über ihre Wangen liefen. Hyazind schloss sie Augen und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Plötzlich sprang
sie so heftig auf, dass der Stuhl nach hinten kippte und sprang zum Fenster. Sie konnte gerade eben noch den Kopf ihres Mannes sehen, bevor er hinter einer Wegkehre verschwand. "Ich liebe dich! Komm
heile wieder!" flüsterte sie tränenerstickt.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~

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Kapitel 2 - V

Ungelesener Beitragvon Azalinchen » Freitag 12. September 2014, 14:19

Der Hobbit beobachtete, wie der Mond langsam hinter den Baumwipfeln versank. Er war der kleinen Schlucht eine Weile gefolgt und war schließlich
auf eine breite Schneise im Fels gestoßen, deren Wände von Regen und Wind bereits größtenteils ausgewaschen waren. Hier wuchsen kleine, verkrüppelte
Bäume auf den so entstandenen kleinen Vorsprüngen und leisteten der Erosion weiter Vorschub. Der Fels würde sich hier leicht und ohne großen Aufwand
abtragen lassen, allerdings wären die Brocken kaum geeignet größere Gewichte wie bei Häusern oder Brücken zu tragen. Er blieb stehen und versuchte
diesen Gedanken zu begreifen. Er starrte die eher sanft abfallenden Felswände der Schneise an und überlegte, ob er wohl mal ein großer Bauherr
gewesen war. Würde er in der Siedlung auf Werke aus seiner Hand stoßen? Er wartete eine ganze Weile auf eine Antwort der STIMME. Aber es kam keine.
So beschloss er unsicher der Schneise weiter zu folgen und verliess die Schlucht.

Obwohl das Gelände nun eher abfiel, merkte er, dass seine Schritte langsamer wurden und allmählich Schmerz durch seinen Körper schnitt. Als die Sonne
die ersten Finger über die sanften Hügel streckte, glaubte er Hunderte und Aberhunderte Wunden am ganzen Körper zu spüren. Gegen Mittag wurde es heiss.
Blauer, wolkenloser Himmel erstreckte sich über ihm, soweit er blicken konnte. Zwar spendeten die Bäume anfangs noch guten Schatten. Aber sie lichteten
sich zunehmend und er spürte den heissen, inzwischen kiesigen Boden unter seinen Füssen brennen. Als die Sonne genau über ihm stand, versagten seine
Beine. Er verspürte beissenden Durst und zog sich stöhnend und ächtzend in den kargen Schatten eines verkrüppelten Baumes. Wie lange er dort in der
Mittagshitze vor sich hindöste, vermochte er nicht zu schätzen. Aber als er aus unruhigem Halbschlaf erwachte, brannten seine Beine wie Feuer. Dort,
wo die letzten Fetzen einer ehemals fröhlich gelben Hose lose herunter hingen, war die Haut heftig gerötet. In der Nähe der schwärenden, nur teilweise
geschlossenen Folterwunden war es besonders schlimm. Mit unsicheren Fingern tastete er danach und stöhnte laut auf, als er hastig die Hände von der
schmerzenden Stelle zurückriss. Unter Keuchen zog er die Beine aus der prallen Sonne unter den Körper und versuchte mit zusammengebissenen Zähnen den
erneuten Schmerz zu ignorieren.

Die Sonne blendete ihn, als er versuchte die nähere Umgebung zu erkennen. Abgesehen von Vogelgesängen und dem schweren Brummen von Bienen und Hummeln
war nur das leise Streifen des Windes zu hören, wie er um die Felsen und die Krüppeleichen strich. Er fuhr sich fahrig mit der Rechten über das Gesicht.
War es das, dachte er bitter, musste er jetzt hier, wenn auch in Freiheit, so doch Durstes sterben? Eine kleine Bewegung am Rande der Schneise lenkte
seine Aufmerksamkeit auf sich. Er runzelte die Stirn und starrte benommen auf die sich bewegenden Äste einer größeren Krüppeleiche. Wie lange er dasass
und den Baum anstarrte wusste er nicht, aber er hätte beinahe aufgeschrien vor Schreck, als plötzlich ein Reh über den niedrigen Baum sprang und die
Schneise in die Richtung davon sprang, aus der er gekommen war. Er rührte sich keinen Zoll, als das zarte Wesen an ihm vorbei zwischen mehrere weitere
Krüppeleichen sprang.

Er hielt die Luft an. Die schnarrenden, unangenehmen Stimmen einiger Bilwisse wurden lauter. Panisch bemühte er sich tiefer zwischen die Zweigen seines
Baumes zu gelangen. Er presste sich trotz aller neu aufjaulenden Schmerzen eng an den schmalen Stamm und versuchte, flach und leise zu atmen. Eine der
Wunden in seinem Bein riss kreischend wieder auf und dunkles Blut quoll hervor. Es rann sein Bein hinab und tropfte langsam und zäh auf den staubigen
Boden am Fuß der äusseren Zweige. Er schloss die Augen und seine aufgeplatzten Lippen zitterten heftig, während er alle Geister, Stimmen und Mächte
beschwor, dafür zu sorgen, dass die jagenden Bilwisse ihn nicht bemerkten. Ihre Stimmen kamen näher und hielten unmittelbar neben ihm an. Der Hobbit
presste die Augen zusammen und hielt krampfhaft den Atem an.

Die Bilwisse unterhielten sich mit lauten Stimmen in ihrer eigenen Sprache, die für die Ohren des unfreiwillig lauschenden Hobbits, unangenehm und hart
klang. Offensichtlich suchten sie das entflohene Reh und versuchten die Spuren zu deuten. Dabei entstand eine für den Hobbit sehr gefährliche Situation,
als die Bilwisse von der Spur des Rehes abwichen und seine eigene Schleifspur entdeckten, wo er sich unter den Baum gezogen hatte, um der Sonne halbwegs
zu entgehen. Sie dachten wohl das Reh wäre verwundet und hätte sich in die Büsche jenseits des Baumes geschleppt. Die Bilwisse kamen so nahe, dass der
unglückliche Hobbit die dreckigen und geschundenen Zehnägel durch die löchrigen Schuhe sehen konnte. Sie bückten sich, um der Spur durch die Äste der
kleinen Krüppeleiche weiter zu folgen. Der Hobbit drückte sich unwillkürlich weiter fort von den bedrohlich dunkel gegen den hellen Sonnenschein
aufragenden Bilwissen fort. Als ein Ast in seinem Rücken sich löste und raschelnd nach vorn peitschte und dabei heftig die ausgestreckte Hand des
vorderen Bilwisses traf. Dieser fuhr fluchend zurück und stolperte über die nachfolgenden beiden Bilwisse, woraufhin alle drei erst mal aus der Sicht
des Hobbits gerieten. Alle drei schrien durcheinander und begannen sich gegenseitig zu beschimpfen und zu bedrohen.

Der Hobbit spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Ihm wurde beinahe schwindelig vor Angst. Seine Lunge krampfte sich zusammen und er nutzte das Getöse
der gestürzten Bilwisse, um einen kleinen, hastigen Atemzug zu nehmen. Er warf sich mühsam herum, so schnell er konnte und kroch mit dem Bauchnabel fest
am Boden durch die Büsche zu einem etwas größeren Baum. Auf der den Bilwissen abgewandten Seite kauerte er sich halb blind vor Schmerz und Verzweiflung
an den Stamm. Obwohl sein Herz nun unerträglich gegen den Brustkorb hämmerte hielt er verbissen die Luft an. Das Gezeter der Bilwisse wurde nun von
den Lauten einer Schlägerei unterbrochen. Er wollte sich gerade bereit machen, weiter von den Bilwissen und der Fährte des Rehs fort zu kriechen, als
die Stimme eines vierten Bilwisses durch die Bäume brüllte. Gleichzeitig näherte sich von rechts Vorn ein lautes Rascheln. Der Hobbit saß in der Falle.
Er liess verzweifelt den Blick im Gewirr aus Ästen, Blättern, Baumstämmen und kleineren Felsen umherirren. Keines der Sichthindernisse erschien ihm
genügend Schutz bieten zu können. Er machte sich so klein wie möglich und begann möglichst unauffällig einige der kleinen, verfilzten Äste so um sich
herum zu ziehen, dass sie besseren Schutz boten.

Derweil hörten die Bilwisse auf, miteinander zu kämpfen und ordneten ihre Ausrüstung, hoben ihre Speere auf und wandten sich wieder aufmerksam in seine
Richtung. Der Hobbit gestattete sich einen weiteren, nahezu geräuschlosen Atemzug. Wieder brüllte die Stimme des anderen Bilwisses - und diesmal klang
sie deutlich näher. Der Hobbit schloss abermals die Augen. Jeder Zoll seiner Haut schrie in jäher Agonie und sein Herz warf sich laut pochend gegen
seine Brust, dass es unmöglich schien, dass die jagenden Bilwisse dies überhören konnten. Das Rascheln war nun noch maximal zehn Hobbitschritte von
seinem Baum entfernt und näherte sich rasch, ohne, dass der vierte Bilwiss nochmals gerufen hätte. Die Bilwisse waren jetzt nur noch vier oder fünf
Hobbitschritte entfernt.

Dann passierten mehrere Dinge in rascher Abfolge nahezu gleichzeitig. Die vier Jäger hatten ihn fast erreicht, als von rechts ein stattlicher Hirsch
durch das Laubwerk der Krüppeleichen brach und die Aufmerksamkeit des vierten, breiten Bilwisses, der nun linker Hand auftauchte, unmittelbar auf sich
zog. Dieser begann laut zu johlen und riss die jagenden Bilwisse aus ihrer Verfolgung der Hobbitspur. Sie wandten sich ihm zu und schlossen sich der
Verfolgung des Haken schlagenden Hirsches an.

Das brechen von Ästen und Rascheln von Laub verklang allmählich, während der Hobbit weiter mit geschlossenen Augen halb hockend, halb kniend am Baum
verharrte und nun endlich seiner Lunge keuchende Atemzüge gestattet. Sein Herzschlag raste immer noch und er rutschte langsam benommen am Stamm nach
unten, bis er nahezu auf dem Rücken lag, alle Viere von sich gestreckt. Die niedrigen, frisch belaubten Kronen der Krüppeleichen über ihm begannen
sich in irrem Tanz zudrehen. Ihm wurde schlecht, aber bevor er sich übergeben konnte, verließen ihn seine Sinne und blieb wie leblos dort unter der
Krüppeleiche liegen.

Als er die Augen wieder aufschlug war es bereits tiefste Nacht. Die Äste seines Baumes hatten ihn weit besser vor den Strahlen der Sonne geschützt,
als der kümmerliche Baum am Rande der Schneise. Er stöhnte leise und richtete sich lauschend auf. Abgesehen von dem Rauschen seines Blutes in seinen
Ohren war es eigentümlich still. Er verharrte einen Moment, als ihm wieder schwindelig wurde. nach einer Weile hob er den Blick und betrachtete die
volle Scheibe des Mondes, an der nun in rascher Folge einige Wolkenfetzen vorbei zogen. Plötzlich nahm der Mond die Züge eines kleinen Mädchens an.
Sein Gesicht war von hellen Locken umrahmt und zeigte ein fröhliches und zugleich trauriges Lächeln. Wer war das?

Ich habs! Dachte er mit einem unterdrückten Kichern. Der Mann im Mond, richtig? Seine Schultern bebten bei dem Versuch, das aufsteigende Glucksen
zurück zu halten. Na vielleicht würde er ihn mal kennen lernen. Schon als Kind hatten ihn die Geschichten vom Mann im Mond fasziniert. Er kicherte
irre und begann sich eisern aufzurappeln, um seinen Weg zum Hobbitdorf fort zu setzen. Dabei bemerkte er die dunkle Gestalt nicht, die sich ein paar
Bäume weiter hinter einen großen Stein kauerte und ihn nicht aus den Augen liess.

Als der Hobbit sich mühte, wieder auf die Beine zu kommen, beobachtete die große Gestalt ihn dabei. Mitleid rührte ihr Herz. Sie kannte den Hobbit
nicht, aber er war sichtlich in einem sehr elenden Zustand. Ihr Auftrag ließ jedoch keine Einmischung zu. Sie hatte beschlossen aber zumindest darauf
Acht zu geben, dass der Hobbit heil ins Dorf gelangte, sodass sich die anderen Hobbits dort um ihn kümmern konnten. Etwas rollte an ihren Fuß und
die Gestalt wandte den Blick nach unten. Für einen Augenblick leuchteten weisse Zähne im Mondlicht auf, dann stiess sie den Kopf des Bilwisses fort.
Der Hobbit hatte sich gerade auf die Füsse gerappelt und schien die Geräusche dabei nicht zu bemerken. Er stolperte unbeholfen und stocken vorwärts
auf das Ende der Schneise zu und die Gestalt folgte ihm leise. Ihre Füße hinterließen keinerlei Spuren auf Gras und Kies.
~~ Alle sagten, das geht nicht; dann kam jemand, der das nicht wusste und hats getan ~~


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